MieterEcho 312/Oktober 2005: Wohnungsmarkt in Frankreich

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MieterEcho 312/Oktober 2005

 TITEL

Wohnungsmarkt in Frankreich

Mangelndes Angebot, hohe Mietpreise und Umwandlungen prägen den privaten Markt

Sébastien Kuhn*

Im Jahresbericht 2005 der Abbé-Pierre-Stiftung, der sich mit inadäquater Wohnraumversorgung in Frankreich beschäftigt, äußert man sich beunruhigt über die derzeit nur als katastrophal zu bezeichnenden Wohnbedingungen in Frankreich: Über 90.000 Obdachlose, 900.000 Menschen ohne wirklich eigenen Wohnraum (in Notunterkünften, Hotels, Pensionen oder bei Angehörigen) und schließlich drei Mio. Menschen, die unter unangemessenen Bedingungen leben müssen (durch Überbelegung oder Gesundheitsgefährdung). Eine Wohnungskrise ist nicht zu leugnen.

Ob öffentlicher oder privater Wohnungsmarkt: Das Wohnraumangebot scheint weder qualitativ noch quantitativ der Nachfrage gerecht zu werden. In Frankreich gibt es 31 Mio. Wohneinheiten, darunter 26 Mio. Hauptwohnsitze, wovon 56% Eigentumswohnungen sind. Dies kann als Ergebnis einer Politik betrachtet werden, die seit Mitte der 1970er Jahre Wohneigentum fördert. Auf dem Mietwohnungsmarkt ist der Anteil des Sozialen Wohnungsbaus fast so hoch wie der Anteil der frei finanzierten, privaten Mietwohnungen. Die Leerstandsquote insgesamt ist angesichts der dringenden Nachfrage mit 6,21% relativ hoch, jedoch ist hier seit einigen Jahren ein kontinuierlicher Abwärtstrend zu beobachten.

Tabelle Wohnsitze Frankreich
Hohe Mieten in Frankreich

Im Jahr 2004 betrug die durchschnittliche Kaltmiete in der Pariser Innenstadt 16,40 Euro/qm, in den näheren Vororten lag der Durchschnitt bei 12,60 Euro/qm und in der Provinz bei 7,20 Euro/qm. Allein im Jahr 2004 betrug der Preisanstieg 4%. Diese Steigerungsrate wird gesetzlich durch die Wertsteigerung des ICC, des französischen Baupreisindex (indice des coûts à la construction), beschränkt; gleichzeitig bleiben die Mietpreise für neue Vertragsabschlüsse frei verhandelbar. Beim Vergleich des Mietpreis- mit dem Lebenshaltungskostenindex wird offensichtlich, dass der Anteil der Mietkosten im Verhältnis zu den anderen Ausgaben der privaten Haushalte zunimmt.

Diagramm Mietpreis ICC

Das Problem der hohen Wohnkosten wird in den letzten Jahren durch das Phänomen des "Zerstückelungsverkaufs" (vente à la découpe) verschärft. Dabei handelt es sich um das Aufteilen von Gebäuden in einzelne Wohnungen und ihren Verkauf als Eigentumswohnungen. In den letzten Jahren wurden insbesondere die Immobilienbestände von Versicherungen und Banken in guten bis sehr guten Wohnlagen auf diese Weise verwertet. Den betroffenen Mieter/innen wird zwar dabei ein Vorkaufsrecht eingeräumt, jedoch sehen sie sich wegen der meist zu hohen Verkaufspreise häufig zum Auszug gezwungen.

