MieterEcho 312/Oktober 2005: In zehn Jahren frei von "Gesocks"

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MieterEcho 312/Oktober 2005

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In zehn Jahren frei von "Gesocks"

Interview mit Mietern vom Grazer Damm: Erfahrungen mit Modernisierung und rüden Investoren im privatisierten GSW-Bestand

Im MieterEcho Nr. 310 berichteten wir ausführlich über die Folgen der Verkäufe kommunaler Wohnungsgesellschaften und die Verwertungsstrategien der Investoren. Nachdem die GSW im Mai 2004 an Cerberus/Whitehall verkauft wurde, veräußerten diese bereits vier Monate später die Siedlung am Grazer Damm in Friedenau an die Vivacon AG, einen auf Immobilien spezialisierten Finanzdienstleister mit Sitz in Köln. Für einen Teil der über 1500 Wohnungen der früheren GSW-Siedlung wurde ein Fonds aufgelegt (DWF 1-Fonds), der andere Teil wurde an das österreichische Unternehmen conwert Immobilien Invest AG verkauft. Diese Wohnungen sollen nun in Erbbaurecht verkauft und zuvor modernisiert werden. Viele Bewohner/innen ärgern sich über die Modernisierungsmaßnahmen und vor allem über die Art und Weise, wie die neuen Eigentümer mit ihnen umspringen. Wir haben uns neuerlich in der Siedlung in Schöneberg umgeschaut und befragten einige Mieter nach den Geschehnissen während der Modernisierung.

ME: Wenn man sich die Siedlung betrachtet, fällt auf, dass ein Teil hinter Gerüsten verschwindet, während in dem anderen - dem des DWF-1 Fonds - die Modernisierungsmaßnahmen anscheinend noch gar nicht begonnen haben. Können Sie uns das erklären?

Herr Bilek: Es kursieren Gerüchte, dass die Vivacon diesen Teil der Siedlung wieder verkaufen will. Es soll zwei Interessenten geben. Hier sollen lediglich die Treppenhäuser grundgereinigt werden und ansonsten nichts passieren.

ME: Wie stellt sich denn der bisherige Verlauf der Modernisierung für Sie dar ...

Alle: "Schleppend!"

ME: ... und was sind die positiven und negativen Seiten?

Herr Riebold: Positiv ist zu vermerken, dass während der Bauarbeiten in meiner Wohnung ein Chemieklo aufgestellt wurde. Das geschah allerdings nur unter der Androhung, dass ich die Handwerker ansonsten nicht in die Wohnung gelassen hätte. Es ist auch vorgekommen, dass beim Abbrechen der Fensterbrüstung für den anschließenden Einbau der Balkontür ein Stein direkt neben meinem Kopf heruntergefallen ist. Das war lebensgefährlich. Mittlerweile werden die Flächen abgesperrt und die Fenster der darunter liegenden Wohnungen zugeklebt, sodass niemand mehr von herabfallenden Steinen getroffen werden kann. Ungeschützter Abbruch kann schließlich nicht legal sein.

Herr Bilek: Wir haben wegen der mangelnden Sicherungsmaßnahmen auch schon die Bauaufsicht angerufen, aber die kümmern sich nicht drum, weil die GSW bisher schließlich immer korrekt gearbeitet habe. Das Schlimmste ist, dass alles so unorganisiert ist. Bei meinen Eltern, die ebenfalls in der Siedlung wohnen, wollten die Maler schon mehrfach an die Arbeit gehen, sie konnten aber nichts tun, weil zwei große Löcher immer noch nicht zugemacht worden waren.

Herr Gutbier: Die Strangsanierung, d.h. der Einbau der Fallrohre war an einem Tag erledigt. Danach passierte erst einmal gar nichts mehr. Nach zwei Wochen kamen dann die Leute vom Innenausbau, um die Gipskartonarbeiten zu erledigen. Das bedeutet, erneut den Dreck in der Wohnung zu haben. Rund 15.000 qm Fassadenfläche sind eingerüstet, zudem ist das Gerüst mit einem Schutznetz versehen - und das nun schon seit über drei Monaten. Mich ärgert am meisten, dass kaum Handwerker auf den Gerüsten zu sehen sind. Die Arbeit geht schleppend voran und die Mieter sollen wohl mürbe gemacht werden. Insgesamt sind die vier hier beschäftigten Gewerke sehr schlecht koordiniert und die Kommunikation mit der Bauleitung ist schwierig bzw. funktioniert gar nicht.

