MieterEcho 317/August 2006: Mieter ohne Markt

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MieterEcho 317/August 2006: Inhalt

Quadrat BERLIN

Mieter ohne Markt

Trotz steigenden Leerstandes fehlen in Berlin immer mehr Wohnungen

Christian Linde

In Berlin stehen mehr als 100.000 Wohnungen leer. Das geht aus dem neuen Wohnungsmarktbericht hervor, den die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und die Investitionsbank Berlin (IBB) vorgelegt haben. Bezieht man den zumindest aus Wohnungsmarktsicht kritischen Leerstand mit ein, also jene Wohnungen, die über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus unvermietet bleiben, hat sich von September 2003 bis Juli 2005 die Zahl der leer stehenden Wohnungen von 94.300 auf 104.500 erhöht. Rechnet man darüber hinaus die Unterkünfte hinzu, die vor Ablauf dieser Frist ohne Interessenten bleiben, erhöht sich die Zahl der unvermieteten Wohnungen sogar auf 152.300 (Stichtag 01.07.2005). Die durchschnittliche Leerstandsquote liegt nach 7,7% in 2004 bei nunmehr 8%. Aber nicht alle Wohnungen, die leer stehen, sind ohne Weiteres vermietbar.

"Zusammenhang zwischen Leerstand und Mietenentwicklung"

An der Spitze steht der Bezirk Mitte. Vor allem die steigende Arbeitslosigkeit und die daraus folgenden Verarmungsprozesse führen dazu, dass Teile des Bezirks, wie etwa der als sozialer Brennpunkt geltende Wedding, von Wegzug betroffen sind. Mitte hat mit 8,4% Leerstand Marzahn-Hellersdorf als Berliner Bezirk mit dem größten Leerstandsproblemen abgelöst. Dieser weist nun durch den Abriss von mehreren tausend Plattenbauwohnungen, die in der Statistik nicht mehr erscheinen, eine veränderte Leerstandsquote von 7,8% auf. Die geringsten Wohnungsleerstände haben mit 3,4% Reinickendorf und mit 3,6% Steglitz-Zehlendorf. Lediglich in einem Bezirk, in Lichtenberg, nehmen die langfristigen Leerstände seit 2003 kontinuierlich ab. Hohenschönhausen hat mit 4,3% die niedrigste Leerstandsquote im Ostteil der Stadt (durchschnittlich 6,8%) und liegt damit auch unter dem durchschnittlichen Niveau in den westlichen Bezirken (4,8%). Der Vergleich zwischen den unterschiedlichen Eigentümergruppen im Verhältnis zum jeweiligen Anteil am Gesamtwohnungsbestand hat ergeben, dass Leerstände insbesondere in Beständen privater Einzeleigentümer in den Bezirken Lichtenberg, Mitte, Pankow, Treptow-Köpenick und Friedrichshain-Kreuzberg überproportional hoch sind. Die Quote der städtischen Wohnungsunternehmen am Gesamtleerstand ist von 22% auf 15% zurückgegangen. Der Grund dafür liegt jedoch nicht in einer verbesserten Vermietungssituation, sondern ist durch Privatisierungen und den Abriss von Wohnungen, die auch hier aus der Statistik fallen, erzielt worden. Im sozialen Wohnungsbau ist der Leerstand Ende 2005 auf 6,5% und in der Vereinbarten Förderung auf 10,6% angestiegen. "Ein Zusammenhang zwischen Leerstand und der Mietenentwicklung erscheint naheliegend", heißt es dazu im Wohnungsmarktbericht des Senats. Im Klartext: Die Mieten sind für das infrage kommende Kundenklientel zu hoch.


Entwicklung der ortsüblichen Vergleichsmieten

Quelle: Der Berliner Wohnungsmarkt Bericht 2005


Fluktuationsreserve mit Fragezeichen

Zwar beziffert die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Zahl der leer stehenden Wohnungen mit fast zwei Drittel über der vom Senat als Fluktuationsreserve von rund 56.000 Wohnungen* (3% des Bestands) festgelegten Norm, die für Umzüge in der Stadt zur Verfügung stehen sollten. Allerdings hält diese Zahl dem Realitätstest kaum stand. Denn zahlreiche, in der Statistik geführten Wohneinheiten sind praktisch nicht bezugsfähig. Allein die Mitglieder des Verbands der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) und des Landesverbands Freier Wohnungsunternehmen (LFW), die insgesamt 51% aller Berliner Wohnungen repräsentieren, beziffern die Zahl der Objekte in ihrem Bestand, die Ende 2004 nicht vermietbar waren, mit 56.400. Von den ausgewiesenen Wohnungen standen 45% aus "Vermietungsproblemen", 14% wegen "Privatisierung und Veräußerung", 25% wegen "laufender Mieterwechsel und sonstiger Gründe", 13% aufgrund von "Instandsetzung und Modernisierung", 2% aufgrund von "baulichen Schäden" sowie 1% wegen "Abriss" leer. Leerstandsdaten zu den übrigen 49% der Berliner Mietwohnungen fehlen in dem Bericht. Obwohl selbst nach Abzug der offiziell "nicht bezugsfähigen" Wohnungen auf dem Papier noch immer rund 100.000 Mietverträge zu vergeben wären, sind vor allem billige Wohnungen knapp.

