MieterEcho 315/April 2006: Wer sich nicht wehrt, heizt verkehrt

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MieterEcho 315/April 2006

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Wer sich nicht wehrt, heizt verkehrt

Gegen die Explosion der Gaspreise formiert sich bundesweiter Widerstand

Christian Linde

Ein Blick auf die Energiekostenabrechnung lässt viele Mieter/innen zittern. Denn trotz eines sparsamen Verbrauchs in der zurückliegenden Kälteperiode gehen die Kosten auch in diesem Jahr weiter steil nach oben.

Allein in Berlin hat die ehemals kommunale und seit 1998 voll privatisierte Gasag, die sich heute im Eigentum von Vattenfall (31,6%), Gaz de France (31,6%) und der Thüga AG (36,8%) befindet, innerhalb von 18 Monaten die Gaspreise um 30% erhöht. Nach bis zu 8% im Dezember 2004 und knapp 11% im Oktober 2005, flatterte den Verbrauchern zum 11.01.2006 mit 11,8% die dritte Preiserhöhung ins Haus. Während der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) aufgrund der Preisexplosion bereits im Sommer 2005 immerhin ein kartellrechtliches Prüfverfahren gegen mehrere Gasversorger eingeleitet hatte, mochte Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei.PDS) Hinweise für einen von Verbraucherschutzorganisationen monierten Missbrauch der Marktstellung des Energieversorgers in der Hauptstadt nicht feststellen. Wolf richtete lediglich die Empfehlung an die Gasag, ihre Kalkulation gegenüber der Kartellbehörde offen zu legen, damit die angekündigten Preiserhöhungen nachvollziehbar seien.


Diagramm Heizkostenvergleich

Am 29.09.2005 wies der Senator im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage die Gasag sogar als einen preiswerten Anbieter auf dem Gasmarkt aus. Bundesweit seien nur 13 Versorger noch billiger, erklärte er im Abgeordnetenhaus mit Hinweis auf eine Untersuchung des Branchenfachblatts Brennstoffspiegel. Allerdings hatte die Publikation lediglich 161 Versorger im obersten Marktsegment verglichen. Dass mehr als 400 Gasversorger unter der Preisgestaltung der Gasag liegen, hatte Wolf verschwiegen. Ein nach dem Vorbild Hessens von der Wirtschaftsverwaltung angekündigtes Prüfverfahren steht bis heute aus. Die Untätigkeit des Senats hat die Verbraucherzentrale Berlin zum Anlass genommen, eine Kundensammelklage gegen die Gasag anzustrengen. Darin verlangen die Kläger die Offenlegung der Preiskalkulation des Unternehmens.

Bundesweite Klagewelle gegen Gaslieferanten

Damit reiht sich Berlin in eine Bewegung ein, die sich über das gesamte Bundesgebiet erstreckt: die "Gasrebellen". Auch wenn die Kartellämter Ende vergangenen Jahres angekündigt haben, die Gaspreise in einer jährlichen Stichtagserhebung zu prüfen, entwickelt sich der Widerstand gegen Preiserhöhungen nahezu in allen Regionen. Immer mehr private Haushalte sind nicht mehr bereit, die Preispolitik auf dem Energiemarkt kampflos hinzunehmen. Immerhin sind die Preise nach Angaben des Statistischen Bundesamts für Gas allein im vergangenen Jahr bundesweit durchschnittlich um 21% angestiegen. Insgesamt liegen die Preise um 34% über dem Niveau des Jahres 2000.

Die Unternehmen, die ihre regelmäßigen Preiserhöhungen mit der Koppelung an den Ölpreis begründen, sehen sich aufgrund ihrer Preispolitik zunehmend mit Zahlungsboykotten und Gerichtsverfahren konfrontiert. So haben im niedersächsischen Delmenhorst die Stadtwerke zuletzt die Tarife am 01.04.2005 angehoben. Über 2000 Verbraucher wenden sich inzwischen gegen die seit 1998 um 110% durch den kommunalen Monopolisten verteuerten Gaspreise. Als Schlüssel zur Gegenwehr gilt § 315 BGB. Die so genannte Billigkeitsprüfung, wonach eine Preiserhöhung für leitungsgebundene Energien in einem laufenden Vertrag nur dann zulässig ist, wenn die Gründe der Preiserhöhung plausibel und nachvollziehbar sind. Ein Risiko gehen die Kunden mit der Zahlungsverweigerung nicht ein. Laut einer Entscheidung des BGH besteht bis zur Rechtskraft eines Urteils, welches den "billigen" Preis bestimmt, keine fällige Forderung. Um an das einbehaltene Geld zu kommen, müsste der Gasversorger den Kunden also vor den Kadi ziehen und belegen, dass der verlangte Preis inklusive Preiserhöhung sachlich gerechtfertigt ist. Der Kläger trägt dabei die vollständige Darlegungs- und Beweislast.

Bis zu einer Million Widersprüche

Nach Angaben von Irmgard Czarnecki von der Verbraucherzentrale Bremen haben mittlerweile bundesweit bis zu einer Million Gaskunden Widerspruch gegen die Preisforderungen ihrer Gaslieferanten eingelegt. Aktuell sorgt vor allem die Sammelklage in der Hansestadt für Aufsehen. Dort hat der Gasmonopolist, die Stadtwerke Bremen AG, den Preis seit September 2004 in vier Stufen um insgesamt 38% erhöht.

