MieterEcho 317/August 2006: Drohende Räumungsklagen

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MieterEcho 317/August 2006: Inhalt

Quadrat MIETRECHT AKTUELL

Drohende Räumungsklagen

Durch das "Optimierungsgesetz" und Urteile des Bundesgerichtshofs verschärft sich die Situation für Mietschuldner

Christian Linde

Immer mehr Menschen in Deutschland geraten in die Schuldenfalle. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen hat im ersten Quartal des Jahres mit knapp 30.000 einen neuen Höchststand erreicht, so das Statistische Bundesamt. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres hatte es noch rund 20.000 Anträge auf Privatinsolvenz gegeben.

Hauptgründe sind laut Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung sinkende Einkommen in den unteren Gehaltsgruppen, die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die wachsende Angst vor einer Verschärfung des Insolvenzrechts. Insgesamt sind in Deutschland mehr als 3,1 Millionen Haushalte überschuldet. Mit von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz geschätzten rund 170.000 Haushalten ist Berlin die Hauptstadt der Überschuldung. Allein die 10%, die bei den Beratungsstellen registriert sind, stehen nach Angaben der LAG SIB (siehe unten) bei ihren Gläubigern mit rund 500 Millionen Euro in der Kreide. Bereits in den ersten drei Monaten des Jahres 2006 meldeten die Amtsgerichte dem Statistischen Landesamt knapp 2100 beantragte Insolvenzverfahren. Damit nahm die Anzahl der Verfahren um knapp ein Drittel zu und die Gläubigerforderungen stiegen gegenüber dem Vorjahr um knapp 20%.

Als Hauptursache für die Überschuldung in Berlin nennt die LAG SIB neben der Arbeitslosigkeit vor allem die Folgen des Arbeitsplatzverlustes. Hinzu kommt, dass der Anteil der Erwerbstätigen mit geringem Einkommen immer weiter wächst. Gleichzeitig wird die Rückkehr in tariforientierte Bezahlung immer unwahrscheinlicher.

Art der Schulden

Mehr als zwei Drittel aller von Privathaushalten angehäuften Schulden stammen aus dem Konsum, der häufig mit Krediten, Kauf auf Raten und überzogenen Konten finanziert wird. Immer weiter oben auf der Schuldenhitliste stehen jedoch nicht mehr tragbare Miet- und Energiekosten. Nach Angaben des Zentralverbands der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer haben sich im letzten Jahr die Mietschulden bundesweit auf 2,2 Milliarden Euro erhöht. Dies bedeutet eine Steigerung von rund 10%. Grundlage der Hochrechnung seien Stichproben, wonach sich bundesweit ein durchschnittlicher Mietrückstand von 120 Euro pro Wohnung ergeben habe.

Mietschulden steigen

Auch die Wohnungswirtschaft in Berlin schlägt Alarm. Nach Auskunft des Verbands der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) liegen die Mietschulden allein bei dessen rund 150 Mitgliedsunternehmen bei rund 180 Millionen Euro. Neben der Arbeitslosigkeit macht auch der BBU die steigenden Energiepreise für die Verschuldungssituation der privaten Haushalte und damit die Bildung von Mietrückständen verantwortlich. Allein seit 2004 haben die Berliner Wasserbetriebe den Tarif um über 20% und die ehemals kommunale und seit 1998 voll privatisierte Gasag innerhalb von 18 Monaten die Preise um 30% erhöht. Diese sind mitverantwortlich dafür, dass in Berlin aufgrund von Schulden jedes Jahr mehr als 6000 Menschen ihre Wohnung verlieren. Laut der letzten statistischen Erhebung durch die Senatssozialverwaltung erhielten die bezirklichen Sozialämter von den Gerichtsvollziehern im Jahr 2004 insgesamt 6187 Mitteilungen über Zwangsräumungen. Dem waren rund 12.500 Räumungsklagen vorausgegangen.

