MieterEcho 309/April 2005: Integration "Zuwanderer in der Stadt"

MieterEcho

MieterEcho 309/April 2005

 BERLIN

Getrennt integrieren

Empfehlungen des Expertenforums "Zuwanderer in der Stadt"

Jutta Blume

"Migranten wären sicher bereit, nach Dahlem zu ziehen. Aber in wohlsituierten Stadtteilen haben sich schon andere Parallelgesellschaften niedergelassen." Mit diesen Worten führt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Marieluise Beck die Warnungen vor der "Parallelgesellschaft" ad absurdum. Das eigentliche Problem der 'verteufelten' Quartiere sei nicht die gewollte Abschottung, sondern die Armut.

Dennoch steht die Politik der räumlichen Integration an einem Wendepunkt. Wurde bislang die soziale Mischung der Bevölkerung propagiert - sowohl von Armen und Besserverdienenden als auch der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund - empfiehlt ein Expertenforum nun, die Existenz von "ethnisch geprägten Wohnquartieren" zu akzeptieren und in diesen trotzdem die Integration zu fördern. Das Projekt "Zuwanderer in der Stadt" wurde von Schader-Stiftung, Deutschem Städtetag und verschiedenen Vertretern der Wohnungswirtschaft im Januar 2004 ins Leben gerufen. Ein zehnköpfiges Expertenforum erarbeitete zu diesem Thema Empfehlungen, die es im Februar in Berlin vorstellte. Das Ergebnis liest sich allerdings wie eine 85-seitige Bankrotterklärung der städtischen Integrationspolitik. Nicht, weil sich die Migranten abschotten würden, sondern weil die am Markt orientierte Politik kaum Integrationshilfen für Einwanderer zu bieten hat.

Integrationsfaktor Wohnumfeld

Die Experten definieren zwei Orte, an denen Integration normalerweise stattfindet: den Arbeitsplatz und das Wohnumfeld. Zugang zum Arbeitsmarkt haben immer weniger Menschen mit Migrationshintergrund. Die Schlussfolgerung ist also, dass der Integrationsfaktor Arbeit verschwindet. Folglich wird das Wohnumfeld in die Verantwortung gezogen. Auch hier bemerken die Experten, dass die Steuerungsmöglichkeiten der Kommunen zurückgehen, da immer weniger sozialgebundener Wohnraum vorhanden ist. An einem weitgehend privatisierten Markt suchen die meisten Migranten Wohnungen im unteren Preissegment, die meistens in Quartieren mit älterer Bausubstanz und höherer Dichte zu finden sind. All dies nehmen die Projektbeteiligten als gegeben hin. "Wir haben Gebiete mit hoher Einwandererkonzentration und wir müssen lernen, in ihnen zu integrieren", sagt Barbara John, ehemalige Ausländerbeauftragte Berlins und vom Projekt berufene Expertin. Quartiere mit einem hohen Anteil von Migranten - und zwar sozial schwachen Migranten, denn die sozialen Aufsteiger ziehen in der Regel weg - sollen vor "Stigmatisierung" geschützt werden. So bezeichnet man diese Gebiete lieber positiv als "Brücke" für neu Zugewanderte, die dort materielle und immaterielle Unterstützung fänden. Ein Beispiel für materielle Unterstützung sei die "ethnische Ökonomie", das sind Unternehmen, die von Migranten betrieben werden und die meistens im Bereich der Nahversorgung tätig sind. Diese unternehmerische Eigeninitiative der Zuwanderer wollen die Experten gefördert wissen. In Kauf genommen wird dabei, dass die "ethnische Ökonomie" oft nur prekäre Arbeitsverhältnisse zu bieten hat. Statt materieller Hilfe finden Migranten eher Ausbeutungsverhältnisse. Gegen eine tariflich bezahlte Arbeit hätten sie dabei sicher genauso wenig etwas einzuwenden, wie gegen die Wohnung in Dahlem.

Geringer Bildungserfolg

Eine wichtige Rolle bei der Integration sollten laut Expertenforum die Schulen spielen. In vielen Fällen wirkt die Schule bisher trennend statt verbindend: Sobald Kinder das Schulalter erreichen, verlassen Eltern Kieze mit hohen "Ausländeranteilen". Bildungsangebote für Eltern, Ganztagsbetreuung, spezielle Förderprogramme und Partnerschaften mit Betrieben sollen Schulen daher attraktiver machen. Im Bereich der Sprachförderung für Erwachsene klingen die Empfehlungen unzureichend. Dass die 300 per Zuwanderungsgesetz verordneten Deutschstunden kaum für den Spracherwerb reichen, dürfte sich herumgesprochen haben. Deswegen werden die Kommunen auch angehalten, darüber hinausgehende Angebote zu machen. In Berlin hat es diese bereits in der Vergangenheit gegeben, die Nachfrage war dabei stets größer als das Angebot. Das wird auch so bleiben: Woher das Geld für zusätzliche Sprachkurse kommen soll, steht in den Empfehlungen nämlich nicht.

Das Wohnumfeld ist der Ort, an dem die Wohnungswirtschaft Einfluss auf die Integration nehmen möchte. Und zwar weiterhin durch die Auswahl der Mieterstruktur. So fürchtet Lutz Freitag, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungsunternehmen (GdW), mit dem neuen Antidiskriminierungsgesetz die Zusammensetzung seiner Mieter nicht mehr steuern zu können. Denn dieses verbietet die Auswahl der Mieter nach Herkunft. Als Steuerungsinstrument steht jedoch immer noch die Auswahl nach Einkommen zur Verfügung. Das gefürchtete "Ghetto" lässt sich also durch Aufwertungsmaßnahmen und den darauf folgenden Anstieg der Mietpreise vermeiden. Oder zumindest lässt es sich an einen anderen Ort verschieben.

Innerhalb der nächsten anderthalb Jahre sollen die Empfehlungen von "Zuwanderer in der Stadt" in acht verschiedenen Städten in die Praxis umgesetzt werden, unter anderem in West-Moabit. Für den Bezirk Mitte bedeuten die Empfehlungen des Expertenforums jedoch wenig Neuerung. "Zuwanderer in der Stadt" wird daher allenfalls als Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs mit anderen Städten gesehen.

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