MieterEcho 313/Dezember 2005: Ende gut - nichts gewonnen

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MieterEcho 313/Dezember 2005: Inhalt

 BERLIN

Ende gut - nichts gewonnen

Auf dem Gleisdreieck wird ein Park entstehen, die Flächenaufteilung ist allerdings ein schlechter Kompromiss

Jutta Blume

Auf dem Gleisdreieck bahnt sich ein weiteres Kapitel einer unendlichen Geschichte an. Erste Vorverträge für einen Park auf dem schon lange brachliegenden Gelände gab es bereits im Jahr 1994. Im September 2005 unterzeichneten nun Senat, Bezirk und Grundstückseigentümerin Vivico den Rahmenvertrag zur städtebaulichen Neuordnung des Gleisdreiecks. Stolz verkündete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dass 30 Hektar Freifläche zu einem Park gestaltet werden können.

Diese Zahl bedeutet, dass über die jahrelangen zähen Verhandlungen keine weiteren Flächen hinzugewonnen werden konnten. Das einzige Zugeständnis der bahneigenen Immobiliengesellschaft Vivico liegt heute darin, dass der Vertrag überhaupt zustande gekommen ist. Außerdem enthält der Rahmenvertrag eine Absicherung für die Vivico: Sollte in den einzelnen Bebauungsplänen eine geringere bauliche Ausnutzung der Flächen ausgewiesen werden, als jetzt vorgesehen ist, muss das Land Berlin an anderer Stelle eine höhere Bebauung zulassen.

Trotz des herbstlich kalten Wetters stapfte eine Gruppe von 20 Leuten über das matschige Gelände. Sie folgten zwei Mitarbeiterinnen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in orangefarbenen Westen. Die Führung war Bestandteil der Bürgerbeteiligung, die im Oktober 2005 anlief. Von der U-Bahn ging es an einem meterhoch eingezäunten Golfabschlagplatz vorbei, der per Zwischennutzungsvertrag bis Ende 2007 bestehen bleibt. Nach Vertragsablauf wird die eine Hälfte dem öffentlichen Park zugeschlagen werden, die andere als Baufläche bei der Vivico verbleiben. Die Neubebauung an der Flottwellstraße widerspricht allen bestehenden Planungen. Zum einen reduziert sie die Frischluftschneise zum Potsdamer Platz auf einen schmalen Korridor. Zum anderen sieht der Flächennutzungsplan an dieser Stelle eine Grünfläche vor. Auch im so genannten "Notenwechsel" von 1994 zwischen Senatskanzlei und der Vivico-Vorgängerin war noch von einer zusammenhängenden Fläche von acht bis zehn Hektar westlich der Bahnanlagen mit Anschluss an den Landwehrkanal die Rede. Im jetzigen Rahmenvertrag taucht diese zusammenhängende Grünfläche nicht mehr auf.

Der große Teil der insgesamt 16 Hektar Grünausgleichsflächen für den Potsdamer und Leipziger Platz ist jetzt weiter in den Süden gewandert. Dort sieht es ziemlich kahl und verwüstet aus. Wo sich das Baulogistikzentrum für den Potsdamer Platz befand, ist nur wenig Vegetation übrig geblieben. An anderen Stellen hingegen hat die Natur das ungenutzte Bahngelände überwuchert. Die Ausgleichsflächen überlagern sich nach den jetzigen Plänen mit einer schon vorhandenen Laubenkolonie. Die Pächter/innen haben also mit Kündigungen zu rechnen. Die Störung ihrer Laubenpieperidylle könnte sie gegen den neuen Park aufbringen, fürchtet Matthias Bauer von der AG Gleisdreieck. Ein weiterer Teil wird geplanten Vereins- und Schulsportflächen weichen müssen. Für die Pächter/innen bleibt noch der Trost, dass für deren Umsetzung sowieso das Geld fehlt.