Jeder siebte private Kunde, d. h. rund 15.000 Personen weigern sich deshalb die Tariferhöhungen zu bezahlen und verlangen die Offenlegung der Preiskalkulation des Energieversorgers. Mit einem überraschenden Zwischenergebnis. Das Landgericht Bremen stellt in dem zurzeit anhängigen Verfahren grundsätzlich infrage, ob Gasversorger überhaupt berechtigt sind Preiserhöhungen vorzunehmen. Im Unterschied zu anderen Gerichten vertritt die Kammer die Auffassung, dass der im Gesetz vorgeschriebenen Billigkeitsprüfung eine nachrangige Bedeutung zukomme. Vielmehr seien die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) das entscheidende Kriterium. Im Fall der Stadtwerke Bremen kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Klausel, die dem Gasanbieter quasi das Blanko-Recht auf Preiserhöhungen einräumt, intransparent sei. So sei das Berechnungsmodell für den Verbraucher weder durchschaubar noch überprüfbar.

Das Landgericht stützt sich in seiner Haltung auf das im September 2005 ergangene so genannte Flüssiggas-Urteil des Bundesgerichtshofs. Darin hatten die Richter Vertragsklauseln, die denen des Bremer Gasanbieters entsprechen, für unwirksam erklärt.

Am 19. Mai will das Bremer Gericht sein Urteil fällen. Sollten die Kläger erfolgreich sein, hätte dies bundesweite Bedeutung. Denn die in den AGB der Stadtwerke Bremen verankerte Preisanpassungsklausel ist selbst nach Einschätzung des Rechtsvertreters des Unternehmens "branchenüblich".

Ihre Hoffnungen setzen die "Gasrebellen" nicht zuletzt auch in das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur. Das Kartellamt hat Ende letzten Jahres die bislang üblichen langfristigen Lieferverträge verboten und fordert gleichzeitig auch ein Ende der seit den 1960er Jahren praktizierten Koppelung des Gaspreises an den Ölpreis.

Das Aufbegehren der Gaskunden zeigt auch erste Wirkungen bei den Unternehmen. So hat die E.on-Hanse aufgrund einer von der Verbraucherzentrale Hamburg eingereichten Sammelklage von 54 Kunden die geplante Preiserhöhung zurückgezogen. Innerhalb von 15 Monaten hatte das Unternehmen die Preise um fast 50% erhöht und dies mit den gestiegenen Weltmarktpreisen für Gas begründet, die an die Kunden weitergegeben würden.

Karten werden neu gemischt

Mit dem Beginn des nächsten so genannten Gashandelsjahres am 1. Oktober sollen laut Bundesnetzagentur die geplanten Strukturveränderungen so weit zum Tragen kommen, dass dann neue Chancen für die Nachfrager entstehen. Die Energiekonzerne müssen nicht nur ihre umstrittenen Durchleitungsgebühren offen legen, die derzeit zu regionalen Preisdifferenzen von bis zu 30% führen. Die Behörde und die deutsche Gaswirtschaft haben sich im Grundsatz auch auf ein neues Verfahren bei der Nutzung der Gasnetze verständigt. Die Öffnung der Gasnetze soll für mehr Wettbewerb und günstigere Gaspreise in Deutschland sorgen. Zu den Eckpunkten gehören u.a.:

Die Gasnetzbetreiber sind verpflichtet, netzbetreiberübergreifende Marktgebiete zu bilden, die nachgelagerte regionale und kommunale Netze einbinden. Ein Lieferantenwechsel innerhalb eines Marktgebiets soll unkompliziert möglich sein. Auch ein marktgebietsüberschreitender Lieferantenwechsel soll bei ausreichender Abnahmekapazität infrage kommen.

Mit der Einigung bestehe die Chance, dass neue Gasanbieter auf dem bisher weitgehend abgeschotteten deutschen Gasmarkt auftreten könnten, so die Vorstellung von Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur: "Ziel ist es, zu Beginn des Gaswirtschaftsjahres am 01.10.2006 den Gasnetzzugang nach neuen Prinzipien und Strukturen zu ordnen. Mit einer verbesserten Transparenz und einer deutlich optimierten Kapazitätsnutzung wird auch ein entscheidender Schritt zu günstigeren Netznutzungskosten und mehr Wettbewerb im Gasmarkt getan. Ein leichter und massengeschäftstauglicher Wechsel des Gaslieferanten - auch durch Privatkunden - soll im Laufe des Jahres nach den Zusagen der Verbände realisiert werden."

Vom Empfänger zum Verteiler

Auf der Grundlage der bevorstehenden Öffnung des Gasmarkts gehen die Bremer Gasrebellen inzwischen eigene Wege. Aus den Widerständlern in der Hansestadt ist inzwischen die "Bremer Energiehaus Genossenschaft e.G." (BEnergie) entstanden. Ab Herbst will das frisch gegründete Unternehmen selbst Gas einkaufen und damit preiswert private Haushalte beliefern.

Auch in anderen Regionen sind die Gaspreisrebellen längst über die Phase des Protests hinaus und bereiten die Gründung von Energiegenossenschaften vor. Zudem mehren sich die Anfragen interessierter Initiativen beim Bund der Energieverbraucher und dem Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften nach einer bundesweiten Vernetzung.

Übrigens: Dass die Sammelklage in Bremen erst jetzt verhandelt wird, hat seine Ursache im Mangel an "geeigneten" Juristen. Mehrere Richter erklärten sich im Vorfeld des Verfahrens für befangen, weil sie als Gaskunden selbst Widerspruch gegen die Preiserhöhung eingelegt haben.

Weitere Informationen unter www.energiepreise-runter.de

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