MieterEcho 317/August 2006: Der zweite Aufguss ...

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MieterEcho 317/August 2006: Inhalt

Quadrat PRIVATISIERUNG

Der zweite Aufguss ...

... oder was der Ruf nach einem Gesamtkonzept für die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften gebracht hat

Chaim Reich

Als die WBM (Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH) wegen eines negativen Jahresabschlusses Anfang dieses Jahres ins Gerede kam, wurde zunächst der Verkauf der Gesellschaft, dann der Verkauf von größeren, später von kleineren Beständen erörtert. Nachdem aber die verantwortlichen politischen Parteien zur Einsicht gelangt waren, dass es besser sei, vor den Wahlen durch unpopuläre Maßnahmen lieber keine Wählerstimmen zu riskieren, tauchte der Ruf nach einem Gesamtkonzept für die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften auf.

Man müsse eine Gesamtkonzept haben, forderte Herr Dr. Nelken von der Linkspartei/PDS, ein Gesamtkonzept muss her, setzte Herr Müller von der SPD dagegen und auch Herr Kaczmarek von der CDU entdeckte das Fehlen eines Gesamtkonzepts.

Die Stunde schlug den Grünen. Sie konnten nicht nur den gesamtkonzeptuellen Mangel bei den Regierungsparteien denunzieren, sondern stolz auf ein eigenes Gesamtkonzept verweisen. Und damit waren sie neben der FDP, deren Gesamtkonzept in der Privatisierung des gesamten öffentlichen Vermögens, einschließlich der Wohnungsbaugesellschaften, besteht, die einzigen, die über ein solches Wunderwerk verfügten. Obwohl bereits angestaubt und seinerzeit von der Tagespresse nur als Kuriosität erwähnt, später von politischen Konkurrenten genüsslich und mit viel Häme zitiert, wurde nun das aus dem Jahre 2003 stammende Konzept der wohnungspolitischen Sprecherin der Grünen, Barbara Oesterheld, für die Wahlen neu aufbereitet. Will man also in die grüne wohnungspolitische Zukunft schauen, muss man daher zunächst den Blick zurückwenden.

Konzept aus der Schublade

Frau Oesterheld wollte mit ihrem Konzept den "wohnungspolitischen Handlungsspielraum erhalten", denn, so prophezeite sie damals, "lassen wir den Senat und die Wohnungsunternehmen so weiter agieren wie bisher, wird das Land Berlin in zehn Jahren keine einzige städtische Wohnung mehr besitzen." Woher hatte sie dieses düstere Bild? Dachte sie an die verkaufsfreudige rot-rote Koalition? Gewiss auch das, aber nicht in erster Linie: "Die Notwendigkeit eines solchen Konzepts ergibt sich einerseits aus der katastrophalen finanziellen Situation der städtischen Wohnungsunternehmen, denen nicht mit Milliarden aus dem Landeshaushalt geholfen werden kann und andererseits aus den Absichten des Finanzsenators Sarrazin, schnelles Geld über den Verkauf von Gesellschaften einnehmen zu können und dabei die wohnungspolitischen Aspekte zu missachten." Starker Tobak, der einer Erläuterung bedurfte.

Ein Gutachten und die Folgen

Eine beigefügte "Analyse der wirtschaftlichen und finanziellen Situation der städtischen Wohnungsunternehmen" belehrte dann auch:

Die Analyse beschäftigte sich außerdem mit den Privatisierungsverpflichtungen, den Verlusten bei Bauträgertätigkeiten und Projektentwicklungen, wandte sich dem Wohnungsleerstand zu, vergaß die Anschlussförderung ebenso wenig wie die Aufwendungsdarlehen und tangierte schließlich die 1,8 Milliarden Euro hohe Entnahme durch den Senat, die In-Sich-Geschäfte, die virtuellen Grundstücksverkäufe, die Sonderdividenden und die frühzeitige Ablösung durch Aufwendungsdarlehen. Ein Mammutwerk! Auf zweieinhalb Seiten!

