MieterEcho 315/April 2006: Urteil: Beschränkung einer "Räumung" auf die Herausgabe der Wohnung

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MieterEcho 315/April 2006

 RECHT UND RECHTSPRECHUNG

Beschränkung einer "Räumung" auf die Herausgabe der Wohnung

Der Gläubiger kann die Zwangsvollstreckung nach § 885 ZPO auf eine Herausgabe der Wohnung beschränken, wenn er an sämtlichen in den Räumen befindlichen Gegenständen ein Vermieterpfandrecht geltend macht. Auch wenn in einem solchen Fall Streit zwischen den Parteien des Vollstreckungsverfahrens nach § 885 ZPO darüber besteht, ob alle beweglichen Sachen des Schuldners vom Vermieterpfandrecht erfasst werden, hat der Gerichtsvollzieher nicht eine Räumung der Wohnung nach § 885 Abs. 2 bis 4 ZPO vorzunehmen.

BGH, Beschluss vom 17.11.2005 - I ZB 45/05 -

Die Mieter waren aufgrund des Versäumnisurteils des Amtsgerichts Neukölln verurteilt, ihre Wohnung zu räumen und geräumt an den Vermieter herauszugeben. Daraufhin beauftragte der Vermieter die Gerichtsvollzieherin zunächst mit der Herausgabe- und Räumungsvollstreckung. Zugleich wies er im Auftragsschreiben darauf hin, dass er an sämtlichen in der Wohnung befindlichen Gegenständen der Mieter sein Vermieterpfandrecht wegen rückständiger Miete geltend mache und dem Abtransport der Sachen widerspreche. Anschließend beschränkte er seinen Auftrag ausdrücklich auf die Herausgabe der Wohnung.

(Anmerkung: Ein Räumungstitel ist grundsätzlich sowohl auf die Herausgabe der Wohnung als auch auf die Räumung, d. h. die Entfernung der Sachen des Schuldners aus der Wohnung gerichtet.)

Die Gerichtsvollzieherin machte die Ausführung (des geänderten) Auftrags von der Zahlung eines Vorschusses in Höhe von 3000 Euro für die voraussichtlichen Kosten der Vollstreckung geltend. Diese Kosten waren nach ihrer Ansicht für den Abtransport derjenigen Gegenstände erforderlich, die wegen ihrer Unpfändbarkeit nicht vom Vermieterpfandrecht erfasst werden.

Dagegen legte der Vermieter als Rechtsbehelf Erinnerung beim Amtsgericht ein, weil er den Kostenvorschuss für unangemessen hoch erachtete. Das Amtsgericht wies die Erinnerung zurück. Die anschließend eingelegte Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung wurde vom Landgericht Berlin zurückgewiesen. Das Landgericht Berlin führte in seiner Begründung aus, dass eine isolierte Herausgabevollstreckung gesetzlich nicht vorgesehen sei und dem Herausgabeanspruch des Schuldners nach der Vorschrift des § 885 Abs. 3 Satz 2 ZPO zuwiderliefe. Dort sei vorgesehen, dass der Gerichtsvollzieher die Fortschaffung der genannten Sachen zu veranlassen und unpfändbare Sachen auf Verlangen des Schuldners sofort herauszugeben habe. Hierbei habe der Gerichtsvollzieher auch zu prüfen, auf welche Sachen sich das Vermieterpfandrecht erstrecke und welche unpfändbar seien. Der Herausgabeanspruch des Schuldners (des Mieters) werde vereitelt, wenn der Gerichtsvollzieher sämtliche Sachen in der Wohnung belassen müsse. Da sich nach der Lebenserfahrung in fast jeder Wohnung unpfändbare Sachen des Mieters befänden, habe die Gerichtsvollzieherin zu Recht die Vollstreckungshandlung von der Zahlung eines angemessenen Vorschusses für die Bereitstellung eines Transportunternehmens abhängig gemacht.

Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hin hob der Bundesgerichtshof die Beschlüsse des Amtsgerichts Neukölln und des Landgerichts Berlin auf und wies die Gerichtsvollzieherin an, die beantragte Herausgabevollstreckung nicht von der Zahlung eines Vorschusses für den Abtransport der beweglichen Sachen der Mieter abhängig zu machen. Der von der Gerichtsvollzieherin bestimmte Kostenvorschuss sei deshalb zu hoch bemessen, weil er auch die Kosten für die voraussichtliche Entfernung von beweglichen Sachen der Mieter umfasse, obwohl der Vermieter die Zwangsvollstreckung auf die Herausgabe der Wohnung beschränkt habe.

Der Bundesgerichtshof gelangte zu dem Ergebnis, dass ein Vermieter den Auftrag zur Zwangsvollstreckung gemäß § 885 ZPO insoweit beschränken könne, als er im Rahmen seines Vermieterpfandrechts der Entfernung von Gegenständen aus der Wohnung widerspreche. Das gesetzliche Vermieterpfandrecht sei vorrangig gegenüber den Vorschriften in § 885 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 ZPO, die eine Entfernung der nicht zu vollstreckenden Sachen vorsehen.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs hat der Gerichtsvollzieher bei der Durchführung der so genannten Herausgabevollstreckung nicht zu prüfen, ob die in der Wohnung befindlichen Gegenstände vom Vermieterpfandrecht erfasst werden oder möglicherweise unpfändbar sind. Hierfür sei der Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan grundsätzlich nicht zuständig. Die materiell-rechtlichen Rechte und Ansprüche der Parteien müssten daher gegebenenfalls durch die Gerichte, nicht jedoch durch die Vollstreckungsorgane entschieden werden.

Durch das Zulassen der Herausgabevollstreckung würden schutzwürdige Belange des Mieters nicht in einem Ausmaß betroffen, dass von einer Herausgabe begrenzten Zwangsvollstreckung abgesehen werden müsste. Es würde lediglich die in § 885 Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmte Unterbringung der beweglichen Sachen des Mieters durch den Gerichtsvollzieher durch die Verwahrungspflicht des Vermieters ersetzt. Komme der Vermieter dem Verlangen des Mieters auf Herausgabe der unpfändbaren Sachen nicht nach, mache er sich zum einen schadensersatzpflichtig, zum anderen könne der Mieter den Vermieter auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auf Herausgabe (der unpfändbaren Sachen) in Anspruch nehmen. Schließlich könne der Mieter vor der Durchführung der Herausgabevollstreckung eine Aufschiebung (der Vollstreckung) nach Maßgabe des § 885 Abs. 1 ZPO für die Dauer einer Woche beantragen, wenn er glaubhaft mache, dass die Vollstreckungsmaßnahme nicht mit den guten Sitten zu vereinbaren sei und die rechtzeitige Anrufung des Gerichts nicht möglich war.

Da für die beantragte ausschließliche Herausgabe der Wohnung ein Vorschuss für die Kosten des Abtransports der Möbel und Sachen des Mieters nicht verlangt werden konnte, wurde die Gerichtsvollzieherin angewiesen, die Zwangsvollstreckungsmaßnahme ohne den Kostenvorschuss (in dieser Höhe) durchzuführen.

(Anmerkung: Die Herausgabe nach dem oben beschriebenen so genannten "Berliner Modell" erleichtert dem Vermieter die Zwangsräumung der Wohnung, da er mit erheblich geringeren Räumungskosten rechnen kann.)

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