MieterEcho 312/Oktober 2005: Der kurze Marsch

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MieterEcho 312/Oktober 2005

 BERLIN

Der kurze Marsch

Die zügige Umbenennung der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße lässt auf weitere Namensänderungen von Berliner Straßen hoffen

Peter Nowak

Straßenumbenennungen waren bisher in Ostberlin nicht ungewöhnlich. Dort wurden nach 1990, oft gegen den Willen der Bewohner/innen, zahlreiche Straßen umbenannt, wenn sie die Namen von Kommunisten oder anderen Linken trugen, die auch in der DDR geehrt wurden. Anders war es dagegen in Westberlin. Dort bedurfte es oft jahrelanger Kämpfe, um einen Straßennamen aus der Nazizeit zu tilgen.

So mussten engagierte Anwohner/innen jahrelang dafür kämpfen, dass das Reichssportfeld im Berliner Olympiaviertel den von Hitler persönlich ausgewählten Namen ablegt und nach den von Nazis ermordeten jüdischen Olympiasiegern Alfred und Gustav Felix Flatow nun Flatowallee heißt.

Ebenso lang und zäh war der Kampf um einen Namen für Mathilde Jacob im Stadtteil Tiergarten. Die Sekretärin von Rosa Luxemburg hatte in dem Stadtteil ihren letzten Wohnsitz, bevor die jüdische Sozialistin von den Nazis ins KZ deportiert und später ermordet wurde. Im Stadtplan von Zehlendorf ist bis heute kein Platz für Walter Benjamin. Konservative Anwohner verhinderten im Verein mit CDU und FDP die Benennung einer kleinen Straße nach dem jüdischen Philosophen. Die Straße trägt bis heute den Namen des völkischen, NS-freundlichen Theologen Seeberg.

Da war es schon erstaunlich, dass jetzt eine Umbenennungsinitiative innerhalb weniger Monate positiv entschieden wurde. Ende August beschloss die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg mit 26 gegen 21 Stimmen, einen Teil der Kochstraße nach dem führenden Aktivisten der Außerparlamentarischen Opposition Rudi Dutschke zu benennen.

Dutschke meets Springer

Die einst alternative heute grünennahe Tageszeitung taz lancierte Ende 2004 den Vorschlag, zum 25. Todestag von Rudi Dutschke die Kochstraße nach dem Studentenaktivisten zu benennen. Der Vorschlag war gut begründet. Denn nicht nur die taz hat dort ihre Redaktionsräume, viel länger residiert dort der Springerkonzern, der mit der Biographie von Rudi Dutschke eng verbunden war. Rudi Dutschke war ein führender Aktivist der Anti-Springer-Kamapagne. Die Springerpresse wiederum erklärte Dutschke und seine Mitstreiter damals quasi zu Staatsfeinden. So war es nicht verwunderlich, dass ein überzeugter Bild-Leser zu Ostern 1968 ein Attentat auf Dutschke verübte, an dessen Spätfolgen er 1979 starb. Nach dem Attentat wurden in der Kochstraße die Eingänge zum Springer-Hochhaus blockiert. Heftige Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten waren die Folgen.

Versöhnung der Generationen

Man hätte eigentlich erwarten können, dass es heftige Kämpfe um die Rudi-Dutschke-Straße vor Springers Haustür gibt. Doch davon kann keine Rede sein. Zwar haben sich CDU und FDP erwartungsgemäß gegen die Benennung der Kochstraße nach dem Studentenaktivisten ausgesprochen, aber ihr Widerstand war erstaunlich halbherzig. Man erinnerte nur daran, dass es schon andere Orte in Berlin gibt, die an Dutschke erinnern und dass er nicht das Vorbild für einen Musterdemokraten in ihrem Sinne war. Lediglich die ehemalige taz-Kulturredakteurin Mariam Lau, die weit nach Rechts abgewandert ist, konnte sich nicht vorstellen, dass nach Dutschke, der Deutschland als faschistische Gesellschaft bekämpft hatte, in Berlin eine Straße benannt wird. Selbst in der CDU und bei der Bildzeitung gab es kaum welche, die mit so viel Schaum vor dem Mund gegen die Rudi-Dutschke-Straße kämpfen wollten. Das lag sicherlich auch an dem Anliegen derjenigen, die sich für die Umbenennung aussprachen. Sie sahen in dem Akt ein Zeichen der "Versöhnung der Generationen", wie es der stellvertretende Chefredakteur der taz Peter Unfried in einem offenen Brief an die Mitglieder der BVV Friedrichshain-Kreuzberg formulierte: "An der Kreuzung von Springer-Straße und Dutschke-Straße (...) kann Vergangenheit lebendig werden. Hier können Schulklassen Nachkriegsgeschichte erLEBEN (sic!). Es geht nicht um Revanche, im Gegenteil. Die Dutschke-Straße ist der Vollzug einer historischen Versöhnung der Generationen und politischen Lager."

Nach der Abstimmung gab man sich selbst im Hause Springer konziliant. Man werde den demokratischen Entscheid selbstverständlich akzeptieren.

Ob es in Dutschkes Sinne war, ihn als großen Versöhner darzustellen, sollen die Historiker klären. Während die einen auf den unversöhnlichen Apo-Aktivisten der frühen Jahre verweisen, der sicherlich lieber den Springer-Konzern enteignet gesehen hätte, als durch eine Straße vor dem Springer-Hochhaus verewigt zu sein, entgegnen andere, dass Dutschke in den letzten Monaten seines Lebens auch Schritte einleitete, die ihm einen Redaktionsposten bei der taz oder ein Abgeordnetenmandat hätten bescheren können.

Wichtiger ist die Erkenntnis, dass es durchaus möglich ist, Straßenumbenennungen durchzusetzen. Es gibt auf Berlins Stadtplan noch genügend Straßennamen mit militaristischem oder kolonialistischem Hintergrund, die eines Namenswechsels bedürfen. Dazu bedarf es nicht gleich der Initiative einer Tageszeitung, wohl aber publizistischer Unterstützung.

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