MieterEcho 310/Juni 2005: Von GSW-Siedlung zu Grazer Gärten

MieterEcho

MieterEcho 310/Juni 2005

 TITEL

Von der GSW-Siedlung zu den "Grazer Gärten"

Mieter/innen am Grazer Damm wehren sich gegen Modernisierungen und Mieterhöhungen

Andrej Holm

Das Friedenauer Wohngebiet am Grazer Damm, Vorarlberger Damm und der Peter-Vischer-Straße ist eigentlich eine ruhige Gegend - auch wenn vor vielen Jahren eine enthauptete Leiche im Gebüsch gefunden wurde, wovon sich die Leute heute noch erzählen. Doch das letzte Jahr hat Unruhe in die aus den 1930er Jahren stammende Siedlung gebracht. Schuld daran sind der Berliner Senat, die Wohnungsbaugesellschaft GSW, die Fondsgesellschaft Cerberus, die Firma Vivacon und eine ganze Reihe von Immobilienfirmen, die ihr Glück in der Umwandlung von Mietwohnungen suchen.

Vor knapp einem Jahr, am 27.05.2004 besiegelten fünf Unterschriften den Verkauf der größten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft an ein internationales Bieterkonsortium verschiedener Fonds und Finanzunternehmen. Cerberus - der amerikanische Fonds mit dem Namen des Höllenhunds - hält zusammen mit Whitehall Fonds von Goldman Sachs 90% der Anteile an der GSW und bestimmt entsprechend das operative Geschäft mit den über 65.000 Wohnungen.

Whitehall und Cerberus sind keine klassischen Immobilienfirmen, die ihre Rendite aus der langfristigen Bewirtschaftung von Wohnungen ziehen. Ihr Metier ist der Handel, der Verkauf und die Verwertung. Die Wohnungsverwaltung verbleibt in den Händen der GSW, die im Grundbuch auch immer noch als Eigentümerin eingetragen ist, denn verkauft wurden formal nicht die Häuser, sondern die Anteile der Gesellschaft.

Ihrem Kerngeschäft folgend wurden von Whitehall und Cerberus bereits nach drei Monaten, am 07.10.2004 die ersten Wohnungen aus dem ehemaligen GSW-Bestand weiterverkauft: 1529 Wohnungen in den ehemaligen GSW-Blöcken am Grazer Damm wurden an die Real Estate Opportunities GmbH, einer hundertprozentigen Tochter der Vivacon AG, und die Firma conwert veräußert (siehe auch vorhergehenden Beitrag von Hermann Werle). Bereits in der ersten Presseerklärung des Käufers wird deutlich, was mit den erworbenen Beständen geschehen soll: "Die schrittweise Privatisierung der einzelnen Wohneinheiten aus dem Wohnungsprivatisierungsfonds soll vornehmlich an die jetzigen Mieter und sozialfreundlich im Erbbaupachtrecht erfolgen."

Da die Mieter/innen der Siedlung größtenteils bereits im Rentenalter oder auf soziale Transferleistungen angewiesen sind (siehe Tabellen 1 u. 2) und für einen Wohnungskauf vornehmlich nur ein geringes Interesse zeigen, sehen sie einer geplanten Umwandlung mit einigem Misstrauen entgegen. Da die Wohnungsverkäufer von Vivacon und conwert und die von ihnen engagierten Privatisierungsberater Alt & Kelber selbst nicht daran glauben, dass Bewohner/innen der Siedlung zu Eigentümer/innen ihrer Wohnung werden, bieten sie über das Internet und in verschiedenen Berliner Anzeigenblättern nun Eigentumswohnungen in den "Grazer Gärten" oder im "Riemschneider Hof" an. Unter diesen wohlklingenden Wortschöpfungen werden z.B. "sonnige Zwei-Zimmer-Wohnungen mit gemütlicher Loggia und traumhaftem Ausblick" sowie ein "gepflegter Objektzustand" angeboten. Die Realität jedoch sieht anders aus. Viele Mieter/innen klagen über Mängel in den Wohnungen und über die Vernachlässigung der Anlage, auch die in der Anzeige Loggia genannten Balkone sind in vielen Wohnungen bisher nur ein Posten der Modernisierungsankündigung. Eine solche haben die Mieter/innen von ca. 800 Wohnungen des conwert-Blocks im Februar diesen Jahres erhalten, denn der Verkauf soll dort möglichst noch in diesem Jahr beginnen.

Tabelle Befragung

Angekündigt wurden drei verschiedene Sanierungsmaßnahmen:

Ergänzung der Fenster

An der Innenseite der bestehenden Doppelkastenfenster sollen Thermofenster angebaut werden. Die damit zu erwartende Energieeinsparung macht den Austausch der Scheibe aus der Sicht der GSW zu einer Modernisierung, die sich in einer 50 qm großen Wohnung mit einer Mietsteigerung von 15 Euro pro Monat niederschlagen soll. Anwälte der Berliner MieterGemeinschaft gehen davon aus, dass es sich bei den geplanten Maßnahmen um eine Instandsetzung handelt, deren Kosten auf die Mieter/innen abgewälzt werden sollen.