Unzureichender Mieterschutz

In den letzten Jahren hat der "Zerstückelungsverkauf" immer mehr Widerstand herausgefordert und eine breite Debatte über Mieterschutz und gesetzliche Maßnahmen gegen Wohnungsspekulation ausgelöst. Einzelne Veränderungen wurden bereits gesetzlich verankert und konnten so den Schutz der Mieter/innen etwas verstärken. Das seit 1989 geltende Mietgesetz sieht als Vertragsdauer drei Jahre vor (bzw. sechs Jahre, wenn es sich um einen gewerblichen Eigentümer handelt). Eine Verlängerung kann der Vermieter nur aus drei Gründen verweigern: Eigenbedarf, gravierendes Fehlverhalten der Mieter/innen - oder Verkauf. Im Fall eines "Zerstückelungsverkaufs" kann mittlerweile entsprechend der Situation der Mieter/innen auch der Mietvertrag verlängert bzw. in einen unbefristeten Mietvertrag umgewandelt werden. In diesem Fall darf der Eigentümer die Miete nur erhöhen, sofern er dies durch drei Vergleichsmieten begründen kann - der Dämpfungseffekt wird jedoch als gering eingeschätzt. Auch müssen Eigentümer nun sechs Monate vor dem Verkauf die Mieter/innen über den Vorgang und die Konsequenzen benachrichtigen.

Falls es zwischen Mieter/innen und Eigentümer/innen zum Rechtsstreit kommt, müssen beide Parteien, bevor sie vor Gericht gehen, bei einer Vermittlungskommission vorstellig werden. Diese ist paritätisch aus Mieter/innen und Eigentümer/innen zusammengesetzt und sucht nach einer einvernehmlichen Lösung des Konflikts.

Um den privaten Wohnungsmarkt zu entwickeln und sozialer auszugestalten, werden verschiedene Förderungen angeboten. Zum größten Teil beinhalten sie steuerliche Vorteile für die Einhaltung von Mietobergrenzen. Außerdem wurde 1999 eine Steuer auf Wohnungsleerstand eingeführt. Doch diese Maßnahme wird kaum angewandt und insbesondere von den "Droit au Logement"-Gruppen auf Grund ihrer faktischen Wirkungslosigkeit heftig kritisiert.

Auch wenn Mieterschutz und steuerliche Begünstigungen bereits seit Jahren existieren, scheinen sie die Krise nicht zu lösen. Auch die zunehmende Neubauquote entspricht nicht den Anforderungen - weder in Bezug auf guten und preiswerten Wohnraum, noch in Bezug auf die benötigte Menge. Insgesamt beläuft sich das geschätzte Defizit im Jahr 2005 in Frankreich auf 500.000 Wohnungen. Dieser Mangel kann als Hauptursache der aktuellen Krise bewertet werden, wobei Spekulation die Situation noch verschlechtert. Im Ergebnis liegen die Preise auf dem privaten Mietwohnungsmarkt so hoch, dass sich mittlerweile auch Menschen mit mittlerem Einkommen gezwungen sehen, sich nach Sozialwohnungen umzuschauen.

(Aus dem Französischen von Anne Brüggmann)

Abbé-Pierre-Stiftung

Gegründet 1989 und spezialisiert auf die Wohnsituation sozial Benachteiligter, gehört die Abbé-Pierre-Stiftung zur Emmaus-Bewegung, die 1949 durch den Abt Pierre gegründet wurde. Dieser erlangte Berühmtheit durch seinen "Appell des Winters 1954", in welchem er die öffentliche Hand und die französische Gesellschaft anmahnte, eine Lösung für die Wohnungskrise im Nachkriegsfrankreich zu finden.

Droit au Logement (DAL)

Droit au Logement bedeutet Recht auf Wohnraum. Die DAL-Gruppen stellen nicht ihr eigenes Wohnrecht, sondern das von Ausgegrenzten in den Vordergrund, da insbesondere institutionelle Ausgrenzung (weil etwa Migrant/innen ohne Papiere keine Wohnung anmieten können) und massive Aufwertungsprozesse in französischen Städten immer größere Bevölkerungsteile faktisch vom Recht auf Wohnen abschneiden. http://www.globenet.org/dal

Sébastien Kuhn

Sébastien Kuhn, geb. 1983 in Mulhouse (Frankreich), studiert an der Hochschule für staatliches Bauen, Wohnen, Infrastruktur und Stadtentwicklung (ENTPE, Nähe Lyon). Im Sommer 2005 betrieb er in Berlin Forschungen zu Stadterneuerungspolitik und Wohnungsmarkt.

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