MieterEcho 309/April 2005: Neue Leitsätze zur Stadterneuerung

MieterEcho

MieterEcho 309/April 2005

 BERLIN

Schnellschuss mit Signalwirkung

Neue "Leitsätze zur Stadterneuerung für die Sanierungsgebiete" vom Senat vorgestellt

Andrej Holm

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat die notwendige Debatte um eine Aktualisierung der Sanierungsziele - d. h. eine Anpassung die veränderten Bedingungen der gegenwärtigen Praxis in den Berliner Sanierungsgebieten - in einem Alleingang abgewürgt, bevor sie beginnen konnte. Anfang Februar wurden, selbst für den Koalitionspartner (PDS) überraschend, neue "Leitsätze zur Stadterneuerung für die Sanierungsgebiete in Berlin" vorgelegt. Die Betroffenenvertretungen und selbst die bisherigen Sanierungsbeauftragten wurden weitgehend übergangen.

Leitsätze dienen der Bestimmung der grundsätzlichen Sanierungsziele und spiegeln das Gewicht der verschiedenen Interessengruppen in der Stadterneuerung wider. So wurde etwa in den bisher geltenden "Leitsätzen zur Stadterneuerung" von 1993 die Konzentration auf die Ostberliner Bezirke und eine verstärkte Einbeziehung privater Investitionen in den Erneuerungsprozess beschlossen. Auf der anderen Seite wurden die Sozialverträglichkeit der Stadterneuerung und der behutsame Umgang mit der Bausubstanz als Sanierungsziele formuliert. Doch viele Rahmenbedingungen haben sich seither verändert: Die Förderung für Wohnungsbau und -sanierung wurde in den letzten Jahren völlig eingestellt, Steuerungsinstrumente wie die Mietobergrenzen sind juristisch gescheitert und steuerliche Investitionsanreize wie die Sonderabschreibung sind ausgelaufen. Statt des angestrebten "Erhalts der Sozialstruktur" sind vor allem in den Sanierungsgebieten von Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain deutliche Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse zu verzeichnen. Kurzum, die Diskussion um neue Sanierungsziele und vor allem um die Instrumente, wie diese durchzusetzen sind, ist lange überfällig.

Die Rückkehr der Urbaniten ...

Die nun vorliegenden Leitsätze der Senatsverwaltung lesen sich jedoch wie ein Erfolgsbericht: "Das hohe Niveau der baulichen Erneuerung (...) unterstreicht die deutlichen Erfolge", denn inzwischen seien 52% aller Wohnungen in den Sanierungsgebieten erneuert. Die Basis dieser Erfolgseinschätzung ist das konsequente Ausblenden der sozialen Sanierungsziele. So sollen Verdrängungsprozesse zwar auch weiterhin vermieden werden, doch zugleich zielt die neue Strategie auf den "Zuzug stabilisierend wirkender Bevölkerungsgruppen" - auch im Hause Junge-Reyer bleiben Strieders Urbaniten und Stadtbürger lebendig und werden aus der Mottenkiste geholt, wenn es darum geht, die künftige Perspektiven der Berliner Stadtentwicklung zu beschreiben.

Der Schutz vor Verdrängung wird in den neuen Leitsätzen zum nachrangigen Ziel degradiert. In den Leitsätzen von 1993 hieß es noch: "Die Erneuerungsmaßnahmen sollen es den Bewohnern grundsätzlich ermöglichen, im Gebiet zu verbleiben." Die Sanierung selbst sollte also zu einem Instrument werden, um Verdrängungen zu verhindern. Ganz anders in den aktuellen Leitsätzen: "Die soziale Stadterneuerung soll gewährleisten, dass (...) die angestammte Bevölkerung, soweit dies unter Berücksichtigung der spezifischen Funktionen der städtebaulichen Sanierung möglich ist, im Gebiet ansässig bleiben kann". Diese Einschränkung ist eine gravierende Prioritätenverschiebung auf die baulichen Aspekte der Stadterneuerung. Wenn Verdrängungsschutz nur noch ein Nebenziel der Sanierungspolitik ist, braucht es auch keine sonderlichen Instrumente dafür. So finden sich in dem Senatspapier nur Verweise auf soziale Instrumente (Sozialplanverfahren und umfassende Beratung), die in Sanierungsgebieten bereits im Baugesetzbuch (BauGB) festgelegt sind.

