MieterEcho 311/August 2005: Preisveränderungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt

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MieterEcho 311/August 2005

 TITEL

Von Entspannung nur wenig zu spüren

Die Preisveränderungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt im Vergleich zum Mietspiegel 2003

Sébastien Kuhn und Joachim Oellerich

Der Mietspiegel erfasst ungefähr 2/3 der ca. 1,87 Millionen Berliner Wohnungen.
Nicht anzuwenden ist er auf alle Wohnungen, die irgendeiner Preisbindung unterliegen und selbstverständlich hat er keine Bedeutung für selbstgenutztes Wohneigentum.
Die Erstellung des Mietspiegels wird durch das Gesetz geregelt. Der § 558 c BGB sagt: "Ein Mietspiegel ist eine Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete."
Was eine ortsübliche Vergleichsmiete ist, definiert der § 558 BGB: "Die ortsübliche Vergleichsmiete wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde (...) für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage in den letzten vier Jahren vereinbart (...) oder geändert worden sind."
Zwar wird der Mietspiegel auf den gesamten Bestand der freifinanzierten Mietwohnungen angewandt, doch an der Bildung der Mietspiegelwerte sind - so das Gesetz - nur die Neuabschlüsse bzw. Veränderungen der letzten vier Jahre beteiligt.

In den letzten Jahren wurde immer wieder von einem entspannten Wohnungsmarkt gesprochen. Wer aber meinte, dass ein entspannter Wohnungsmarkt letztendlich zu sinkenden Mieten führen müsse, irrte. Recht behielt, wer auch diesmal die üblichen Mietsteigerungen erwartet hatte. Gegenüber dem Mietspiegel des Jahres 2003 weist der diesjährige eine durchschnittliche Steigerung der Mittelwerte von 5,51% aus. Der Anstieg im Osten beträgt dabei durchschnittlich 4,47%, der im Westen 6,43%. Jedoch so einfach, wie die Durchschnittswerte vermuten lassen, ist die Situation nicht. Neben überdurchschnittlichen Steigerungen in einigen Segmenten gibt es in anderen Segmenten auch Mietpreissenkungen. Anhand von einigen exemplarischen Beispielen - vor allem bei den Baualtersklassen, aber auch der Wohnlagen - soll dies nachfolgend verdeutlicht werden.

Zuvor lohnt ein Blick auf die Gliederung des Berliner Wohnungsbestands.*

Diagramm 1

Der Anteil der verschiedenen Baualtersklassen ist in den Stadthälften unterschiedlich, wie Diagramm 1 erkennen lässt. Diagramm 2 gibt Auskunft über die Verteilung der Wohnungsgrößen in der Stadt und Diagramm 3 zeigt den jeweiligen Anteil der Wohnungsgrößen innerhalb der Baualtersklassen.

Diagramm 2

Diagramm 3

Ein Überblick zeigt, dass in beiden Stadthälften die Mieten nicht nur mit unterschiedlicher Intensität erhöht wurden, es gab auch in einigen Segmenten entgegengesetzte Entwicklungen (Diagramm 4).

Diagramm 4

Diagramme 1 bis 4 von Sébastien Kuhn.

Baualtersklasse bis 1918 mit Vollstandard

In dieser Baualtersklasse sind im Westen die Mieten gestiegen im Osten hingegen gesunken (Tabelle 1 und 2).

Tabelle 1
Tabelle 2

Es fällt auf, dass es im Altbau, besonders im Westteil der Stadt, nur noch relativ wenig kleine Wohnungen gibt, die nicht sehr begehrt zu sein scheinen. Ihre geringe Anzahl ist eine Folge der Sanierungspolitik. In den letzten Jahrzehnten wurden viele Altbaukomplexe entkernt, d.h. die Seitenflügel und Hinterhäuser mit ihren kleinen Wohnungen wurden abgerissen. Teilweise wurden auch kleinere Wohnungen zu größeren familiengerechteren zusammengelegt. Während die kleinen billiger wurden, haben sich alle anderen verteuert. Dies scheint in erster Linie der Nachfrage geschuldet zu sein. Noch immer zieht es die Modernisierungsgewinnler in die Altbaugegenden. Dort sorgt vielerorts die entsprechende Gastronomie für ein angemessenes Ambiente - zum Leidwesen der angestammten Bevölkerung.

Im Ostteil der Stadt sind die Altbauten in den einfachen Lagen durchweg preiswerter geworden, ein Hinweis darauf, dass sich auch hier wieder Stadtteile mit sozialer Benachteiligung bilden.

Baualtersklasse 1919 - 1949

In diesem Segment befinden sich viele Wohnungen der Genossenschaften und der ehemals gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften. Der größte Teil der Bestände im Westen liegt in einfachen und mittleren Wohnlagen. Obgleich viele dieser Wohnungen bereits bei ihrer Erbauung mit Sammelheizung und Bad ausgestattet waren, demzufolge also mietsteigernde Modernisierungen nur eingeschränkt erfolgen konnten, scheinen die z.T. enormen Steigerungen weiterer zusätzlicher Modernisierung geschuldet. Dabei handelt es sich vor allem um Wärmedämmung, Erneuerung der Bäder und dergleichen.

Tabelle 3

Im Osten wurden die Bestände der Baujahre 1919 bis 1949 von der Teuerung für diesmal noch verschont. Die Steigerung ist mit 3,07% insgesamt unterdurchschnittlich.