Mangel an preisgünstigem Wohnraum

Eine Analyse der Internetangebote und -gesuche dokumentiert, dass es in der Stadt einen viel zu geringen Anteil preisgünstiger Wohnungen gibt. Während im mittleren Preissegment (4 Euro bis unter 6 Euro/qm Nettokaltmiete) zwei Angebote einem Gesuch gegenüberstehen, stoßen im unteren Preissegment (unter 4 Euro/qm Nettokaltmiete) zwei Gesuche auf nur ein Angebot. Auch grundsätzlich ist das Wohnungsversorgungsniveau, also das Verhältnis zwischen der Zahl der Wohnungen und der Zahl der Haushalte, unabhängig von der jeweiligen Marktrelevanz, in Berlin rückläufig.


Entwicklung von Angebot und Nachfrage

Quelle: Der Berliner Wohnungsmarkt Bericht 2005


Entwicklung der Mietkosten

Während gegenüber dem Jahr 2003 die Verbraucherpreise insgesamt um 2,3% angestiegen sind, erhöhte sich die Nettokaltmiete um 1,7% "unterdurchschnittlich". Die Bruttokaltmiete stieg um 2,7%, insbesondere bedingt durch die deutliche Zunahme der Wohnnebenkosten um 9,2% im Jahr 2004, "überdurchschnittlich". Für den Untersuchungszeitraum 1994 bis 2004 haben Senat und IBB eine Erhöhung der Nettokaltmiete um 13,4% errechnet. Für alle im Mietspiegel erfassten Wohnungen, das heißt die nicht preisgebundenen Wohnungen, ergibt sich zwischen 1999 und 2004 eine durchschnittliche Steigerung der Nettokaltmiete um 12,3%. Für die Mietpreisentwicklung im Sozialen Wohnungsbau zeichnet der Bericht eine düstere Zukunft. Dort sind die Mieten zwischen 1995 und 2004 um durchschnittlich 19,2% angestiegen, die Bruttowarmmieten um 14,7%. Aufgrund der Förderkürzungen konnte der Schnitt von jährliche Steigerungen um 2,1% (nettokalt) bzw. 1,6 % (bruttowarm) bereits 2004 nicht gehalten werden. Zwischen 2003 und 2004 kletterten die Nettokaltmieten um 5,4% und die Bruttowarmmieten um 3,9%. Dieser Trend hat sich im vergangenen Jahr fortgesetzt. Die durchschnittliche Nettokaltmiete stieg um 6% und die Bruttowarmmiete um 3,8%. "Die beabsichtigte Versorgungsfunktion von einkommensschwachen Haushalten durch die noch verbleibenden Sozialwohnungen muss jeweils auf der Basis der aktuellen Wohnungsmarktlage bewertet werden", resümiert der Senat geradezu ratlos.

Einkommenssituation in der Stadt

Welche Bedeutung die Angebotsstruktur und die Mietkostenentwicklung auf dem Berliner Wohnungsmarkt für die Betroffenen haben, verdeutlicht die Einkommenssituation in der Stadt. Waren es 2004 noch 298.000 Erwerbslose, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 319.000 an. Zwar reduzierte sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger nach Inkrafttreten der "Arbeitsmarktreform" im Januar 2005 von 276.000 (8,1%) auf 10.600 und die der Wohngeldempfänger von 276.300 (14,6% aller privaten Haushalte) auf rund 40.000. Jedoch erhöhte sich nach dem "Systemwechsel" die Zahl der Beziehenden des neu geschaffenen Arbeitslosengelds II von zunächst 425.000 auf inzwischen 544.772 Personen bzw. von 237.399 auf 318.612 Bedarfsgemeinschaften. Tendenz weiter steigend. Während das durchschnittlich höchste monatliche Haushaltsnettoeinkommen mit 2341 Euro in Steglitz-Zehlendorf erzielt wird, kommen die Bewohner von Friedrichshain-Kreuzberg auf weniger als ein Drittel davon, nämlich 1482 Euro. Die Zahl der Haushalte, die pro Monat mit weniger als 900 Euro auskommen müssen, stieg im Zeitraum von 2002 bis 2004 von 20,7% auf 22,7%. Zum Vergleich: Während das Pro-Kopf-Einkommen im vergangenen Jahr bundesweit insgesamt um 2,1% bzw. um 364 Euro angestiegen ist, waren es in Berlin nur 0,8% bzw. 111 Euro. Berechnungen des Statistischen Landesamts zur Folge hatten Berliner/innen 2004 durchschnittlich 14.738 Euro pro Kopf zur Verfügung. Damit lagen die Berliner/innen wiederum deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 17.544 Euro.

