MieterEcho 308/Februar 2005: "Warten auf die Sintflut"

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MieterEcho 308/Februar 2005

 BUCHREZENSION

Die "bösen Buben" von Berlin

Nicht nur die Bankgesellschaft ist für das finanzielle Desaster der Stadt verantwortlich, erklärt Mathew D. Rose in seinem neuen Buch "Warten auf die Sintflut"

Christoph Villinger

"Berlin hat im Augenblick ungefähr 60 Mrd. Euro Schulden, im Jahr 2007 werden es wohl zwischen 67 und 70 Mrd. Euro Schulden sein", fasste der Berliner Enthüllungsjournalist Mathew D. Rose bei einer Veranstaltung im Tränenpalast vor kurzem die Lage der Hauptstadt prägnant zusammen. Noch Anfang der 1990er seien es nur 9 Mrd. Euro Schulden gewesen. "Doch diese Schulden stammen augenblicklich nur zu 3,4% von der Krise der Bankgesellschaft Berlin", betonte er, sondern dafür seien ganz andere Netzwerke in der Hauptstadt verantwortlich.

"Warten auf die Sintflut", lautet der Titel seines seit Herbst 2004 vorliegenden neuen Enthüllungsbuchs. Diesmal widmet sich Mathew D. Rose auf über 230 Seiten der "Cliquenwirtschaft, Selbstbedienung und den wuchernden Schulden der öffentlichen Hand in unserer Hauptstadt". Vor einiger Zeit machte sich Rose einen Namen als investigativer Journalist durch sein Buch mit dem Titel "Eine Ehrenwerte Gesellschaft. Die Bankgesellschaft Berlin", dessen fünfte Auflage inzwischen auf den Ladentischen liegt.

Doch schon damals ärgerte den in den USA geborenen und seit fast 20 Jahren in Berlin lebenden Rose die Reduktion des Blicks auf die Bankgesellschaft als alleinige Verursacherin der Schulden des Landes Berlin. Vielmehr sind laut Rose auch die so genannte Soziale Wohnungsbauförderung, die Berliner Wasserbetriebe (BWB) und Verkehrsbetriebe (BVG), aber auch die städtischen Entwicklungsgebiete für den Anstieg der Schulden bis 2007 auf knapp 70 Mrd. Euro verantwortlich. Noch nicht mitgerechnet sind hier die Verbindlichkeiten, die in irgendwelchen Schattenhaushalten versteckt sind, wie zum Beispiel die Pensionsansprüche von ehemaligen BVG-Angestellten.

In seinem längsten Kapitel versucht Rose, den Lesern das System der so genannten Sozialen Wohnungsbauförderung zu erklären, über die allein von 1991 bis 1997 zehn Mrd. Euro in die Taschen der Berliner Bauwirtschaft umgeleitet wurden. Wie andere scheitert auch er damit, aber es ist trotzdem eine sehr lesbare Zusammenfassungen dieses hochkomplexen Themas. "Sie haben nichts begriffen", sagen auch immer wieder Insider zu Rose, als er sich von ihnen dieses System erklären lassen will. Wie will man auch begreifen, dass es in Berlin für Bauunternehmer möglich war, staatliche Fördergelder in Höhe von 34 Mio. Euro für den Neubau eines Wohnkomplexes zu beantragen und genehmigt zu bekommen, dann aber den Bau nur für etwa 17 Mio. Euro zu errichten, wie Rose an einem Beispiel aus Berlin-Buckow zu Beginn der 1990er Jahre erzählt. Statt der beantragten Holzfenster taugten Aluminiumfenster zum Beispiel auch. Jegliche Kontrolle fehlte, war auch gesetzlich gar nicht richtig vorgesehen. Da blieben fast 17 Millionen Euro für das Richtfest und sonstige Feierlichkeiten der Investoren. Die Berliner Förderprogramme des Sozialen Wohnungsbaus waren also vor allem für die Bauunternehmer und ihre Freunde sozial. Und nach der Fertigstellung der Wohnungen sind die Kosten meist so hoch, dass nur noch das Sozialamt die Mieten bezahlen kann.

Ebenfalls ausführlich schildert Rose den Fall des Neuen Kreuzberger Zentrums (NKZ), an dessen private Betreiber mit seinen 300 Wohnungen seit 1974 knapp 52 Mio. Euro staatliche Fördergelder bei Baukosten von ungefähr 48 Mio. Euro flossen. Und laut Rose warten auf das Land Berlin weitere 16 Mrd. Euro Verbindlichkeiten aus der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus, "die im offiziell bekannten Defizit gar nicht sichtbar sind". Durchschnittlich kostete in den 1990er Jahren die Subvention einer Sozialwohnung 345.000 Euro gerechnet über die Gesamtlaufzeit. Für dieses Geld hätte man den meist sozialhilfebeziehenden Bewohner/innen auch eine Villa im Grunewald schenken können.

