MieterEcho 311/August 2005: Hartz IV im Mietspiegel

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MieterEcho 311/August 2005

 TITEL

Hartz IV im Mietspiegel

Welche Wohnungen stehen ALG II-Beziehenden nach dem neuen Mietspiegel 2005 zur Verfügung?

Andrej Holm

Eine feste Größe der politischen Diskussionen um die Regelungen der Unterkunftskosten von Hartz IV waren die befürchteten sozialräumlichen Dynamiken, die mit zu eng gefassten Bemessungsgrenzen zu erwarten waren. Insbesondere die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner betonte im Vorfeld der Festlegung immer wieder, dass es "keine Massenumzüge" geben werde. Auch die letztlich festgelegten Richtlinien wurden in der Selbstdarstellung der Senatsverwaltung und der PDS als "sozial gerechte Lösung" präsentiert: "80% - und damit fast der gesamte Berliner Wohnungsmarkt (...) bleibt durch unsere Regelungen auch für Langzeitarbeitslose erreichbar. Die Richtwerte liegen (...) über den Berliner Durchschnittswerten. Eine weitere soziale Entmischung der Stadtquartiere ist daher nicht zu befürchten" (Newsletter der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus vom 11.05.2005).

Vor wenigen Wochen nun entfachte eine von Topos-Stadtforschung veröffentlichte Studie die Debatte von Neuem. Auf der Grundlage von Sozialstudien in Kreuzberger Erhaltungsgebieten wurde für etwa ein Drittel aller Bezieher/innen von Arbeitslosengeld II (ALG II) ein drohender Umzug prognostiziert, wenn die Regelungen streng angewendet würden. Hochgerechnet auf die Gesamtstadt würde das den Umzug von 50.000 bis 70.000 Haushalten bedeuten.

Wie verteilen sich die Wohnungen?

Die zentralen Fragen sind zum einen, ob es ein ausreichend großes Angebot für die 280.000 ALG II-Bedarfsgemeinschaften in Berlin gibt und zum anderen, wie sich diese Wohnungen auf die verschiedenen Wohnungsmarktsegmente verteilen. Da es in Berlin keine vollständige Wohnungsmarktstatistik inklusive der Miethöhen gibt, muss mit dem Hilfsmittel der Annäherung gearbeitet werden. Der Mietspiegel, der mit 1,19 Mio. Wohnungen 63% des Berliner Wohnungsmarkts von insgesamt 1,89 Mio. Wohnungen (Statistisches Landesamt, Stand 2004) abbildet, bietet sich in seinen differenzierten Mietspiegelfeldern (gegliedert nach Wohnungsgröße, Baualter und Ausstattung) für eine solche Untersuchung an. Ausdrücklich nicht erfasst werden darin die etwa 150.000 selbst genutzten Eigentumswohnungen der Stadt und die ca. 250.000 geförderte Wohnungen. Insbesondere von den mietpreisgebundenen Wohnungen des Sozialen Wohnungsbaus ist anzunehmen, dass die dort durchschnittlich erzielten Mieten von 5,70 Euro/qm nettokalt in vielen Fällen die Richtlinien überschreiten. Eine detaillierte Analyse der Auswirkungen der "Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II" (AV-Wohnen) auf diese Bestände steht jedoch noch aus.

Der Berliner Mietspiegel 2005 bildet nur die Mieten ab, die sich innerhalb der vergangenen vier Jahre verändert haben, gibt also nicht die Bestandsmieten wieder. Bei den im Mietspiegel angegebenen Mieten handelt es sich nichtsdestoweniger um diejenigen Mieten, die bei einer Neuanmietung einer Wohnung zu bezahlen wären oder die zukünftig bei Mieterhöhungen durch Anpassungen an die ortsübliche Vergleichsmiete zu erwarten sind.

Mit Hilfe der Daten des Berliner Mietspiegels 2005 wollen wir zeigen, in welchen Wohnungsmarktsegmenten die Wohnungen liegen, die im Rahmen der Bemessungsgrenzen der AV-Wohnen für Hartz IV-Betroffene, also ALG II-Beziehende liegen.

Dazu müssen zunächst die Bruttowarmmieten der Bemessungsgrenzen auf Quadratmeterpreise (nettokalt) umgerechnet werden (siehe Tabelle 1). Die durchschnittlichen warmen Betriebskosten wurden entsprechend der AV-Wohnen mit 2,22 Euro/qm abgezogen. Die Größenbegrenzungen der früheren Sozialhilferegelung dienten als Orientierung für den durchschnittlichen Wohnflächenverbrauch von Hartz IV-Haushalten. Diese Annahme wird durch die Topos-Studie für Kreuzberg bestätigt.