Stattdessen wird auf die Verbesserung der räumlichen Qualität gesetzt, wobei auch im baulichen Bereich die letzten Verbindungen zur Behutsamen Stadterneuerung gekappt werden. Statt Erhalt und Erneuerung der Bausubstanz soll nun wieder dem "Abriss störender Gebäude in engen städtebaulichen Situationen" Tür und Tor geöffnet werden. Auch Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen und sozialen Infrastruktur werden dem Ziel der Aufwertung unterworfen. Statt sozialer Verantwortung für die angestammte Gebietsbevölkerung geht es nun um eine investitionsfreundliche Umgebung für private Bauherren. Im Text heißt es: "Die öffentlichen Investitionen müssen der Qualifizierung der sozialen und kulturellen Infrastruktur und des Wohnumfelds dienen, damit private Investitionen in das Wohnen auf ein entsprechendes funktionstüchtiges und attraktives Umfeld stoßen können." Die Berliner Sanierungspolitik ist also dabei, sich zu einer klassischen Aufwertungsförderung zu entwickeln. Statt eigene stadtentwicklungspolitische Ziele zu formulieren, soll das kommunale Engagement auf eine Anschubfinanzierung für private Investitionen im Wohnbereich zurechtgestutzt werden. Schließlich sind den Dachgeschoss-Yuppies und Eigentumswohnungserwerbern ungepflegte Grünanlagen und holprige Gehwege nun wahrlich nicht zuzumuten.

... und die Aufhebung der Sanierungsgebiete

Angesichts der stadtentwicklungspolitischen Visionen der neuen Leitsätze drängt sich schnell die Frage nach ihren Hintergründen auf, denn die Aufwertung in den Sanierungsgebieten findet statt und wird von der zahnlosen Praxis der aktuellen Stadterneuerungspolitik kaum eingeschränkt. Dennoch gab es ganz offensichtlich einen Zeitdruck für die Veröffentlichung der neuen "Leitsätze". Wie das Kleingedruckte in Versicherungsverträgen findet sich ein wesentlicher Grund für die neue Sanierungsstrategie unter Punkt 6: "Eine wesentliche Gebietsverbesserung i.S. des § 136 BauGB und damit des städtebaulichen Sanierungszieles ist erreicht, wenn die Erneuerungsmaßnahmen auf etwa 60 der Grundstücke durchgeführt (...) sind. (...) Weitergehende Erneuerungsmaßnahmen sind Bestandteil künftiger städtebaulicher Entwicklungen." In den bisherigen Leitsätzen war diese Marge bei 70% festgelegt. Mit dieser Reduktion des Sanierungsziels gibt sich die Senatsverwaltung die Möglichkeit in die Hand, die meisten der Sanierungsgebiete in den nächsten Jahren aufzuheben. Das spart zum einen Geld bei der Durchführung von Sanierungen, reduziert also beispielsweise Kosten für Ordnungsmaßnahmen oder Sozialpläne. Zum anderen kann die Aufhebung der Sanierungsgebiete bares Geld in den Berliner Haushalt schwemmen, denn mit der Aufhebung kann die Stadt Berlin von den Eigentümern in den Sanierungsgebieten einen so genannten Ausgleichsbetrag erheben. Durch den Ausgleichsbetrag sollen die durch die Sanierung hervorgerufenen Bodenwertsteigerungen abgeschöpft werden. Dabei stellt der Ausgleichsbetrag die Differenz zwischen dem Wert der Immobilie nach der Sanierung (Endwert) und dem Wert, den die Immobilie hätte, wenn es nie eine Sanierung gegeben hätte (Anfangswert) dar. Wie hoch diese Beträge letztendlich sind, wird in Berlin in einem komplizierten Berechnungsverfahren festgelegt. Die Ausgleichsbeträge können jedoch nur erhoben werden, wenn die Sanierungsziele auch erreicht sind - deshalb ist die Verkürzung des Ziels auf 60% für die Senatsverwaltung so wichtig. Mit diesen veränderten Zielmarken können bereits in den nächsten Jahren die ersten Gebiete entlassen und die Ausgleichsbeträge kassiert werden. Insofern sind die neuen Leitsätze weniger der Beginn einer neuen Sanierungsstrategie als der Anfang vom Ausstieg aus der Stadterneuerung in Berlin.

