MieterEcho 316/Juni 2006: Schöner Wohnen mit dem Jobcenter

MieterEcho

MieterEcho 316/Juni 2006

 HARTZ IV

Schöner Wohnen mit dem Jobcenter

Wie sich die Behördenmitarbeiter in die Wohnsituation von ALG-II-Beziehenden einmischen

Klaus Nolden

Für arbeitslose Mieter/innen in Berlin und anderswo scheint es zunehmend normal, dass die eigenen Wohnungsangelegenheiten nicht mehr ausschließlich sie und ihren Vermieter betreffen. In der Hauptstadt sind es die bezirklichen Jobcenter, die seit dem 01.01.2005 rund ums Wohnen mitreden. Die Jobcenter wiederum funktionieren - als Arbeitsgemeinschaften aus ehemaligem Bezirkspersonal der Sozialämter und Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit - auch fast zwei Jahre nach Inkrafttreten des SGB II überwiegend eher schlecht als recht.

Die "Reform" und der unselige Druck des damaligen Ministers überfordert bis heute sichtlich die Mitarbeiter der zusammengewürfelten neuen Behörden. In Berlin verschwanden dann auch schon mal ALG-II-Akten zu Tausenden (in Neukölln und Mitte) und in Reinickendorf durfte nicht in Wohnungen, die 20 Euro zu teuer waren, umgezogen werden. Für arbeitslose Mieter/innen ist das Jobcenter damit zum neuen Wohnungsamt mit Vergabe- und Entzugsrechten mutiert. Behördenmitarbeiter entscheiden für Zehntausende Erwerbslose und ihre Angehörigen, wie und wo in der Stadt gewohnt werden darf.

Bei Mieter/innen, die Sozialhilfe empfingen, hatte das Sozialamt schon immer den Fuß in der Wohnungstür und bestimmte Größe und Kosten der Wohnung entscheidend mit. Diesen Mieter/innen drohte bis zum Jahresende 2004 schon bei einer um zwei Quadratmeter zu großen Wohnfläche ein Nein des Sachbearbeiters zum Verbleib in der bisherigen oder zum geplanten Umzug in eine neue Wohnung.

Seit dem 01.01.2005 erhalten nun auch arbeitslose Mieter/innen in zunehmendem Maß die Aufforderung, ihre Wohnkosten entweder durch Aufnahme von Untermietern oder durch Umzug zu reduzieren. Dies wird verbunden mit der Ankündigung, dass die Unterkunftskosten in Zukunft nicht mehr vollständig übernommen würden, da sie nicht angemessen seien. Dabei reichen die anerkannten Pauschalen oft nicht aus, um die Heizkosten zu bezahlen und berücksichtigen nicht die individuelle Wohnsituation.

In Berlin wurden die Quadratmeterzahlen für den als angemessen angesehenen Wohnraum gegenüber bisherigen Regelungen der Sozialhilfe nicht abgesenkt. Allerdings sind in der Hauptstadt in vielen Bezirken zu den anerkannten Mietpreisen der AV-Wohnen keine freien Wohnungen verfügbar. Die Berücksichtigung der "tatsächlichen Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarkts", des "örtlichen Mietspiegels" sowie der "familiären Verhältnisse" gelten bisher aber nur für Beziehende von SGB-XII-Leistungen, also für Nicht-Erwerbsfähige wie Behinderte und Rentner/innen. Die Ungleichbehandlung von erwerbsfähigen Arbeitslosen ist nicht nachvollziehbar.

Ziehen künftig arbeitslose Mieter/innen aus ihrer Wohnung mit bisher angemessenen Kosten in eine andere Wohnung um, die zwar teurer, aber immer noch angemessen ist, dann sollen für die neue Wohnung nur die bisherigen Kosten übernommen werden. Arbeitslose Mieter/innen wohnen aber häufig in sozial problematischen Wohnvierteln, Wohnungen mit schädlichen Emissionen oder kalten oder sehr engen Wohnungen. Die Träger der Grundsicherung erkennen in diesen Fällen nur selten die Notwendigkeit des Umzugs an. Alleiniges Kriterium für die Übernahme der Kosten der Unterkunft ist deren Angemessenheit.

Einzelne Jobcenter in der Hauptstadt scheuen sich bis heute nicht, unselige Traditionen aus Sozialhilfezeiten ungerührt fortzusetzen. In Notfällen, wenn Mieter/innen der Wohnungsverlust droht, helfen sie nur zögerlich bis widerspenstig. So mussten in Reinickendorf und Tempelhof-Schöneberg ALG-II-Beziehende mit Wohnraumkündigung auch nach dem 01.01.2005 von ihren Sachbearbeitern hören, sie sollten erst wiederkommen, wenn eine Räumungsklage vorliegt.

Berliner Infotelefon zu "Umzugsaufforderungen nach Hartz IV"

Nach dem Regelwerk der AV-Wohnen werden die Wohnkosten für die Dauer eines Jahres ab Beginn des ALG-II-Bezugs in der tatsächlichen Höhe übernommen. Anschließend fordern die Jobcenter dazu auf, die Wohnkosten innerhalb einer Frist von sechs Monaten zu senken. Wenn dies nicht erfolgt, müssen die ALG-II-Beziehenden die Wohnung wechseln oder die übersteigenden Ausgaben aus nicht anrechenbaren Einkünften selbst tragen. Noch weiß niemand genau, wie viele Menschen solche Aufforderungen bereits erhalten haben oder noch bekommen werden. Presseberichte über drohende Zwangsumzüge bereiten Arbeitslosen und Niedriglöhner/innen zunehmend Sorgen. Das Berliner Arbeitslosenzentrum und die Berliner MieterGemeinschaft haben mit Unterstützung der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt für Betroffene ein Beratungstelefon eingerichtet.

Berliner Infotelefon zu "Umzugsaufforderungen nach Hartz IV"
Tel.: 030 – 80 90 82 42
Das Telefon ist montags und mittwochs von 17 bis 19 Uhr besetzt.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 316