MieterEcho 317/August 2006: Gesellschaftlich ein Irrweg

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Quadrat PRIVATISIERUNG

Gesellschaftlich ein Irrweg

Zeitung des Berliner Bündnisses gegen Privatisierung

 

Im Folgenden dokumentieren wir ein leicht gekürztes Interview der "privare" mit Gerlinde Schermer, der Sprecherin des Donnerstagskreises der SPD.

privare: Frau Schermer, halten Sie Privatisierungen für grundsätzlich falsch?

Gerlinde Schermer: Ja! Das Land Berlin hat die meisten und frühesten Erfahrungen mit dem Verkauf öffentlichen Eigentums. Keiner dieser Verkäufe an Private ist ein Erfolg geworden. Bei Gas, Wasser und Strom steigen die Preise, und zwar stets wegen der Rendite für die Erwerber. Und dabei ist nicht einmal berücksichtigt, dass durch Entlassungen, Lohnsenkungen und Kürzungen der Investitionen die Steuereinnahmen sinken und die Belastungen des Sozialsystems steigen. Gesellschaftlich und volkswirtschaftlich ist dieser Weg ein Irrweg.

Mit der Zauberformel Public-Private-Partnership (PPP), also dem partnerschaftlichen Zusammenwirken von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft, sollen im Bezirk Reinickendorf Schulen privatisiert werden. Was haben Eltern und Schüler/innen zu befürchten?

GS: Berlin hat zwei große Beispiele von PPP - die Bankgesellschaft (1994) und die Wasserbetriebe (1999). Mehr braucht man eigentlich nicht zu sagen. Vordergründig geht es um die Sanierung aller Schulen zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Dabei werden die Bauleistungen teurer erbracht, als wenn der Staat sie selbst vornehmen würde. Überdies bindet sich der Staat für 20 bis 30 Jahre an einen Privaten, der diese Schule an diesem Ort betreibt. Die Schülerzahlen sinken aber teilweise dramatisch. Viele Schulen wird man bald nicht mehr brauchen oder anderen Zwecken zuführen müssen. Anderswo müssen Schulen gebaut werden. Wenn der Staat diese Veränderungen vornehmen will, muss er diese als Vertragsänderungen teuer bezahlen. Den Schaden hat die Gesellschaft zu tragen und künftige Generationen von Kindern und Eltern.

Was bedeutet dies für die Beschäftigten und für die Zukunft des Bildungswesens?

GS: Die Hausmeister und andere nichtpädagogische Arbeitskräfte werden nach einer Übergangsphase in prekäre Beschäftigungsverhältnisse ohne soziale Sicherheit gedrängt, wie dies auch heute schon geschieht. Neue pädagogische Konzepte erfordern meist besondere räumliche Gegebenheiten und damit bauliche Umgestaltung. In Berlin hat man schon einmal den Fehler begangen mit den so genannten Mittelstufenzentren, die mit Milliardenaufwand erstellt wurden. Von diesen Mittelstufenzentren steht nicht eines mehr, das nicht gänzlich umgebaut wurde. Unter PPP würde eine solche Umgestaltung unbezahlbar.

Viele Kommunen haben mit PPP-Modellen negative Erfahrungen gemacht - offenbar ohne Wirkungen auf die politisch Verantwortlichen. Wo sehen Sie Eingriffsmöglichkeiten für die betroffenen Bürger?

GS: Politiker denken meist nur bis zu den nächsten Wahlen - die Bürger/innen leider auch! Deshalb neigen Politiker dazu, "Wohltaten" jetzt zu erbringen, die andere später bezahlen müssen. Darauf beruht der Erfolg derjenigen, die PPP-Systeme verkaufen, die Beraterbranche, die daran bestens verdient. Aufgeklärte und kritische Bürger/innen müssen die Kandidat/innen für das Abgeordnetenhaus befragen und dürfen nur diejenigen wählen, die eindeutig und unmissverständlich zusichern, keiner weiteren Privatisierung und keiner PPP-Maßnahme ihre Stimme zu geben. Ich halte auch diejenigen für nicht wählbar, die ausweichend antworten, etwa mit der Floskel: "Grundsätzlich bin ich gegen Privatisierungen und werde jeden Fall kritisch hinterfragen." Die finden immer eine Finte, die ihnen die Zustimmung ermöglicht, wenn sie erst gewählt sind.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Christian Linde.

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