Wie prekär angesichts der deutlich geringeren Kaufkraft in Berlin die Lage für die hiesigen Mieter ist, unterstreicht das Senatspapier anhand der Mietbelastungsquote, also dem Verhältnis zwischen dem verfügbaren Einkommen und der zu zahlenden Miete. Nämlich, "dass in Berlin die Haushalte gemessen an ihrem Haushaltsnettoeinkommen im Durchschnitt nicht günstiger wohnen als in Hamburg, Frankfurt am Main oder Stuttgart."


Entwicklung des Por-Kopf-Einkommens

Quelle: Der Berliner Wohnungsmarkt Bericht 2005


Mobilität und Trend zu Ein-Personen-Haushalten

Insgesamt gibt es in Berlin derzeit rund 1,88 Millionen Wohnungen. In den vergangenen zehn Jahren zogen rund 1,2 Millionen Menschen in die Stadt. Etwa ebenso viele Personen haben Berlin den Rücken gekehrt. Innerhalb Berlins fanden in diesem Zeitraum mehr als vier Millionen Umzüge statt. Allein im Jahr 2004 haben mehr als 383.000 Haushalte innerhalb der Stadt ihren Wohnort gewechselt. Im Vergleich ist die Fluktuationsrate in den Bezirken Mitte mit 12,2% und Friedrichshain-Kreuzberg mit 13,4% mit Abstand am höchsten. Dagegen ist in Steglitz-Zehlendorf (7,8%) und Reinickendorf (7,5%) die Fluktuation deutlich unterdurchschnittlich. Trotz eines leichten Rückgangs der Bevölkerungszahl existierten 2004 knapp 62.000 Haushalte mehr als zehn Jahre zuvor. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der starken Zunahme von Ein- und Zwei-Personen-Haushalten. Die Summe dieser beiden Haushaltstypen hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt um 137.300 erhöht. Ihr Anteil an allen Haushalten liegt nunmehr bei 81%. Besonders stark ist dieser Prozess im Ostteil vorangeschritten. Hier lag der Anteil von Ein- und Zwei-Personen-Haushalten 1995 noch bei 41% und stieg auf inzwischen über 49%. Der Trend zu einer Verkleinerung der Haushaltsgröße und zur Zunahme der Single-Haushalte hat sich insbesondere in den zurückliegenden vier Jahren in den innerstädtischen und innenstadtnahen Bereichen abgezeichnet und er wird sich nach Einschätzung der Autor/innen der Studie weiter fortsetzen. So hat allein in Friedrichshain-Kreuzberg die Zahl der Haushalte zwischen 2000 und 2004 um mehr als 15% zugenommen. Dass gleichzeitig dort der Wohnungsleerstand zugenommen hat, ist ein Indiz für den Mangel an erschwinglichem Wohnraum auch in diesem Stadtteil.

"Rückgang des Angebots"

Bezahlbar sind die Preise nur für zahlungskräftige Mieter. Und auf die setzt offenbar der Senat. "Im Vergleich der Berliner Wohnungsmarktsituation mit der in anderen deutschen Großstädten wird deutlich, dass Berlin im Gegensatz zu wirtschaftlich prosperierenden Räumen, wo die Wohnungsmarktsituation deutlich angespannter ist, aufgrund der verhältnismäßig günstigen Bedingungen auf der Angebotsseite einen attraktiven Standortvorteil, insbesondere für zuziehende Haushalte mit gutem Einkommen, besitzt und damit die Ansiedlung neuer Unternehmen spürbar unterstützt."

Allerdings erwarten Expert/innen, die im Rahmen des Wohnungsmarktberichts nach ihren Prognosen befragt wurden, in Zukunft "eine angespannte Marktlage" in Berlin. So sei vor allem eine starke Nachfrage nach preisgünstigen Wohnungen zu erwarten. Gleichzeitig müsse für das mittlere Preissegment von einer sich verschlechternden Situation ausgegangen werden. "Teilmarktbezogen ist durch Wohnungsabrisse, Umnutzungen, Umwandlungen, Modernisierungen, dem Auslaufen von Wohnungs- und Mietpreisbindungen am ehesten im unteren und mittleren Preissegment mit einem tendenziellen Rückgang des Angebots zu rechnen."

Sowohl der aktuelle 4. Wohnungsmarktbericht 2005 als auch die vorigen Ausgaben können als PDF-Datei von der Website der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung heruntergeladen werden: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsmarktbericht

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