MieterEcho 317/August 2006: Kauf bricht (nicht!) Miete

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MieterEcho 317/August 2006: Inhalt

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Kauf bricht (nicht!) Miete

Der lange Weg des Mietrechts oder was Berlin vom antiken Rom unterscheidet

Julia Oppermann

Zehntausende Berliner Mietwohnungen wurden in den vergangenen Jahren verkauft oder es droht noch der Verkauf oder die Umwandlung in eine Eigentumswohnung. Die Mieter/innen sind verunsichert. Die Käufer versuchen, mit Mieterhöhungen, neuen Mietverträgen, Weiterverkäufen oder Umwandlungen Profit zu machen. Was die Mieter/innen schützt, ist das Mietrecht und dazu gehört der Grundsatz: Kauf bricht nicht Miete. Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist im § 566 festgelegt, dass der Käufer von Wohnraum alle Rechte und Pflichten des Verkäufers übernimmt. Diese Regelung, die für Mieter/innen Schutz und Sicherheit bedeutet und uns heute selbstverständlich erscheint, gab es nicht immer, wie ein Ausflug in die Geschichte zeigt.

Für Vermieter konnten die Zustände im alten Rom paradiesisch sein, vor allem wenn sie nicht selbst in der Stadt wohnen mussten. Die meisten anderen der ca. eine Million römischen Einwohner/innen zur Kaiserzeit - eine kleine Oberschicht ausgenommen - werden die Realität eher so erlitten haben, wie es Juvenal beschrieben hat:

"Hauptursache des Übels: Wagen biegen in scharfer Wendung um die Straßenecken, die Treiber schimpfen laut, wenn ihre Herde nicht weiter kann - all das würde einem Drusus den Schlaf nehmen. Hier sterben viele, weil Schlaflosigkeit sie krank gemacht hat, denn in welcher Mietwohnung kann man schlafen? Sehr reich muss man sein, um in Rom schlafen zu können."
Juvenal (ca. 60 - 130/40 n.Chr.)

Der enorme Lärm schwoll nachts noch an, weil nur dann die tagsüber von den Straßen verbannten Lastwagen und -karren fahren durften.

In Rom zur Miete

Der Boden war in Rom knapp. Die ausgedehnten kaiserlichen Luxusbauten verschlangen riesige Flächen. Eine Ausdehnung der Stadt war nur begrenzt möglich, denn schließlich mussten alle Strecken zu Fuß zurückgelegt werden können. Die Folge waren exorbitant hohe Bodenpreise. Die Bauunternehmer sparten dafür an den Kosten für die Bauausführung und zusammenstürzende Miethäuser waren ebenso alltäglich wie Hausbrände. Die meisten Wohnungen in den Mietshäusern, die so genannten insulae, beherbergten Krankheit und Elend. Die Nachfrage nach Wohnraum war dennoch hoch, denn die einzige erschwingliche Alternative war das Leben unter einer Tiberbrücke. Aber davon gab es nicht allzu viele und außerdem waren die Plätze immer total überfüllt. Kein Wunder, dass sich das Vermietungsgeschäft - die erforderliche Hartgesottenheit vorausgesetzt - lohnte. Zu den erfolgreichsten Vertretern der Gattung Mietwucherer gehörte übrigens Cicero, vielen Gymnasiasten als scharfsinniger politischer Autor bekannt. Die Marktlage wurde so rücksichtslos ausgenutzt, dass die dadurch erzeugte politische Stimmung in den Unterschichten zur Gefahr für die herrschende Klasse werden konnte. Wiederholt mussten kaiserliche Dekrete die Lage entschärfen. Bereits Caesar ordnete einen einjährigen Erlass der Mieten bis zur Grenze von 2000 Sesterzen an. Doch lange hielten die Wirkungen derartig sozialer Wohnungspolitik nie vor. Das verhinderte nicht zuletzt auch das römische Recht.

Vom Sklavenhandel zum Wohnungsmietvertrag

Grundstücksspekulationen waren an der Tagesordnung und der Verkauf einer insula, brachte für die Mieter/innen mit Sicherheit eine weitere Verschlechterung ihrer Lage. Der Vertragstyp der Miete wurde als locatio conductio aus der Sklavenmiete entwickelt. Spezielle Regelungen für Wohnungen bildeten sich nicht heraus. Der Vermieter hatte die Nutzung der Wohnung zu gewährleisten und die Mieter/innen waren zur Zahlung des Mietzinses verpflichtet. Daneben war die Rechtstellung der Mieter/innen aber sehr schwach. Schuldrechtliche Ansprüche hatten sie nur gegen den Vermieter, Dritten gegenüber konnten sie sich nicht auf den rechtlich geschützten Besitz (possessio) stützen. Wurden die Mieter/innen im Gebrauch der Mietsache gestört, konnte allein der Vermieter für ihren Rechtsschutz sorgen. Diese prekäre Rechtsstellung der Mieter/innen entsprach der von Sklaven, die ebenfalls keine eigenen Rechtsansprüche begründen konnten. Bei einem Verkauf einer insula brauchte sich also der Käufer um die Rechte der darin wohnenden Mieter/innen nicht im geringsten zu kümmern, es sei denn sie wurden ausdrücklich im Kaufvertrag festgeschrieben.