ME: Den Mieter/innen, die sich nicht sofort mit der Modernisierung einverstanden erklärten, wurden von Seiten der Investoren Angebote verminderter Mieterhöhungen gemacht. Wie sehen diese Angebote konkret aus?

Herr Riebold: Ich habe gerade heute ein Angebot erhalten, laut dem ich für zwei Jahre keine Mieterhöhung durch die Modernisierungsumlage zu befürchten habe - mein Anwalt soll das aber erst noch prüfen.

Herr Bilek: Bei uns in der Peter-Vischer-Straße 41 war das so, dass wir die Modernisierung zunächst alle abgelehnt haben. Das war denen (den Investoren; die Red.) von vornherein klar, dass Balkone nach Norden niemand haben möchte. Eine Mietpartei hat der Modernisierung zugestimmt, weil ihr angeboten wurde, für drei Jahre auf eine Mieterhöhung nach Mietspiegel zu verzichten. In der Parterrewohnung soll sich die modernisierungsbedingte Erhöhung auf zwölf Euro beschränken - für Fenster und Balkon - wobei Innenjalousien mit Elektrobetrieb versprochen wurde. Letzteres allerdings nur mündlich und der Elektromotor wurde dann auch nicht installiert. Es gab auch Angebote, dass für fünf Jahre auf eine Mieterhöhung nach Mietspiegel verzichtet würde und von einem Fall, wo es alles für null Euro geben sollte, habe ich auch gehört.

ME: Wie lange werden sich die Baumaßnahmen noch hinziehen?

Herr Bilek: Bis Ende des Jahres sollen die Gerüste wohl noch stehen bleiben.

Herr Gutbier: Ich schätze, die bleiben noch bis nächstes Jahr stehen, es sei denn, die schicken 80 Arbeiter auf einmal.

ME: In einer kleinen Umfrage erklärten viele Mieter/innen, dass die mit der Modernisierung einhergehenden Mieterhöhungen für sie ein Problem darstellen würden. Konkretisiert sich diese Aussage und zeigt sich das an der Zunahme von Auszügen in Ihrer Nachbarschaft?

Herr Gutbier: Seit der Modernisierungsankündigung kenne ich mindestens 20 Leute, die ausgezogen sind, die das Theater nicht mitmachen wollten. Bei mir im Haus sind zwei Wohnungen frei. Ich suche auch eine neue Wohnung, da ich altersbedingt nicht mehr lange im vierten Stock wohnen möchte. Ursprünglich wollte ich in eine kleinere Wohnung im Haus, aber jetzt suche ich etwas woanders.

ME: Werden sich ALG II-Empfänger/innen zukünftig ihre Wohnung noch leisten können?

Herr Handke: Bei mir ist noch nicht mal der Anfang der Modernisierung gemacht. Bei der Wohnungsbegehung wollte ich den für uns zuständigen Mieterbetreuer Herrn Schwarz von der Vivacon darauf aufmerksam machen, dass die Fenster von außen verfault sind, worauf Herr Schwarz sagte, dass sie dann auch die Innenfenster machen würden. Ich erklärte ihm, dass ich der Modernisierung der Fenster nicht zustimmen würde, was Herr Schwarz mit den Worten beantwortete, dass das schließlich seine Fenster wären, mit denen er machen könne, was er wolle. Und schließlich ließ er sich zu der Äußerung hinreißen, dass Mieter, die Ärger machen würden, nicht mehr lange in ihrer Anlage wohnen würden.

Herr Riebold: Ich bin bei diesem Gespräch dabei gewesen und kann das nur bestätigen. Herr Schwarz hat dann noch hinzugefügt, dass, wenn er wolle, er (Herr Handke, die Red.) seine Mieterhöhung gleich haben könne, denn jetzt würden jedes Jahr die Mieten erhöht werden und in zehn Jahren wären sie das Gesocks dann los. Auf die Frage, wer denn damit gemeint sei, antwortete Herr Schwarz, die Hartz IV-Empfänger.

ME: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Hermann Werle.

 

Weitere Infos: http://www.gsw-mieter.de (Website nicht mehr online)

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