Mietschuldenübernahme für ALG-II-Beziehende neu geregelt

Haushalte, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Miete aus eigener Kraft zu bezahlen, haben laut Gesetz die Möglichkeit, die Übernahme der Mietschulden zu beantragen. Die bisherige Regelung für ALG-II-Beziehende, nach der das Jobcenter nur in den Fällen die Mietschulden übernehmen soll, in denen aufgrund des Wohnungsverlustes die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Arbeit infrage gestellt wäre, ist mit dem "Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende" außer Kraft gesetzt. "Sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht", lautet die neue Regelung im Sozialgesetzbuch (SGB) II. Das heißt, eine Mietschuldenübernahme bleibt eine Kann-Bestimmung und liegt nach wie vor im "Ermessen" des jeweiligen Sachbearbeiters. "Gerechtfertigt" ist die Mietschuldenübernahme nach der bisherigen Praxis der Jobcenter nur dann, wenn die Miethöhe nicht die vom SPD/PDS-Senat festgelegten Grenzen bei den Unterkunftskosten für ALG-II-Beziehende überschreitet. "Übersteigt die Miete dieses Limit, lehnt das Jobcenter die Übernahme ab", weiß Ramona Karthe vom Deutschen Familienverband und Schuldnerberaterin im Bezirk Pankow.

Seit dem 01.08.2006 ist mit dem so genannten Optimierungsgesetz das Sozialamt nach § 34 SGB XII für die Übernahme von Mietschulden von ALG-II-Beziehenden zuständig. Allerdings: Voraussetzung für die Hilfemaßnahme ist der vorherige Einsatz des so genannten Schonvermögens und die Maßnahme wird ausschließlich auf Darlehensbasis gewährt. Die Rückzahlung erfolgt in Raten, die bei ALG- II-Beziehenden aus der Grundsicherung von 345 Euro bestritten werden muss. Bis zu 50 Euro pro Monat behält das Jobcenter ein. "Der Griff in die Mietenkasse erfolgt in der Regel, weil das schmale Budget des ALG II für den Lebensunterhalt nicht ausreicht. Dass die Tilgung der Mietschulden aus der Grundsicherung zu neuen Mietschulden führen kann, ist fast zwangsläufig", meint Ramona Karthe. Die Schuldnerberaterin befürchtet nicht nur eine Zunahme der Mietschulden, sondern auch eine steigende Zahl von Wohnungsverlusten. So würde die Darlehensgewährung durch die Jobcenter zu restriktiv gehandhabt. "Hat ein Bewohner Mietschulden und bereits ein Darlehen, etwa für eine Waschmaschine bewilligt bekommen, verweigert das Jobcenter weitere Darlehen - selbst wenn dann die Zwangsräumung droht", berichtet Karthe. Wird aber dennoch ein Darlehen gewährt, schließt dieses aufgelaufene Anwalts- und Gerichtskosten aus und bezieht sich lediglich auf die Mietschuld. Das Problem, so Karthe, sei nicht das Bundesgesetz, sondern dessen Auslegung durch das Land Berlin.

Wohnungsunternehmen fordern "Entmündigung"

Gleichzeitig sei die Praxis in den einzelnen Jobcentern so unterschiedlich, dass es in der Folge zu Zahlungsverzögerungen und damit zu Mietrückständen komme. Aus der Sicht von Schuldnerberatern müsste "die volle Übernahme der Mietschulden ohne wenn und aber" erfolgen. Der BBU fordert deshalb einen direkten Zahlungsverkehr zwischen Behörde und Hauseigentümer. "Die Jobcenter sollen mehr von der gesetzlichen Möglichkeit der Direktzahlung der Wohnungsmiete an die Vermieter Gebrauch machen, um von vornherein Mietschulden zu vermeiden", forderte Wolfgang Bohleber, Geschäftsführer des BBU, in einer Presseerklärung im August. Gesetzliche Voraussetzung hierfür wäre die schriftliche Einwilligung der ALG-II-Mieter/innen. Während sich Neukölln mit der Begründung, dass dies eine "Entmündigung" der Betroffenen bedeuten würde, grundsätzlich weigert, stimmen Reinickendorf und Tempelhof-Schöneberg einer "Einzelfallprüfung" zu bzw. weichen beim Vorliegen besonderer Schwierigkeiten wie Suchtproblemen von ihrer prinzipiell ablehnenden Haltung ab. Die derzeitige Gesetzeslage sieht nämlich vor, dass die Unterkunftskosten grundsätzlich an den Hilfebedürftigen gezahlt werden müssen. Wenn jedoch nicht sichergestellt ist, dass dieser das Geld "zweckentsprechend" verwendet, sollen die Zahlungen direkt an den Vermieter gehen (§ 22, Absatz 4 SGB II). Einige Jobcenter beugen sich inzwischen dem Drängen der Wohnungswirtschaft. So will Treptow-Köpenick auf Vorschlag des Bezirksbürgermeisters zukünftig Abtretungserklärungen von Mieter/innen akzeptieren und auf Hauseigentümer zugehen. Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich der Forderung des BBU vorbehaltlos angeschlossen. Das ist das Ergebnis eines "Runden Tisches" aus Vertretern der Bezirke, Jobcenter und Wohnungsunternehmen.

