MieterEcho 315/April 2006: Heuschreckenfutter oder "politische Setzung"?

MieterEcho

MieterEcho 315/April 2006

 PRIVATISIERUNG

Heuschreckenfutter oder "politische Setzung"?

Die Debatte um den öffentlichen Wohnungsbestand wird immer grotesker

Chaim Reich

Die Leichtfertigkeit, mit der die Politik die öffentlichen Wohnungsbestände behandelt, ist erschütternd. Das war vor einigen Jahren noch anders. Leichtfertigkeit konnte man der Unternehmensberaterin und SPD-Senatorin Frau Dr. Fugmann-Heesing gewiss nicht nachsagen. Sie schoss zielgerichtet die öffentlichen Wohnungsbauunternehmen privatisierungsreif.

Ihre Souveränität sucht man bei ihren Nachfolgern vergeblich. Zwar exekutierte die rot-rote Koalition 55% der seit 1990 vorgenommenen Wohnungsverkäufe und war damit wesentlich erfolgreicher als die Unternehmensberaterin, doch tat sie es seltsam verdruckst, quasi mit schlechtem Gewissen und entsprechend nassforschen Rechtfertigungen. Bereits der GSW-Verkauf wurde von dem wohnungspolitischen Sprecher der Linkspartei (seinerzeit noch PDS) Dr. Nelken in den Rang eines historischen Ereignisses gehoben. Die alten, erbärmlichen Argumente der leeren Haushaltskassen usw. fügte er zu einem "Notlagenverkauf" zusammen, dem die wackeren sozialistischen Parlamentarier ihre Zustimmung nicht verweigern durften, auch wenn sie für den Rest ihrer Tage schwer an der Verantwortung zu tragen hätten. Man litt mit ihnen.

Drohende Pleite der WBM

Das Geschäftsjahr 2004 hatte die WBM mit einem Bilanzverlust von 56 Millionen Euro abgeschlossen. Ein frohes Ereignis für alle, die Negativnachrichten von öffentlichen Wohnungsbauunternehmen entgegenfiebern, um deren Verkauf an die bereits wartenden Fonds fordern zu können. Ihnen bot sich sofort ein höchst ergötzliches Schauspiel, das die WBM-Spitze, die Fraktionen von Linkspartei und SPD und der Senat aufführten.

Der Vorstand der WBM zeigte sich im September 2005 sofort willfährig, versprach ca. 10.000 Wohnungen zu verkaufen und fügte hinzu, das Unternehmen solle auf keinen Fall abgewickelt werden. Die Stadtentwicklungssenatorin Frau Junge-Reyer flankierte, indem sie Gerüchten von der drohenden Pleite der WBM widersprach. Auf einer Betriebsversammlung im Dezember 2005 wurde den Beschäftigten die Zustimmung zu einer Arbeitszeitverlängerung von 37 auf 39,5 Stunden abverlangt und die Einstellung von Lohnerhöhungen, Weihnachts- und Urlaubsgeldzahlungen bis 2008 mitgeteilt. Verkauft werden sollten 15.000 Wohnungen.

SPD-Fraktionschef Müller, der zunächst entsprechend der SPD-Linie keine Wohnungen verkaufen wollte, überbot kurz darauf die Senatorin Junge-Reyer, die energisch für den Verkauf von 15.000 Wohnungen plädierte, indem er gleich die ganze WBM mit ca. 29.000 Wohnungen anbot. Die WBM-Führung steigerte postwendend auf 15.700 Wohnungen.

Versprechungen im Wahlkampf

Doch zur Enttäuschung der verkaufsfreudigen WBM-Elite kippte Ende Februar die Stimmung in den Fraktionen der Regierungskoalition. Das ist nicht verwunderlich, denn im September sind Wahlen, die WASG droht mit antiliberalem Wahlkampf, in dessen Fadenkreuz auch die Linkspartei geraten wird und folgerichtig sträubte sich diese, irgendwelche Wohnungsverkäufe zu akzeptieren, bevor der Senat nicht ein Gesamtkonzept vorlegen würde.

Sofort forderte auch die SPD-Fraktion ein Gesamtkonzept vom Senat und beschloss ebenfalls, keinem Wohnungsverkauf die Zustimmung zu geben. SPD-Fraktionschef Müller meinte in einem Interview, nachdem die wildesten Verkaufsabsichten - einschließlich seiner eigenen - bereits überall kursierten: "Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand ist die Situation in den Wohnungsbaugesellschaften nicht so, dass es jetzt zu sehr schnellen Wohnungsverkäufen kommen muss." Der Mann hat Humor.

Doch zu seiner Erkenntnis hatte sicherlich beigetragen, dass die SPD-Kreisverbände Mitte und Friedrichshain, in deren Bezirken sich viele Bestände der WBM befinden, gar nicht erfreut sind über die Aussicht, im Wahlkampf den Mieter/innen, ihren potenziellen Wählern, die Notwendigkeit gerade "ihre" Wohnungen an die Heuschrecken zu verfüttern, erklären zu müssen. Erste Proteste wurden aus den Kreisverbänden bereits angedroht.

"Nichts gegen staatlichen Wohnungsbau"

Selbst Herr Dr. Sarrazin hörte die Signale und kommentierte mit gewohnter Schmiegsamkeit: "Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe als Finanzsenator nichts dagegen, dass es staatliche Wohnungsbaugesellschaften gibt." Wie schön! Doch kein Grund zur Beruhigung. Verkauft sollte dennoch werden: die High Deck Siedlung der Stadt und Land (die mit der WBM nichts zu tun hat) und eventuell Teile der WBM an andere städtische Wohnungsunternehmen.

Im März verkündete der Senat schließlich, dass er sich an das Moratorium der Fraktionen weitgehend zu halten gedenke, allerdings nur bis zu den Wahlen. Wenn die vorbei seien, würde man das ursprüngliche Sanierungskonzept der WBM, 15.700 Wohnungen zu verkaufen, voll unterstützen. Bis dahin soll die WBM erst einmal um 3000 Wohnungen erleichtert werden. Bei Redaktionsschluss war dies der letzte Stand der Farce, doch noch nicht ihr Ende.

Herr Dr. Sarrazin kommentierte die Vorgänge: "In der Berliner Politik wird derzeitig diskutiert, ob eine Mindestanzahl von Wohnungen behalten werden soll, zum Beispiel 270.000. Eine solche Festlegung wäre eine politische Setzung und als solche legitim. 50.000 oder 500.000 Wohnungen wären es allerdings genauso."

Richtig! Es handelt sich beim Bestand von Wohnungen nicht um haushaltspolitische Notwendigkeiten, sondern um politische Setzungen. Das MieterEcho hat nie etwas anderes behauptet.

WBM

Zur WBM-Gruppe gehören u.a.:

Die Wohnungen der WBM werden durch die IHZ GmbH bewirtschaftet.

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