Anbau von Balkonen

Von außen sollen Balkone angebaut werden. In den Ankündigungsschreiben der GSW werden diese mit einer Mietsteigerung von ca. 50 Euro pro Monat veranschlagt. In einigen Wohnungen ist der Balkonanbau in den kleinen (so genannten "halben") Zimmern vorgesehen. Da diese Zimmer nur über ein Fenster verfügen, muss dieses zur Balkontür umgebaut und somit auch der Heizkörper an einer anderen Stelle installiert werden. Weil die Möblierungsmöglichkeiten ohnehin sparsam sind, fürchten nun viele Mieter/innen, dass ihre Möbel zu den veränderten Räumen nicht mehr passen und sie ihre bisherige Nutzung der Wohnung einschränken müssen. Einige Mieter/innen befürchten darüber hinaus auch eine Verschattung ihrer Wohnungen und eine erhöhte Einbruchsgefahr und sind weit davon entfernt, in den angekündigten Balkonanbauten eine Erhöhung des Wohn- und Gebrauchswerts zu sehen.

Strangsanierung

Die Installationsstränge sollen saniert werden. Im Zuge dieser Instandsetzungsarbeiten, die mit keiner Modernisierungsumlage verbunden sind, sollen die Decken in den Bädern abgehangen werden. Damit geht, sehr zum Ärger der Mieter/innen, der Stauraum in den Zwischenböden, der ihnen bisher zur Verfügung stand, verloren.

Rege Teilnahme bei Mieterversammlung

Eine von der Berliner MieterGemeinschaft in dem Block durchgeführte Befragung zeigte, dass es unterschiedliche Einschätzungen über den Sinngehalt der Einzelmaßnahmen gibt. Jedoch in einem Punkt sind sich die meisten Mieter/innen einig: Die angekündigten Mietsteigerungen sind für 81% der Befragten ein Problem. Bei den Mieter/innen, die einen Balkon bekommen sollen, liegt dieser Anteil sogar bei 85%.

Mit Unterstützung der Berliner MieterGemeinschaft haben die Betroffenen eine Mieterversammlung einberufen, an der mehr als 185 Mieter/innen teilnahmen. Die dort gewonnene Einschätzung, dass die Maßnahmen (insbesondere der Anbau der Balkone) in erster Linie auf die vermeintlichen Interessen der Anleger und Wohnungskäufer gerichtet ist, wurde ebenso geteilt wie die Annahme, dass es der Vivacon/GSW weniger um Wohnwertverbesserung für die gegenwärtigen Bewohner/innen als um Verwertungsverbesserung für den Verkauf der Wohnungen geht.

GSW: Harte Linie im Auftrag des neuen Herrn

In Gesprächen mit den Mieter/innen und auch auf der Mieterversammlung wurde immer wieder eine tiefe Enttäuschung gegenüber der GSW deutlich. Vor allem die älteren Bewohner/innen hatten sich beim Einzug bewusst für eine städtische Wohnungsbaugesellschaft entschieden und sich jahrelang mit der GSW identifiziert. Mieter/innen, die noch über sehr alte Mietverträge verfügen, mussten nicht einmal selbst die Schönheitsreparaturen in der Wohnung durchführen - alle fünf Jahre bestellte die GSW eine Malerfirma und ließ die gesamte Wohnungen neu streichen. Ein Mieter erzählte stellvertretend für viele, dass er nie in eine Mieterorganisation eingetreten sei, weil er ja Mieter bei der GSW war und nie im Leben geglaubt hätte, einmal einen mietrechtlichen Beistand zu brauchen.

Doch die Zeiten haben sich geändert und die GSW hat sich in ihre neue Rolle als verwertungsoptimierende Wohnungsverwaltung eingelebt. Die GSW spielt in den Ankündigungsschreiben für die geplanten Modernisierungsarbeiten mit dem Vertrauensvorschuss, den sie bei den Mieter/innen besitzt, und bittet mit Terminsetzung um die Zustimmung der geplanten Maßnahmen. Dass Mieter/innen bei Modernisierungsankündigungen eine dreimonatige Bedenkzeit zusteht, wissen die Sachbearbeiter/innen der GSW sicherlich, trotzdem haben sie nach Ablauf des ersten Termins ein zweites Schreiben aufgesetzt und die erweiterte Fristsetzung mit einer Klageandrohung verbunden. Viele Mieter/innen haben sich dadurch unter Druck gesetzt gefühlt und die beigelegten Zustimmungserklärungen unterschrieben. Bei säumigen Mieter/innen, die auch diesen Termin verstreichen ließen (und damit nichts weiter taten, als die ihnen rechtlich zustehende Bedenkzeit in Anspruch zu nehmen) oder ihre Ablehnung zu den geplanten Maßnahmen zum Ausdruck brachten, versucht die GSW inzwischen mit Telefonanrufen und weiteren Schreiben den Druck für eine Zustimmung zur Modernisierung zu erhöhen.

Nach der Umfrage der Berliner MieterGemeinschaft fühlen sich lediglich 14% der Befragten "umfassend über die geplanten Maßnahmen informiert", 19% fühlen sich "nicht ausreichend informiert" und 67% fühlen sich "durch die ungerechtfertigte Klageandrohung unter Druck gesetzt".

Was auf den ersten Blick wie ein katastrophales Ergebnis für eine Wohnungsverwaltung aussieht, ist aus der Sicht von Wohnungsverwertern wie Cerberus, Vivacon oder conwert ein notwendiges Verhalten, denn ohne Mieter/innen unter Druck zu setzen, ist mit Wohnungen kein kurzfristiges Geschäft zu machen. Umwandlungen und der Verkauf von Eigentumswohnungen stehen immer im Gegensatz zu den Interessen von Mieter/innen und müssen gegen sie durchgesetzt werden. Die GSW erweist sich dabei als eine willige Erfüllungsgehilfin.

Tabelle Befragung

* Ergebnisse einer Befragung der Mieter/innen am Grazer Damm durch die Berliner MieterGemeinschaft

Weitere Informationen unter http://www.gsw-mieter.de (Website nicht mehr online).

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 310