Mietschulden in der Rechtsprechung

Mieter/innen müssen zunehmend auch die Justiz fürchten. Eine Reihe von Gerichtsurteilen hat die Position des Mieters gegenüber dem Vermieter spürbar verschlechtert. So wird der Spielraum für Mietschuldner auch aufgrund der Rechtsprechung enger. Haben Gerichte in der Vergangenheit in der Regel für die Mieterseite entschieden, läutet ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) eine neue Praxis zugunsten der Vermieter ein: Konnten säumige Mieter/innen bislang durch einen Ausgleich des Mietrückstands sowohl die fristlose als auch die fristgemäße Kündigung vermeiden, ist dies jetzt nur noch möglich, wenn Mieter/innen unverschuldet in einen finanziellen Engpass geraten sind. Hintergrund ist ein Verfahren vor dem Landgericht Berlin, dessen Urteil der BGH aufgehoben und an die Kammer zurückverwiesen hat. Die zuständige Kammer müsse prüfen, warum die Mieter/innen mit der Zahlung der Miete in Rückstand geraten sind und ob der Zahlungsrückstand demzufolge als eine von ihnen "verschuldete Pflichtverletzung" zu werten sei (Az. VIII ZR 6/04, abgedruckt in MieterEcho Nr. 310).

In einem anderen Urteil (Az. VIII ZR 364/04, abgedruckt in MieterEcho Nr. 316) haben die Karlsruher Richter die Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters bei mehrfacher unpünktlicher Mietzahlung ausgeweitet. So kann es nach dem vom BGH gesprochenen Urteil einen Kündigungsgrund darstellen, wenn die Miete trotz Abmahnung wiederholt unpünktlich gezahlt wird. Das Gericht hat mit seiner Entscheidung festgestellt, dass bei wiederholter verspäteter Zahlung eine pünktliche Mietzahlung erfolgen muss. Treten in der Folge erneut Unregelmäßigkeiten auf, kann die Kündigung bereits bei einmaliger Verzögerung ausgesprochen werden.

Zwangsräumung leicht gemacht

Eine weitere folgenschwere Entscheidung für Mieter/innen hat der BGH Ende November vergangenen Jahres getroffen, unter Juristen inzwischen als "Berliner Räumung" (Az. I ZB 45/05, abgedruckt in MieterEcho Nr. 315) bekannt. War die Konsequenz einer "erfolgreichen" Räumungsklage bis dato mit erheblichen Kosten verbunden, hat der Bundesgerichtshof durch sein Urteil eine kostengünstigere Räumungsmöglichkeit für den Vermieter eröffnet: Auf die Rechtsbeschwerde eines Vermieters wurde die Gerichtsvollzieherin mit vorliegendem Urteil des BGH angewiesen, die Vollstreckung der Herausgabe der Wohnung nicht von der Zahlung des für den Abtransport geltend gemachten Kostenvorschusses abhängig zu machen.

Alle drei Entscheidungen des BGH sind lange vor der Neuregelung der Mietschuldenübernahmepraxis gefällt worden. Eingang in die Ausgestaltung des "Optimierungsgesetzes" durch den Bundesgesetzgeber zugunsten der Mieter/innen haben die Urteile nicht gefunden.

Beratung bei Mietschulden

Informationsabende mit Jurist/innen und Sozialarbeiter/innen zu sozialrechtlichen Fragen sowie Unterstützung beim Ausfüllen von Anträgen auf ALG II, auf Wohngeld, auf Beratungs- oder auf Prozesskostenhilfe: Jeden Dienstag um 19 Uhr in der Geschäftsstelle der Berliner MieterGemeinschaft, Möckernstraße 92, 10963 Berlin.

Öffentlich geförderte und gemeinnützige Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen:
Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin e.V. (LAG SIB), Genter Straße 53, 13353 Berlin
http://www.schuldnerberatung-berlin.de

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