MieterEcho 310/Juni 2005: Von Aasgeiern und Heuschrecken

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MieterEcho 310/Juni 2005

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Von Aasgeiern und Heuschrecken

Wohnraumverwertung in Zeiten tierisch neoliberaler Sozialdemokratie

Hermann Werle

Die einen nennen sie Aasgeier-Fonds, andere sprechen - dem SPD-Chef Franz Müntefering folgend - neuerdings von Heuschrecken. Dabei sind Investment- und Fondsgesellschaften wie Cerberus, Fortress, Terra Firma oder Oak Tree weder nützlich (außer für den Profit einiger weniger) noch mit einer göttlichen Strafe zu vergleichen. Die Sozialdemokraten selbst haben mit ihrer Privatisierungs- und Steuerpolitik den ungezügelten Appetit der Investoren erst richtig angeregt.

Mit den Real Estate Investment Trusts (REITs), die voraussichtlich ab nächstem Jahr mit weiteren Steuergeschenken rechnen dürfen, erscheint ein neuer Typ von Investoren auf dem deutschen Immobilienmarkt. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften werden dadurch zu noch verdaulicheren Häppchen serviert.

Für große Aufregung sorgten kürzlich veröffentlichte Gerüchte um eine drohende Übernahme und mögliche Zerschlagung des Daimler-Chrysler-Konzerns durch Investmentgesellschaften. Ein Zusammenschluss mehrerer dieser Gesellschaften, so Finanzexperten, wären durchaus in der Lage, die notwendigen rund 130 Mrd. Euro zusammenzubringen, um die Nobelmarke zu übernehmen. Für den größten Teil der Bevölkerung, der mit Mittelklassewagen vorlieb nehmen muss, wäre ein solcher Deal wohl bedeutungslos. Weitaus größere Bedeutung für die unmittelbaren Lebensumstände haben allerdings die umfangreichen Verkäufe von Wohnungen an international tätige Investoren. Neben Cerberus und Lone Star agieren mit der Apellas Property Management GmbH und Oaktree zwei weitere Großinvestoren in Berlin. Apellas, an der ein Fonds des US-Milliardärs George Soros beteiligt ist, hat sich nach der Otto-Suhr-Siedlung kürzlich die Hüttenwegsiedlung einverleibt (s. S. 14) und Oaktree erwarb im März 85% der Gehag. Über 100.000 ehemals städtische Wohnungen befinden sich damit im Eigentum der Wohnungsverwertungskonzerne, die gemeinsam kräftig an der Mietenschraube drehen.

Ausverkauf geht weiter

Zwar möchte sich Senator Sarrazin zur Zeit noch nicht über weitere Verkäufe äußern, aber zumindest fünf Berliner Wohnungsbaugesellschaften stehen nach Aussage der Vivacon AG auf der Wunschliste von Investmentfonds. Zum engeren Interessentenkreis dürften jene Fonds gehören, die bereits aus Berlin bekannt sind oder durch andere Übernahmen im Bundesgebiet Aufsehen erregten. Da wäre z.B. Terra Firma zu nennen, die aus der Nomura Principle Finance, einer Tochtergesellschaft der japanischen Nomura Bank, hervorgegangen ist. Nomura Principle hatte 2001 64.000 Eisenbahnerwohnungen übernommen. Vor drei Jahren kaufte Terra die damals der Stadt Köln gehörende GAG Immobilien AG mit 41.000 Wohnungen. Am spektakulärsten war allerdings der kürzliche Aufkauf der E.on Immobilientochter Viterra und deren 138.000 Wohnungen für sieben Mrd. Euro. Mit über 240.000 Wohnungen ist der britische Finanzinvestor Spitzenreiter auf dem deutschen Wohnungsmarkt.

Den bis dahin größten Deal konnte im September letzten Jahres die 1998 gegründete Fortress Investment Group verbuchen. Die global tätige Investmentgesellschaft mit Sitz in New York übernahm für 2,1 Mrd. Euro die GAGFAH mit über 82.000 Wohnungen von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Mit der 1918 gegründeten Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten mit Wohnungsbeständen u.a. in Berlin, Bielefeld, Essen, Frankfurt/Main, Hamburg, Stuttgart und München verabschiedet sich ein weiteres Traditionsunternehmen aus der Wohnungsbewirtschaftung und mutiert zum Wohnraumverwerter. Hochkarätige Unterstützung erhält Fortress aus der Politik. Mit dem ehemaligen Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, führte aufseiten der US-Investoren ein Spitzenpolitiker der SPD die Kaufverhandlungen mit der BfA. Gerster soll laut Pressemitteilung "Fortress vorrangig bei Investitionen in Wohnungsbaugesellschaften und Privatisierungen der öffentlichen Hand begleiten." Mehrere 100.000 Wohnungen aus öffentlichen Beständen sollen in den kommenden Monaten und Jahren noch verkauft werden, so dass Gerster viel zu tun habe wird. Eine der nächsten größeren Übernahmen bahnt sich in Niedersachsen an. Mit der NILEG soll eine der größten norddeutschen Wohnungsgesellschaften mit rund 30.000 Wohneinheiten verhökert werden. Ein Fall für Florian Gerster?

Ein neues Steuergeschenk

Nicht nur kommunale Wohnungsbaugesellschaften wechseln ihre Eigentümer. Auch große Industriekonzerne trennen sich von ihren Immobilienbeständen, die in früheren Jahren preisgünstigen Wohnraum für Arbeiter/innen und Angestellte bereithielten. Bevor E.on seine Immobilien im Mai an Terra verkaufte, hatten im Dezember 2004 bereits 48.000 Wohnungen im Ruhrgebiet ihren Eigentümer gewechselt. Thyssen-Krupp strich dabei 2,1 Mrd. Euro von einem Konsortium unter der Führung des Immobilienfonds der US-Investmentbank Morgan Stanley ein.

Um den Preis für die 138.000 von der Viterra bewirtschafteten Wohnungen in die Höhe zu treiben, hatte der E.on-Konzern alternativ zu dem Verkauf über einen Börsengang und die Umwandlung der Viterra in einen Investment Trust nachgedacht. Ob diese Option ernsthaft bestanden hat, darf bezweifelt werden. Vielleicht hätte es auch eindeutigerer Signale aus dem Finanzministerium Hans Eichels bedurft. Denn die Zulassung so genannter Real Estate Investment Trusts (REITs), die das Ministerium zum Januar 2006 in Aussicht gestellt hat, ist noch immer keine beschlossene Sache und wird im Falle vorgezogener Bundestagswahlen möglicherweise eine neue Regierung zu entscheiden haben.

Investment Trusts würden ein profitables Entgegenkommen gegenüber Investmentgesellschaften bedeuten und gute Geschäfte mit Wohnraum noch einfacher gestalten. Ein REIT ermöglicht es Konzernen und Investmentfonds, die von Körperschafts- und Gewerbesteuer befreite Aktivierung von Immobilienvermögen mit einer Platzierung an der Börse. Terra, Fortress, Cerberus etc. könnten mit diesem Instrumentarium ihre Gewinne aus Mieteinnahmen steuerfrei einkassieren, müssten allerdings 90% der Gewinne als Dividenden an die Aktionäre ausschütten. In anderen europäischen und außereuropäischen Staaten gehören REITs bereits zu den praktizierten Verwertungsoptionen von Wohnimmobilien und gelten zudem als Indikator für die Qualität eines Finanzplatzes. Diese Qualität haben allerdings die Mieter/innen zu bezahlen.

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