Das Problem des 'letzten Drittels'

Worin besteht das Problem der neuen Leitsätze, wenn diese gar nicht mehr richtig zur Anwendung kommen werden, da die Sanierungsgebiete entlassen werden? Zum einen darin, dass das vorliegende Papier die stadtentwicklungspolitischen Vorstellungen der Senatsverwaltung widerspiegelt und somit die in den Leitsätzen enthaltene einfallslose Aufwertungsorientierung durchaus ernst genommen werden muss. Doch einschneidender ist der überstürzte Ausstieg aus der Stadterneuerung. Denn in den noch unsanierten Beständen konzentrieren sich vor allem jene Haushalte, die sich schon jetzt die Mieten in den sanierten Wohnungen nicht leisten können. Sozialdaten aus den Sanierungsgebieten zeigen, dass der Einkommensabstand der Bewohner/innen in den unsanierten Beständen zum Durchschnitt der Sanierungsgebiete noch nie so groß war wie zurzeit, wie z.B. die Zahlen am Beispiel der Sanierungsgebiete in Prenzlauer Berg zeigen (siehe Tabelle).

Durchschnittliche Äquivalenzeinkommen (Euro/Monat) in verschiedenen Gebäudebeständen der Sanierungsgebiete von Prenzlauer Berg

Seit 1995 wurden nicht nur die Fördergelder für die verschiedenen Sanierungsprogramme gekürzt und eingestellt, sondern auch die Mietobergrenzen erwiesen sich als nicht mehr durchsetzbar, sodass die Mieten in den modernisierten Wohnungen anzogen. Für Haushalte mit geringen Einkommen, die in den Gebieten bleiben wollten, blieb also nur das ‚letzte Drittel' der unsanierten Wohnungen. Im Fall von künftigen Modernisierungsmaßnahmen sind demnach zunehmend ärmere Haushalte mit steigenden Mieten konfrontiert. Ohne administrative Eingriffe in das Sanierungsgeschehen ist deren Verdrängung aus dem Gebiet nur eine Frage der Zeit.

Die neuen "Leitsätze zur Stadterneuerung" hätten sich diesem Problem stellen und Wege einer sozialverträglichen Sanierung aufzeigen müssen. Stattdessen auf den "Zuzug stabilisierend wirkender Bevölkerungsgruppen" zu setzen, ist angesichts des Scheiterns der bisherigen sozialen Sanierungsziele mindestens zynisch.

Urbaniten

1997 wurden von der Stadtentwicklungspolitik Urbaniten, d. h. "neue Stadtbürger" als Zielgruppe für eine Mittelschichtpolitik konstruiert: Urbaniten sind dieser Vorstellung nach Besserverdiener, kulturbeflissen, streben nach Wohneigentum und wollen sich (materiell) an der Stadt, insbesondere der Innenstadt, beteiligen.

Leitsatz 3 im Vergleich

Leitsatz 3, 1993:
"Die Erneuerung ist an den Bedürfnissen der Betroffenen zu orientieren. Die Erneuerungsmaßnahmen und -verfahren werden sozialverträglich gestaltet."

Leitsatz 3, 2005:
"Die Ziele und die Durchführung der Sanierung haben sich an den Belangen und Interessen der Betroffenen zu orientieren. Nachteilige Wirkungen, auch die Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung in Folge städtebaulicher Planungen und Maßnahmen sollen auf der Grundlage eines Gebietssozialplans möglichst vermieden oder gemildert werden. Die Qualität der Quartiere ist auch auf den Zuzug stabilisierend wirkender Bevölkerungsgruppen (insbesondere junge Familien) auszurichten. Ferner sind die Bedürfnisse der älteren Bevölkerung als zukünftig wachsender Bevölkerungsanteil stärker zu beachten."

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