Tabelle 1

In einem nächsten Schritt werden diese Mietkosten auf die Wohnungsgrößen des Mietspiegels angewendet. Dabei wurde berücksichtigt, dass in einzelnen Mietspiegelfeldern Haushalte mit unterschiedlichen Größen Wohnungen nachfragen. So kommen z.B. die Wohnungen zwischen 40 und 60 Quadratmetern sowohl für Ein-Personen-Haushalte als auch für Zwei-Personen-Haushalte in Frage. Die Grenzwerte für Hartz IV-Mieten wurden entsprechend gewichtet.

Tabelle 2

Mit Hilfe der Spannenwerte - die ja den größten Teil der Mieten im entsprechenden Mietspiegelfeld erfassen - kann nun errechnet werden, wie viele Wohnungen in einem Mietspiegelfeld im Rahmen der Hartz IV-Bemessungsgrenzen liegen und wie viele für ALG II-Haushalte zu teuer sind. Von den insgesamt knapp 1,2 Mio. Wohnungen, die vom Mietspiegel erfasst werden liegen etwa 939.500 Wohnungen innerhalb der Bemessungsgrenzen von Hartz IV - das sind 79%. Mehr als 250.000 Wohnungen (21%) weisen Mieten auf, die für ALG II-Haushalte zu teuer sind.

Doch wie immer haben Durchschnittswerte ihre Tücken. Die Tabelle 3 gibt einen Überblick, in welchen Wohnungsmarktsegmenten viele oder wenige Hartz IV-Wohnungen zu finden sind. Mietspiegelfelder, in denen überdurchschnittlich viele Hartz IV-Wohnungen zu finden sind, geben einen Hinweis, wo Hartz IV-Betroffenen künftig wohnen können.

Tabelle 3
Baualter von Hartz IV-Wohnungen

Mehr als die Hälfte aller Berliner Wohnungen liegen in den bis 1919 errichteten Häusern der Altbaugebiete sowie in den Zwischen- und Nachkriegsbauten von 1919 bis 1955. Der Anteil an den Hartz IV-Wohnungen entspricht in etwa dieser Verteilung. Fast 60% aller Hartz IV-Wohnungen ist älter als 50 Jahre.

Die nächstgrößeren Hartz IV-Bestände sind die zwischen 1973 und 1990 in Ostberlin errichteten Wohnungen (meist Plattenbauten) und die zwischen 1956 und 1972 gebauten Wohnungen vor allem im Westteil der Stadt mit jeweils etwa 20% (Tabelle 4). Westberliner Wohnungen, die zwischen 1973 und 1990 gebaut wurden sowie alle Nachwendewohnungen sind für Hartz IV zu teuer.

Tabelle 4
Wohnungsausstattung in Hartz IV-Wohnungen

In den 185.000 noch nicht modernisierten Wohnungen bzw. Wohnungen mit Standarddefiziten liegen die Mieten durchgehend innerhalb der Bemessungsgrenzen. 20% aller Hartz IV-Wohnungen liegen in diesen minderausgestatteten Wohnungen. Dieser überwiegend gründerzeitliche Wohnungsbestand weist jedoch das größte Modernisierungs- und somit Mietsteigerungspotenzial der Stadt auf. Abhängig von Aufwertungs- und Sanierungsprozessen kann sich das Verhältnis von "angemessenen" und zu teuren Wohnungen verändern. Insbesondere die Mietpreise nach einer aktuell durchgeführten Modernisierung liegen fast durchgängig außerhalb der Bemessungsgrenzen. Schon jetzt liegen über 40% der modernisierten Altbauwohnungen über der Richtwertmiete. Das bedeutet: Fast 120.000 Wohnungen in diesem Segment sind für Hartz IV-Empfänger/innen ebenso wenig bezahlbar wie die etwa 55.000 Nachwendewohnungen, für die pauschal eine gute Ausstattung angenommen werden kann. Das bedeutet: Je besser die Ausstattung um so geringer der Anteil von Hartz IV-Wohnungen. Berlin steuert mit Hartz IV auf eine Marktverteilung zu, bei der die ärmeren Haushalte in den schlechtesten Wohnungen wohnen.

Wohnungsgrößen und Hartz IV

Einschränkungen bei der Wohnungswahl werden für Hartz IV-Betroffene nicht nur vom Baualter und der Ausstattung bestimmt, sondern wesentlich von den Wohnungsgrößen (Tabelle 5).

