MieterEcho 309/April 2005: Ulrich Pfeiffer und das Marktforschungsinstitut empirica

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MieterEcho 309/April 2005

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Zum Beispiel: Ulrich Pfeiffer ...

... und das Marktforschungsinstitut empirica

Julia Oppermann

Zu den Beratern von regionalem bis allenfalls nationalem Zuschnitt gehört Ulrich Pfeiffer, der Gründer des privaten Marktforschungsinstituts empirica.

Über ihn und das Institut schrieb das MieterEcho bereits in seiner Ausgabe 280/2000: "Der Geschäftserfolg von empirica beruht darauf, dass die Firma als Provokateur zu Diensten ist, wenn einflussreiche Leute irgendwo eine Bresche schlagen wollen, sich selbst aber im Hintergrund halten möchten. Pfeiffer selbst will diese Rolle intellektuell verstanden wissen und bezeichnet sich in diesem Sinne als 'struktureller Polemiker'. Die Kunstfertigkeit besteht darin, dass er einschließlich Sozialrhetorik einen breiten Kreis von an der Abwicklung gemeinnütziger Institutionen Interessierten bedient, ohne dass die geschäftlich beteiligten SPD-Seilschaften an seiner Loyalität zweifeln müssen. Scheinbar belegt durch harte Strukturdaten in Gestalt von 'Sachzwängen', stellt empirica die große Umverteilung öffentlicher Besitzstände in private Hände immer wieder als objektive Modernisierungsnotwendigkeit dar."

Großen Erfolg hatte Pfeiffer mit seiner 1998 im Auftrag des Bundesverbands deutscher Wohnungsunternehmen (GdW) erstellten Studie über die "überforderten Nachbarschaften". Vor dem Hintergrund der sozialen Polarisierung, die Pfeiffer als enthusiastischer Apologet ihrer Ursache, des Neoliberalismus, mitzuverantworten hat, wird in dieser Studie übler Vorstadtrassismus hochgekocht und den Wohnungsbauunternehmen empfohlen, sich marktförmiger zu verhalten. Der öffentlichen Förderung legt die Studie nahe, eine Verbindung mit dem Markt einzugehen.

Zu den in vielen Untersuchungen wiederkehrenden Grundmustern der Argumentation gehört die vom Donnerstagskreis im folgenden Beitrag thematisierte "demografische Falle". Mit seinen Altersgenossen geht der 65-Jährige jederzeit - und man hat den Eindruck, nicht ohne Vergnügen - ruppig aber ohne erkennbar sachliche Basis um: "Die Alterung der Bevölkerung und der Rückgang in der Zahl der Einwohner sind trotz Internet und anderen großen technischen Veränderungen das große, alles überschattende Ereignis der nächsten Jahrzehnte", hebt er in seinem Buch "Deutschland - Entwicklungspolitik für ein entwickeltes Land" das Kapitel "Vorsorge bei alternder Bevölkerung" an. Die Verbindung zwischen der Alterung und dem Internet wird nicht weiter erläutert. Vielleicht ist sie metaphorisch gemeint - Internet als Sonne, die Alterung als Schatten - oder ihm einfach nur so durch den Kopf geschossen.

Der Konsum der Renter

"Während die Gesellschaft dringend höhere Produktivitätssteigerungen braucht, um die Anspruchslawine zu finanzieren (die Lawine der Ansprüche an das soziale System ist ein weiterer gebetsmühlenartig wiederholter Topos in Pfeiffers Argumentationen) droht durch überhöhte Abgaben (überhöhte Steuern schmiegen sich stets in das Weltbild empiricas ein) und Alterung eine Verlangsamung des Wachstums." Diese zunächst allgemeinen Feststellungen werden kurz darauf auf überraschende Weise konkretisiert: "Es leuchtet unmittelbar ein, dass der Konsum eines Rentners in einer künftigen Periode jeweils in dieser Periode auch erwirtschaftet werden muss. Eine Dienstleistung oder ein Liter Benzin, den ein Rentner verbraucht, steht den Erwerbstätigen in dieser Periode nicht zur Verfügung." Was tatsächlich unmittelbar einleuchtet, ist die verquaste Denkungsart, wenn nicht gar Schlimmeres. Doch wir wollen nicht unterstellen, dass Pfeiffer, der den Rentnern jeden Liter Sprit im Tank des Mittelklasse-Pkw, mit dem sie in den Lebensabend fahren, neidet, auch dafür plädiert, ihnen lebensverlängernde ärztliche Betreuung zu verweigern, wie das in konsequenteren christlich-demokratischen Kreisen ungeniert erörtert wird. Pfeiffer mag nur offenbar nicht wahrhaben, dass jedes, egal von wem konsumierte, Produkt einem anderen nicht zur Verfügung steht, dass aber durch Konsum die Wirtschaftstätigkeit angekurbelt wird und dem Wachstum dient anstatt ihn zu behindern.