Wer seinen Sklaven vermieten wollte, stellte sich auf dem Sklavenmarkt auf (locare) und der Interessent führte, wenn sich beide handelseinig wurden, den Sklaven mit sich fort (conducare). Dieses "Aufstellen-Mitführen" wurde auch auf Sachen (rei) angewandt und bezeichnete als locatio conductio rei später auch die Wohnungsmiete.

Von Kauf bricht Miete ...

Obgleich ein Grundsatz "Kauf bricht Miete" im römischen Recht nicht explizit formuliert worden ist, findet sich im Kodex Justinians aus dem Jahre 234 eine entsprechende Rechtsnorm:

"Der Käufer eines Grundstücks ist nicht verpflichtet, den Mieter, dem der Voreigentümer vermietet hatte, zu behalten, es sei denn er hätte das Grundstück mit dieser Abrede erworben. Wird jedoch bewiesen, dass er vertraglich in das Bleiben des Mieters eingewilligt hat, so muss er auf die bonae fidei-Klage hin verurteilt werden."

... über Pflichten für den Verkäufer ...

Die Rechtlosigkeit der Mieter/innen gegenüber dem Erwerber verlangte nach Korrektur. Es gab sie auch. Die Digesten, eine aus dem 6. Jahrhundert stammende Zusammenstellung römischer Rechtsgrundsätze, die von Kaiser Justinian als Gesetz erlassen wurden, enthalten die dementsprechende Vorschrift: "Wer jemand ein Landgut verpachtet oder eine Wohnung vermietet, muss, wenn er aus irgendeinem Grund das Landgut oder das Haus verkauft, dafür sorgen, dass der Pächter oder der Mieter dem Käufer gegenüber zu den gleichen Bedingungen nutzen oder wohnen kann. Andernfalls kann derjenige, der zu nutzen oder zu wohnen gehindert wird, gegen den Verkäufer mit der Klage aus Pacht oder Miete vorgehen."

Der Verkäufer haftete zwar den Mieter/innen aus dem Mietvertrag. Der Käufer war andererseits durch die Obligationen nicht belastet. Gegen ihn hatten die Mieter/innen keine Ansprüche. Das Eigentumsrecht war den Römern heilig, wie hätte eine Sklavenhaltergesellschaft auch darauf verzichten können. Noch nicht einmal eine Verwässerung durch Rechte der Mieter/innen war akzeptabel.

... zu Miete bricht Kauf

Das römische Recht und mit ihm der römische Eigentumsbegriff prägten die Rechtsentwicklung des Mittelalters und verschmolzen mit dem germanischen Gemeinen Recht, ohne dass sich die Rechtsstellungen der Mieter/innen und Vermieter grundsätzlich geändert hätten. Allerdings zwang das feudale Grundeigentum durch die unmittelbare Verbindung zwischen dem Boden und den hörigen Bauern zu einer veränderten Rechtsauffassung. Bei einer Veräußerung von Grund und Boden war ein gegen den Erwerber des Boden geltend zu machendes Nutzungsrecht (dominum utile), das den Bauern den Verbleib garantierte, notwendig geworden. Mit dem Aufkommen der mittelalterlichen Städte und dem Bedeutungsanstieg der Wohnungsmiete tauchte auch in den Städten eine ähnliche Rechtsauffassung auf und damit auch die Frage, ob Miete Kauf brechen könne.

Tatsächlich ist eine Entscheidung aus Hamburg in einer Glosse des Bürgermeisters Langenbeck aus dem Jahre 1487 überliefert, in der für einen konkreten Fall der Grundsatz "hur brickt koep" (Miete bricht Kauf) formuliert wurde. Allgemein setzte sich allerdings in den Städten nur durch, dass die Mieter/innen dem Kündigungsrecht der Erwerber unterworfen waren, aber das Mietverhältnis nicht ohne ordnungsgemäße Kündigung beendet werden konnte.

Die rechtstheoretischen Auseinandersetzungen erstreckten sich über die Jahrhunderte mit wechselnder Intensität. Eine entscheidende Änderung bedurfte eines kräftigen Anstoßes und der kam von Friedrich II.

Anfänge des Mieterschutzes in Berlin

Berlin war im 18. Jahrhundert nicht Rom. Weder hatte es dessen Bedeutung, noch waren die Verhältnisse in der Stadt vergleichbar, aber die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt ließ an das alte Rom denken. Die Residenzstadt Preußens gewann an Attraktivität und nicht zuletzt der Zuzug an Verwaltungsbeamten führte zu einem angespannten Wohnungsmarkt. Die bürgerlichen Vermieter wussten die Gunst der Stunde zu nutzen. Wohnraum wurde knapp und die Mieten stiegen in bis dahin ungeahnte Höhen. Einige gewerblich Vermieter eiferten der römischen Oberschicht nach: Sie bereicherten sich unmäßig. Ein staatlicher Eingriff wurde erforderlich und 1754 erging das königliche "Edict, wie es mit denen Miethen und Aufkündigung der Logementen auch Ein- und Ausziehungs-Terminen in hiesigen Königlichen Residentzien gehalten werden solle."