Baualtersklasse 1950 - 1955 West

Jeder kennt die schlichten Wohnungen des frühen sozialen Wohnungsbaus in Westberlin. In den letzten Jahren wurden gerade diese relativ preiswerten Bestände zum Schauplatz exorbitanter Mietsteigerungen. Sie sind ein Paradebeispiel dafür, wie die Wohnungsbaugesellschaften sämtliche Mieterhöhungsspielräume einschließlich einfallsreicher Modernisierungen wie Badverfliesung usw. zu nutzen verstehen. Der ehemalige soziale Wohnungsbau wird zum Mietpreistreiber. Finanzsenator Sarrazin, dem einerseits die engen Regelungen für die Kosten der Unterkunft im Rahmen des ALG II zu danken sind, entzieht den Betroffenen andererseits mit seiner auf extremen Gewinn orientierten Politik bei den noch städtischen Wohnungsbaugesellschaften die "angemessenen" Wohnungen. Dieses Kabinettstück rot-roter Finanz- und Wohnungspolitik in Berlin wird durch den Mietspiegel illustriert.

Tabelle 4
Baualtersklasse 1956 - 1964 West

Die Mietsteigerungen in dieser Baualtersklasse halten sich eher in Grenzen. Der Grund dafür dürften die geringeren Möglichkeiten für mietpreissteigernde Modernisierungen sein.

Tabelle 5
Baualtersklasse 1965 - 1972

In diesem kleinen Marktsegment sind die Werte gesunken. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Mieten im Bestand auf wundersame Weise verringert hätten, sondern dass viele Wohnungen hinzugekommen sind, die bislang zum sozialen Wohnungsbau gehörten, bei denen jetzt die Förderung ausgelaufen ist und die daher zum ersten Mal im Mietspiegel erscheinen. Die Prognose, dass hier zukünftig die größten Mietsprünge zu erwarten sind, ist nicht sehr gewagt.

Tabelle 6

Der Wohnungsbau im Ostteil der Stadt war zwar staatlich, zählt aber nicht zum sozialen Wohnungsbau. Folglich ist dieses Segment nicht vom Wegfall der Mietpreisbindung beeinflusst und daher haben sich hier Mieten entgegengesetzt zu denen ihrer westlichen Pendants entwickelt.

Baualtersklasse 1973 - 1990 Ost

Während die Wohnungen dieser Jahrgänge im Westen nur sehr geringe Mietsteigerungen erlitten haben, erlebte der klassische Plattenbau im Osten eine kleine Aufwertungsorgie. Ursache war zweifellos nicht die Nachfrage, sondern das Geschick, vornehmlich der neuen Investoren, die Mieten vermittels Modernisierungen zu steigern. Man muss sich vergegenwärtigen: In diesen Siedlungen wird über Leerstände nicht nur gejammert, sondern sogar kräftig abgerissen. Nach den Regeln des Markts müsste der Angebotsüberhang unbedingt zu Mietsenkungen führen. Die Wohnungen sind flächendeckend in Vollstandard erbaut worden und bieten nur wenig grundlegende Modernisierungsmöglichkeiten. Dennoch steigen die Mieten erheblich! Im Plattenbau wird exemplarisch gezeigt, was alle Mieter/innen Berlins zu erwarten haben, wenn die bisher noch öffentlichen Bestände weiterhin privatisiert werden.

Tabelle 7
Baualtersklasse 1991 - 2003

Die gute Nachricht zum Schluss. Die neuesten Bestände werden billiger, im Westen um 6,61% und im Osten sogar um 9,44%. Doch das ist nur ein geringer Trost, denn die Wohnungen sind noch immer teuer genug. Bei einem entspannten Wohnungsmarkt können sich die Mieter/innen aus den teuren Beständen zurückziehen. Das haben sie hier offenbar getan und damit einen Beitrag zur Vereinheitlichung des Wohnungsmarkts geleistet.

Wohnlagen

Ein Vergleich der Mietentwicklung in den Wohnlagen bestätigt die Tendenz. Der Anstieg ist in den guten Wohnlagen im Westen deutlich geringer als in den mittleren und einfachen. Im Osten sind die Unterschiede bei gleicher Tendenz gedämpfter.

Tabelle 8
Resümee

Eigentlich sollte die Mietpreisentwicklung der letzten Jahre unter dem Zeichen des entspannten Wohnungsmarkts stehen. Anzeichen dafür sind auch zu erkennen, doch nur in den teuren Lagen. In allen anderen Bereichen haben vor allem Modernisierungen zu teilweise drastischen Mietsteigerungen geführt. Viele der Modernisierungen haben nicht das Ziel, den Wohnwert der Wohnungen zu erhöhen, sondern ihre Verwertbarkeit zu steigern. Balkons z.B. werden in den von derartigen Modernisierungen betroffenen Beständen von den meisten Mieter/innen für überflüssig gehalten. Doch bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen spielen sie eine große Rolle, weil sie den Anlegern in den Prospekten ein attraktiveres Objekt vorgaukeln. Die Bestände, die sich noch in öffentlichem Eigentum befinden, sind in Gefahr ebenfalls an Private Equity Fonds verramscht zu werden. Denen ist nur an der profitablen Verwertung gelegen und dabei sind weitere Mietsteigerungen gewiss. Gleichzeitig schrumpft der Bestand an bezahlbarem Wohnraum. Eine politische Antwort, die einer solchen Entwicklung etwas entgegenzusetzen versucht, ist noch nicht in Sicht.

*) Die absoluten Zahlen stammen aus den Grundgesamtheiten des Mietspiegels 2003. Die prozentualen Veränderungen wurden von GEWOS ermittelt. Berechnung der Durchschnittswerte durch die Autoren.

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