Baubeginn nur für den halben Park

Von den angekündigten 30 Hektar werden in näherer Zukunft nur 16 zum Park umgestaltet, nämlich die, die im Ausgleich für die Bebauung am Potsdamer und am Leipziger Platz begrünt werden müssen. Die Gelder - 24 Millionen Euro - stehen schon seit 1998 bereit. Für die Parkgestaltung aber werden weitaus geringere finanzielle Mittel zur Verfügung stehen - von einem Teil wird der Senat noch Flächen erwerben müssen. Der entstehende Park wird in zwei Hälften zerrissen sein. Von der Mondlandschaft, die das einstige Logistikzentrum hinterlässt, stößt man auf die neue ICE-Trasse, die das gesamte Gelände zerschneidet. Eine Fußgängerbrücke soll eine Ost-West-Verbindung über die Gleise schaffen, auch hierfür müssen die 24 Millionen herhalten.

Zwischennutzer müssen gehen

Die 30 Hektar Grünfläche setzen sich weiterhin aus Gleisinseln zusammen, die ohnehin nicht öffentlich zugänglich werden, sowie dem "Wäldchen" auf alten Gleisen neben dem Technikmuseum, das der Senat schon 1988 von der Reichsbahn erwarb, und einer Grünausgleichsfläche für Bauten der Vivico. "Das ganze hätte der Senat schon 2001 haben können", sagt Matthias Bauer zur jetzigen Übereinkunft. Insgesamt hatte es die Vivico nicht eilig zum Vertragsabschluss zu kommen, denn die Investoren standen ohnehin nicht Schlange. Und so vermietete sie Teile des Geländes auch erst mal an kommerzielle Zwischennutzer: das Erlebnisrestaurant "Pomp Duck and Circumstance", den Golfclub und an einen Beachvolleyballplatz. "Pomp Duck" wird bis 2006 umziehen müssen, die Verträge der anderen beiden Nutzer laufen bis 2007.

Konflikte vorprogrammiert

Man hatte den Eindruck, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wolle bloß nichts falsch machen. Die Besucher/innen der Führungen wurden mit Kaffee bewirtet und sollten pro Gruppe acht Vorschläge für die Gestaltung sammeln. In einem Online-Forum durften sich die Berliner ebenfalls einbringen. Die Ideen sollen in die Ausschreibung für den landschaftsplanerischen Wettbewerb einfließen, der bis zum Frühjahr 2006 läuft. Dann wird es eine zweite Beteiligungsphase geben, bei der die Bürger zu zehn ausgewählten Entwürfen Stellung nehmen dürfen. Die Planer/innen werden es auf dem Gleisdreieck nicht leicht haben. Die Erwartungen an den neuen Park sind nach langen Jahren des Wartens hoch. Die in der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck organisierten Gruppen haben bereits in der Vergangenheit Pläne für das brachliegende Gelände gemacht. Die Idee von Community Gardens - gemeinschaftlich angelegter Gärten, die aber auch öffentlich zugänglich sind - spielte dabei eine große Rolle. Eine kirchliche Initiative möchte eine "Bewegungsbaustelle" für Kinder, in der Kinder ebenfalls selbst gestalten dürfen. Neben organisierten Gruppen gibt es auch diejenigen, die das Gelände einfach genutzt haben, ob zum Radfahren, für Spaziergänge in wild gewachsener Natur oder als Möglichkeit für Hundeauslauf - Letzteres zum Ärger anderer. Im vergangenen Jahr hat sich eine Parkgenossenschaft gegründet, die die Realisierung und Pflege des Parks gerne selbst in die Hand nehmen möchte. Die Genossenschaft möchte einen Überlassungsvertrag mit dem Senat aushandeln. Doch auch das würde nicht allen Anwohner/innen schmecken, manche fühlen sich bei der Idee privat angelegter und gepflegter Gärten ausgeschlossen.

"Weniger ist mehr", fällt in der Diskussionsrunde der Spaziergänger/innen. Und vielleicht ist die Lösung doch gar nicht so schwer: den Wildwuchs erhalten, wo er noch nicht zerstört wurde, gärtnerisch veranlagten Anwohner/innen die angrenzenden Flächen übergeben (ohne sie Zäune bauen zu lassen) und denjenigen Teil zu einem Volkspark gestalten, der ohnehin schon von der Baustellenlogistik umgegraben wurde.

Weitere Infos:

http://www.berlin-gleisdreieck.de
Die AG Gleisdreieck trifft sich jeden 1. und 4. Mittwoch im Monat um 19 Uhr im Gemeindesaal, Wartenburgstraße 7, 10963 Berlin.
Bürgerbeteiligung im Internet:
http://www.gleisdreieck-dialog.de

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