Es ist sinnlos, sich mit den Pfeifferschen Darstellungen rational auseinander zu setzen, man kann sie nur auf sich wirken lassen. "Die dringliche Steigerung der Produktivität wird unter den Bedingungen der Alterung künftig noch schwerer zu erreichen sein", wiederholt er ohne zu erklären, was Produktivität, die eine Folge technisch-wissenschaftlicher Entwicklung ist, mit Alterung der Bevölkerung zu tun hat, und er postuliert: "Da alte Menschen weniger sparen als junge, droht eine Kapitalknappheit, die eine Erhöhung der Kapitalintensität erschwert." Woher die Weisheit über das Sparverhalten älterer Menschen stammt, wird nicht verraten und Kapitalknappheit und Kapitalintensität sind einfach nur Wörter, die dem Satz den Anschein einer Aussage über ökonomische Sachverhalte geben sollen.

Allheilmittel private Altersversorgung

Was ist zu tun, nach des gutachtenden Pfeiffers sachverständiger Meinung? Zumindest könnten die Alten, erwartet er, solange sie noch nicht alt, sondern jung und knackig sind, eine private Altersvorsorge aufbauen. Eine solche kapitalgedeckte Vorsorge ließe sich mit einer Grundrente kombinieren, die aber sehr niedrig sein müsste. "Mit dem (Teil-)Übergang zu einem Kapitaldeckungssystem könnte sich die Gesellschaft eine Art Schutzimpfung gegen Versorgungsillusionen verschreiben. Deshalb darf die Grundrente nur ein Existenzminimum sichern und gegenwärtig ab dem 65. Lebensjahr bei allmählich steigender Altersgrenze gezahlt werden." Weitere Vorteile sieht er massenhaft: "Die individuelle Verantwortung der Bürger würde gestärkt, Alterssicherung wäre wieder persönlicher und wäre direkter zu verantworten. Die Anreize für eine Frühpensionierung würden verschwinden, weil die Altersbezüge bei Frühpensionierung deutlich sinken würden."

Damit kommen wir zu dem neben der privaten Altersvorsorge zweiten Grundsanliegen des älteren Menschenfreunds: der Verlängerung der Lebensarbeitszeit. "Länger arbeiten, mehr lernen und mehr sparen", soll die Devise für seine und künftige Generationen sein. Es "sollte noch in dieser Legislaturperiode [1998! J.O.] eine stufenweise Anhebung der Pensionsgrenze auf 68 oder 70 Jahre beschlossen werden." Wie bereits oben bemerkt, rationale Analyse ist nicht Sache dieses Gutachters. Ihm obliegt neoliberale Stimmung zu verbreiten. Denn wie sich die steigenden Pensionsgrenzen auf die hohe Arbeitslosigkeit gerade der Altersschichten auswirkt, die private, kapitalgedeckte Vorsorge treffen sollen, ist kein Problem, dem er sich zu widmen gedenkt. Auf die Frage, zu welchem Ergebnis sich denn sinkende Reallöhne und steigende Anzahl prekärer Arbeitsverhältnisse mit der Fähigkeit zu privater Daseinsvorsorge paaren, wird man ebenso vergeblich eine Antwort suchen.