Es sollten alle Mietverträge schriftlich abzuschließen sein, bei dennoch mündlich geschlossenen Verträgen wurde die Mindestdauer auf ein Jahr festgelegt. Kündigungen sollten nur zum Quartalsende möglich sein. Die Gerichte konnten zusätzlich Schutzfristen einräumen. Ein erster Mieterschutz war geschaffen, doch der Mietwucher blühte weiter, besonders nach dem Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763).

Hauseigentümer entdeckten die Möglichkeiten, die Hausverkäufe bieten konnten. Ein Beispiel: Eine Wohnung wurde 1746 für 60 Taler im Jahr vermietet. 1763 erhöhte der Eigentümer die Miete auf 80 Taler und verkaufte gleich darauf das Haus an seinen Sohn, woraufhin die Miete sofort auf 200 Taler anstieg. Das Geschäft wurde auch für den märkischen Landadel interessant und damit kehrten in Berlin schließlich antik-römische Verhältnisse ein.

Preußische Mietrechtsreform

Doch die Geschichte blieb nicht stehen. Im 18. Jahrhundert gab es einen aufgeklärten Absolutismus und dessen Vertreter Friedrich der Große stellte fest, "dass in Unserer Residenz Berlin der bisher eingerissene Wucher mit Häusern und die aufs höchste getriebene Steigerung der Haus-Miethen, ungeachtet Unserer dieserhalb immediate erlassenen scharfen Verordnungen, noch bis dato beständig fortdauere, und beydes großen Theils seine Schutzwehre in der gemeynen Rechts-Regul 'Kauf bricht Miethe' finde, als welche bisher den Käufer berechtiget, den Miether ungeachtet sein mit dem Verkäufer eingegangener Vertrag noch nicht zum Ende, nach gefallen auszutreiben, oder von ihm ein so hohes Mieths-Quantum durch die Drohung der Austreibung zu erzwingen, dass Käufer sich dadurch entschädiget, ja gewonnen, wenn er auch das Haus weit über seinem wahren Werth gekaufet." Diese treffende Feststellung würde umgehend ergänzt durch einen Vorschlag des königlichen Generalfiskals d'Anieres-Amtes: "Das einzige, was ich in dieser Absicht vorzuschlagen weiß, ist, dass die Regul: 'Kauf gehet vor Miethe', welche an und vor sich selbst wider alle Billigkeit läuft, aufgehoben würde."

Die Auffassung wurde an die Juristen verwiesen, in das Rechtssystem eingebaut und am 15.04.1765 kam es zu einer ersten preußischen Mietrechtsreform ganz dem Geist der Zeit würdig, in der bestimmt wurde, "die bisher beobachtete Rechtsregul Kauf bricht Miethe aufzuheben."

Die Mieterstadt Berlin war aus der Taufe gehoben - als Kind der Aufklärung.

Die Entwicklung des "Zurmietewohnens" beginnt in Berlin zur Zeit des großen Kurfürsten, vor allem durch die Einführung der Unterkünfte von Offizieren und Beamten sowie der Verlagerung des kurfürstlichen Hofes. Die "gute Gesellschaft" Berlins wohnte demzufolge auf der Etage zur Miete, das Hauseigentum überließ sie den Bürgern. Eine Unterscheidung, die sich in dem Gegensatzpaar der Begriffe Citoyen und Bourgeois widerspiegelt. Ein Citoyen ist ein Bürger im Sinn der Aufklärung, ein Bourgeois ein Bürger im Sinn des Feudalismus und Absolutismus.

Die Lebensfähigkeit der Mieterstadt zeigte sich umgehend in einer weiteren königlichen Anordnung, die festlegte, dass diejenigen, die wegen "ihrer Bedienungen, nombreusen Familien oder starken Verkehrs große Häuser allein bewohnen und dadurch guten Theils an Steigerung der Miethen schuld sind, solche aus Ubermuth und zur Ueppigkeit nicht ferner alleine bewohnen [sollen], sondern so viele Familien als nach Beschaffenheit der Häuser füglich darin wohnen können miethweise darin aufzunehmen" haben. Überflüssig zu sagen, dass gerade die Mietspekulanten die größten Häuser alleine bewohnt hatten und daher die Einquartierung von Mietern erhielten.

Diese Maßnahme führte zur sofortigen Beruhigung des Mietwohnungsmarkts und die aufgeklärte Rechtsauffassung, derzufolge Kauf nicht Miete bricht, fand - obwohl sie zunächst nur zur Behebung einer akuten Notlage in Berlin dienen sollte - Eingang in das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794. In sehr schöner Klarheit legte der § 358 ALR fest: "Durch einen freiwilligen Verkauf wird in den Rechten und Pflichten des Miethers oder Pächters nichts geändert."

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