Tabelle 5

Eine Gegenüberstellung zeigt, dass insbesondere für die wachsende Zahl der alleinstehenden ALG II-Beziehenden ein beschränktes Angebot an entsprechend kleinen Wohnungen vorhanden ist. So stehen den 171.000 ALG II-Singles lediglich knapp 296.000 Wohnungen bis 50 qm gegenüber. Das mag zunächst relativ viel erscheinen, doch müssen bei der Wohnungssuche auch die etwa 800.000 anderen Ein-Personen-Haushalte Berlins berücksichtigt werden, die zumindest zum Teil auf eben dieses Wohnungssegment angewiesen sind. Da die Quote der ALG II-Bedarfsgemeinschaften etwa 15% aller Berliner Haushalte beträgt, stehen jeder Bedarfsgemeinschaft mindestens fünf andere Haushalte gegenüber. Das Verhältnis von Bedarfsgemeinschaften und Wohnungen muss entsprechend relativiert werden. Die Übersicht zeigt, dass mit steigender Haushaltsgröße das Wohnungsangebot deutlich zunimmt. Kleinere Haushalte können zwar im Rahmen der Bemessungsgrenzen fast alle Wohnungen bezahlen - jedoch: Es gibt zu wenig kleine Wohnungen in Berlin (Tabelle 6).

Tabelle 6
Der Wohnungsmarkt nach Hartz IV

Mit Hilfe des Mietspiegels können wir eine Verteilung von ca. 939.500 Hartz IV-Wohnungen auf verschiedene Wohnungsmarktsegmente darstellen. Die größte Bestandsgruppe stellen die über 210.000 zwischen 1919 und 1955 errichteten Wohnungen dar, also die Zwischen- und Nachkriegsbauten, die mit meist sehr kleinen Wohnungen über die gesamte Stadt verteilt sind.

Die nächstgrößere Gruppe sind die fast 200.000 Hartz IV-Wohnungen in den Ostberliner Plattenbauten - der größte Teil davon befindet sich in den Großsiedlungen am Stadtrand.

Innerstädtisches Wohnen unter Hartz IV wird häufig mit Standardverzicht verbunden sein: Insgesamt ca. 185.000 Wohnungen mit Minderausstattung (also z.B. ohne Bad oder mit Ofenheizung) stehen vom Mietpreis den Hartz IV-Haushalten zur Verfügung. Hinzu kommen knapp 180.000 Wohnungen, die zwischen 1956 und 1972 (oftmals mit öffentlichen Fördermitteln) erbaut wurden und gut 160.000 vor allem kleine modernisierte Altbauwohnungen (Tabelle 7).

Tabelle 7

Demgegenüber stehen mehr als 250.000 Wohnungen, die für Hartz IV-Haushalte zu teuer sind. Insbesondere fast 120.000 modernisierte Altbauwohnungen und ca. 55.000 Nachwendewohnungen übersteigen die Richtwertmiete. Aber auch ein Teil des ehemaligen Sozialen Wohnungsbaus und die modernisierten Gebäude mit Baujahr zwischen 1919 und 1955 weisen mittlerweile Mietpreise auf, die über den Bemessungsgrenzen liegen.

50% statt 80% für ALG II

Im gesamten Mietspiegelbestand von 1,19 Mio. Wohnungen liegen rund 939.500 Wohnungen oder 79% im Rahmen der Bemessungsgrenzen. Auf den Gesamtbestand von 1,89 Mio. Wohnungen bezogen, sind es jedoch nur 50%, die den ALG II-Haushalten zur Verfügung stehen. Vor allem aber schließt die Verteilung dieser Wohnungen - anders als von der Sozialsenatorin erhofft - eine weitere soziale Entmischung der Stadt nicht aus. Problematisch erscheint in dieser Hinsicht nicht nur die Lage der "angemessenen" Wohnungen, als vielmehr die Konzentration der für ALG II-Abhängige nicht zugänglichen Wohnungssegmente wie neu erbaute Wohnungen und relevante Teile der modernisierten Gründerzeitviertel. Gerade die fortlaufenden Modernisierungsarbeiten in diesen Beständen werden hier die Möglichkeiten für Hartz IV-Betroffene deutlich einschränken. Wenn sie dann als Alternative auf die Plattenbauten in Marzahn und Hellersdorf angewiesen sind, werden letztlich die sozialchauvinistischen Visionen der Berliner Eliten aus der frühen Nachwendezeit verwirklicht. Hanno Klein, der kurz darauf verstorbene Leiter des Koordinationsausschusses Innenstadt hatte 1991 im Zusammenhang mit den erwünschten Veränderungen in Berlin das Bild einer "gut organisierten Verdrängung" entwickelt. Die Stadtbezirke Marzahn und Hellersdorf dienten in seiner Vision als "Staubsauger für die Alteingesessenen der Innenstädte", weil die den künftigen Investitionen weichen müssen (Spiegel 1991/14). Die neuen Regelungen zu Hartz IV weisen in dieselbe Richtung und sind - ganz im Gegensatz zu den Bestrebungen des aufwändigen Programms Soziale Stadt - ein Abschied von der Orientierung an eine sozialräumliche Kohäsion.

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