Plädoyers für Privatisierung

Die Volksvertreterin hat sich viel Mühe gegeben, könnte denken, wer nicht weiss, dass es sich nur um den Extrakt eines Gutachtens der Beraterfirma Ernst & Young handelte. Dieses Gutachten über die kommunalen Wohnungsbauunternehmen wurde 2003 erstellt, um den Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft GSW zu rechtfertigen. Alle Beraterfirmen und besonders die global agierenden haben ein eigenes Interesse an der Privatisierung öffentlichen Vermögens. Ihre Gutachten sind nie unvoreingenommene Betrachtungen, die zu neutralen Einschätzungen kommen, sondern immer nur Plädoyers für die Privatisierung - mit pseudosachlicher Argumentation. So erfuhr auch folgerichtig die GSW in diesem Gutachten eine ganz besonders ungünstige Beurteilung - als vorweggenommene Rechtfertigung für den kurz danach vollzogenen Billigverkauf an Cerberus & Co. Die Einschätzungen der Gutachter haben etwas beklemmend Willkürliches. Eine - auch von Frau Oesterheld skandalisierte - hohe Fremdkapitalquote ist durchaus nicht ungewöhnlich. Das Entscheidende ist, ob die Fremdkapitalkosten getragen werden können und damit hatten und haben die Unternehmen überhaupt keine Schwierigkeiten. Die WBM ist absolut nicht der Regelfall, sondern sie ist eine Ausnahme, zu der sie die politischen Verhältnisse gemacht haben. Die Buchwerte sind alles andere als "fantastisch". Sie entsprechen der üblichen Bewertung. Wer den Seitenhieb auf die Instandsetzungen ernst nehmen möchte, sollte sich erst einmal informieren, wie viel Cerberus, der neue Eigentümer der GSW, dafür aufwendet. Derart tendenziöser Darstellung gehört nicht allzu viel Aufmerksamkeit gewidmet. Ihr Zweck war, einmal mehr die Unfähigkeit der öffentlichen Hand zu wirtschaftlichem Handeln zu behaupten und dabei ihre sozialen Aufgaben vollständig auszublenden.

Frau Oesterheld aber sah darin offenbar das geeignete Material für die Grundlage des inzwischen verfeinerten grünen Gesamtkonzepts. Dessen Voraussetzung ist, dass die öffentlichen Bestände nur zu retten sind, wenn sie privatisiert werden. Von den seinerzeit noch ca. 300.000 Wohnungen (inzwischen sind es weniger als 270.000) im öffentlichen Bestand wollte sie 140.000 auf den Markt schleudern, den Rest gedachte sie "progressiv zu entstaatlichen", nämlich einer Stiftung zu übertragen.

Man hätte die Sache gerne der Vergessenheit überantwortet, doch dieses Gesamtkonzept wurde erst unlängst von der Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig auf einer öffentlichen Veranstaltung wiederbelebt und verbirgt sich hinter der Wahlkampfaussage: "Wir Bündnisgrünen haben dafür schon 2003 ein Gesamtkonzept vorgelegt. Unser Ziel: In allen Bezirken muss ein angemessenes Mindestkontingent an städtischen Wohnungen gesichert werden." (Damit sind die übrig gebliebenen Wohnungen der Stiftung gemeint, d.A.) "Die Verwaltung dieser Bestände muss in einer Hand effektiv organisiert werden und mit dezentraler Vor-Ort-Bewirtschaftung und handlungsfähigen Mieterbeiräten ausgestaltet werden. Dieses Konzept wollen wir weiterentwickeln und praktisch umsetzen. Dabei wird es leider unvermeidlich sein, den zu sichernden Bestand an öffentlichen Wohnungen durch weitere Wohnungsverkäufe (ca. 140.000, d.A.) zu konsolidieren."

Angereichert wurde das Gesamtkonzept der Frau Oesterheld durch die von Frau Eichstädt-Bohlig seit Jahrzehnten bekannten Losungen: "Wir setzen (...) vor allem auf Mieterprivatisierungen, auf Ausgründungen in Genossenschaften und auf Siedlungsteilprivatisierungen an sozial verantwortliche Eigentümer/innen, Immobilienfonds und Hausbesitzer/innen."

Stiftung für die Armen

Ein Gesamtkonzept von wahrhaft historischer Dimension. In der Mitte des 19. Jahrhunderts herrschten in Berlin die Eigentümer mit entsprechendem Stimmrecht bei Wahlen und daraus folgendem politischen Einfluss. Eine Klientel, der sich die liberale grüne Spitzenkandidatin sehr verbunden fühlt. Mit ihrer Förderung und der Übertragung der Restbestände der öffentlichen Wohnungen an eine Stiftung hätten wir in Berlin eine Situation wie zu Zeiten der nach dem Zaren benannten Alexanderstiftung. Ein Programm für ein mutiges Vorwärts in die Vergangenheit.

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