Doch Rose übersieht, dass sich zumindest Teile der politischen Klasse in der Hauptstadt in den letzten zwei Jahren ernsthaft bemühen, aus dieser Geldvernichtungsmaschine auszusteigen. Auch wenn sie sich dabei oft widersprüchlich verhalten. So stoppte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) die Anschlussförderung für die Sozialen Wohnungsbauprogramme und sieht sich nun etlichen Musterklagen von privaten Investoren ausgesetzt. Alles nur Show? Nur eine Umorganisation der Macht, "um weiter Geschäfte machen zu können, ohne erwischt zu werden". Dahin fließe alle Kreativität des Mittelbaus der Verwaltung, äußerte Rose auf der Veranstaltung im Tränenpalast.

Auch ein Sponsoring-Essen im Palace-Hotel am Europa-Center gräbt Rose aus. Eine Initiative "Unternehmer für Klaus Wowereit" hatte zu dem Gala-Dinner geladen, gegen eine Wahlkampfspende in Höhe von 2500 Euro für die Berliner SPD, und knapp 20 Berliner Unternehmer und einflussreiche Strippenzieher der Hauptstadt erschienen. Im Nachhinein wollten viele ihre Teilnahme nicht bestätigen, obwohl sie auf der Liste der "zugesagten Gäste" standen.

Rose entdeckt überall "eine enge Verwicklung von Politik, Wirtschaft, Justiz, Gewerkschaften und Medien. Der Berliner Filz ist eine Beutegemeinschaft, die mit legalen und illegalen Mitteln die Demokratie missbraucht, um ihre materielle und politische Macht zu sichern". Doch genau das von Rose auch ausgewählte Beispiel des Tempodroms zeigt doch, dass in der Stadt und unter diesem angeblich immer unter einer Decke steckenden Filz auch gnadenlose Machtkämpfe ausgetragen werden. Wie sich der Tempodrom-Skandal in der jüngeren Vergangenheit entwickeln würde, konnte Rose bei Drucklegung des Buchs noch nicht wissen. Aber dass von der Staatsanwaltschaft zum ersten Mal gegen einen amtierenden Senator (Tilo Sarrazin/SPD) und einen ehemaligen Senator (Peter Strieder/SPD) Ermittlungen wegen Untreue zulasten des Landes Berlin aufgenommen werden, hat in der Verwaltung der Stadt schon einiges ausgelöst.

Hier zeigt sich die Beschränktheit des Bilds, hinter allem immer nur eine Bande von raffgierigen Männern zu sehen. Statt Strukturen aufzudecken, will Rose "böse Buben" entlarven. So kann Rose zwar viele Geschichten erzählen, aber die Leserschaft kann tatsächlich nur wenig wirklich begreifen. Als wäre Berlin die einzige Stadt in der BRD, die in diesen Finanznöten steckt. Vor der Pleite stehen zudem auch etliche Städte in Frankreich und Italien. Hat dies vielleicht nicht auch etwas mit der Geldpolitik der europäischen Zentralbank zu tun? Und kommt die Kritik an den ineffektiven und korrupten Strukturen in den Stadtverwaltungen immer nur von links?

Der Ansatz von Rose, Skandalgeschichten aufzudecken, greift zu kurz. Da saß er zwar auf jener Veranstaltung im Tränenpalast und wurde von allen Seiten gelobt, doch während der Wirtschaftsprofessor Johannes Ludwig aus Hamburg sich für mehr Transparenz und Macht für den Landesrechnungshof aussprach, träumte der Autor Dr. Markus Kerber von einer "zeitweisen Entmachtung des Parlaments" und "der Einsetzung eines Staatskommissars".

Da konnte sich auch Rose nicht mehr dahinter verstecken, dass das "Aufzeigen von Lösungsansätzen nicht seine Aufgabe sei", wie er bei einer seiner Lesungen sagte. Sondern hier sei der investigative Journalist auch in einer anderen Richtung gefordert.

Warten auf die Sintflut

Mathew D. Rose: Warten auf die Sintflut. Über Cliquenwirtschaft, Selbstbedienung und den wuchernden Schulden der öffentlichen Hand - unter besonderer Berücksichtigung unserer Hauptstadt Transit-Buchverlag, Berlin 2004, 237 Seiten; 18,80 Euro, ISBN 3-88747-196-2

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