Doch um derlei geht es eben gar nicht bei den Politik-Beratern. Die Sachkompetenz dient einzig, neoliberalen Entscheidungen die Begründungen zu liefern. Die Entscheidungen bräuchten die Begründungen zwar nicht, aber mit ihnen lassen sich die Akzeptanz erhöhen und die Reibungsverluste verringern.

Glaubwürdigkeit von Prognosen

Eine Zuhörerin erinnert sich an die Auftritte von Ulrich Pfeiffer auf den Veranstaltungen des Stadtforums in den frühen 1990er Jahren: "Besonders faszinierend war es, Ulrich Pfeiffer zuzuhören, wenn er Berlin seine Zukunft vorrechnete. Er hatte die Leitgedanken des Stadtforums formuliert und den Anspruch erhoben: "Politik sollte vorab, natürlich nach gründlicher öffentlicher Diskussion, [den Weg] festlegen und den privaten Investoren, den Planern und Architekten als Vorgabe Rahmenbedingung setzen (...) [das heißt], die Hierarchie von Straßen und Plätzen, die wesentlichen Dichteerscheinungen, die Entscheidung über Baumassen, Blockgrößen oder die Ausnutzung von Blöcken politisch vorgeben.' Um dies zu bewerkstelligen war empirica vor allem verantwortlich für die Ermittlung des Gewerbeflächenbedarfs und verkalkulierte sich auf Grund von Mehrfachzählungen der jeweils mehrere Maklerbüros kontaktierenden Investoren gleich um eine Million Quadratmeter, die in ‚Dichteerscheinungen' als Projekt und in politischen Vorgaben zum Flächennutzungsplan wurden. ‚Leichtsinnsfehler' nannte Pfeiffer das bereits 1994 und sprach selbstkritisch davon, dass man in der ‚Euphoriephase' die Aufnahmefähigkeit der Märkte überschätzt hätte. Die Zuhörer von damals erinnern sich noch gut, dass die empirica-Expertisen, die Berlin über das strategische Instrument von metropolitanen Großinvestitionen zur ‚global city' und damit zu einem Wettbewerbsgewinner machen wollten, schon damals nicht unwidersprochen geblieben waren. Während Pfeiffer seinerzeit von einem kurzfristigen Bevölkerungswachstum auf mehr als vier Millionen Einwohner im Jahr 2000 sprach (und damit den Bau der ‚Neuen Städte' Wasserstadt, Karow, Französisch-Buchholz et alii initiierte)" (MieterEcho Nr. 280).

Doch eigentlich ist das alles gar nicht wichtig. Ullrich Pfeiffer ist - und darauf kommt es allein an - Sprecher des Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung. Lange Zeit war sein Stellvertreter Thilo Sarrazin. Diese ultraneoliberale Gruppierung innerhalb der SPD gibt eine Linie vor, die nur aus einem Forderungspaar besteht: Privatisierung und Deregulierung. Gutachten, so sachkompetent zu erscheinen sie sich bemühen, haben nur die zwingende Funktion eines verstärkenden Echos.

Er selbst ist übrigens noch ganz kregel und offensichtlich hat er sich in seiner Rolle recht gut eingerichtet. Im Klappentext für sein bei der Europäischen Verlagsanstalt erschienenem Buch "Deutschland - Entwicklungspolitik für ein entwickeltes Land" heißt es: "Ulrich Pfeiffer lebt in Bonn, Berlin, London und in der Provence." Und ganz gewiss nicht schlecht!

Ulrich Pfeiffer

Der Stadtökonom Ulrich Pfeiffer, geb. 1939 bei Frankfurt/Oder, studierte Ökonomie und politische Wissenschaften in München. Er war von 1965 bis 1967 Forschungsassistent im Bereich Regionalplanung und Stadtentwicklung, von 1968 bis 1982 war er in verschiedenen Bundesministerien tätig und von 1982 bis 1986 arbeitete er als freiberuflicher Berater für Firmen und Behörden. 1990 gründete er das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen empirica mit Sitz in Bonn und Berlin (http://www.empirica-institut.de). Pfeiffer ist Aufsichtsratsvorsitzender der empirica AG (Berlin) und Gesellschafter der empirica GmbH (Bonn). Außerdem ist er Sprecher des SPD-nahen Managerkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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