MieterEcho 308/Februar 2005: Hartz IV: Alleinerziehende mit einem Kind über sieben Jahren

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MieterEcho 308/Februar 2005

 HARTZ IV

Hartz IV: Der achte Geburtstag ist kein Grund zum Feiern

Alleinerziehende mit einem Kind über sieben Jahren haben keinen Anspruch auf Mehrbedarf

Claudia Schasiepen

Claudia Schasiepen* macht in dem folgenden Beitrag auf eine der vielen Ungereimtheiten im SGB II aufmerksam. Die Begriffe Alleinerziehende und Alleinstehende liegen sehr nah beieinander, dürfen aber nicht verwechselt werden. Alleinerziehende haben Anspruch auf einen Mehrbedarf - und um den geht es hier - neben der Regelleistung für die Kinder als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft.

Alleinerziehende erhalten einen Mehrbedarf von 36% von der ihnen zustehenden Regelleistung, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren zusammenleben. Ist das Kind älter als sieben Jahre, entfällt laut Gesetz der Mehrbedarf. Nur wenn Alleinerziehende "mit zwei (...) Kindern unter sechzehn Jahren" zusammen leben, erhalten sie noch den Mehrbedarf von 36%. Der Gesetzgeber ist offenbar der irrigen Ansicht: Ein Kind, das älter als sieben Jahre ist, lebt pflegeleicht für sich allein und so sind die Alleinerziehenden mit einem Kind über sieben Jahren einem Alleinstehenden gleichgestellt. Diese Gleichstellung mit Alleinstehenden scheint mir verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes (Art. 2) ist meines Erachtens auch verletzt, wenn Ungleiches über einen Kamm geschoren wird. Wie hier die Alleinerziehenden mit Kind über sieben Jahren mit den Alleinstehenden. Zudem unterstellt das Grundgesetz Mütter (Väter) dem Schutz und der Fürsorge der Gemeinschaft. (Art. 6 Abs. 4 GG). Diese Fürsorge ist einzufordern, auch für Alleinerziehende mit Kindern über sieben Jahren.

Der Begriff "Mehrbedarf" im Hartz IV-Gesetz bezieht sich auf einen wirtschaftlichen Hintergrund des Anspruchs. Sämtliche Bedürfnisse eines über siebenjährigen Kindes sollen mit 207 Euro pro Monat abgedeckt werden, wobei Unterhalt und Kindergeld voll angerechnet werden. An dieser Stelle nachzurechnen, ob 207 Euro für das Kind wirklich ausreichen, halte ich jedoch für den falschen Weg. Im Unterhaltsrecht ist seit langem anerkannt: Alleinerziehende erhalten Unterhalt als Anerkennung für die Verantwortung, die sie für das Wohlergehen des Kindes übernehmen. Früher wurde pfennigfuchserisch der Unterhalt nur für die wirtschaftliche Versorgung des Kindes geleistet, mit der Folge, dass der Unterhalt gekürzt oder ausgesetzt wurde, wenn das Kind beim unterhaltspflichtigen Elternteil zu Besuch oder in Ferien war. Die Schieflage, die für die Alleinerziehenden durch lückenhafte Unterhaltszahlungen entstand und die dadurch in wirtschaftliche Not gerieten, wurde mit dem Unterhaltsvorschussgesetz und der neuen Rechtsprechung begradigt. Jetzt ist für hilfebedürftige Alleinerziehende mit einem Kind über sieben Jahren die Schieflage wieder entstanden.

Wenn ich meine siebenjährige Tochter versorge, sie u.a. betreue, wenn sie krank ist, dann ist ein Bonus von 36% von 345 Euro, also 4,14 Euro pro Tag, wenigstens ein klitzekleiner Anfang zu einer familienfreundlichen Politik.

Um meinen Anspruch auf 36% Mehrbedarf durchzusetzen, habe ich meinem Antrag auf Grundsicherung einen Antrag auf Gleichstellung mit einer Alleinerziehenden mit zwei Kindern unter 16 Jahren hinzugefügt. In meinem Antrag verweise ich auf den Artikel 6 Abs. 4 GG. Wird der Antrag abgewiesen, habe ich einen Bescheid in der Hand, mit dem ich dann Rechtsmittel einlegen kann. Nur wenn ich mein Recht wahrnehme, zeige ich, wie ernst ich es als Bürgerin dieses Staates meine.

Der Antrag auf Gleichstellung kann schriftlich in folgender Form gestellt werden: "Ich beantrage Gleichstellung mit einer Alleinerziehenden mit zwei Kindern unter 16 Jahren (Art. 6 Abs. 4 GG)." Mit Datum und Unterschrift versehen muss er an die Poststelle der zuständigen Agentur gehen. Auf einer Kopie sollte man sich den Eingang bestätigen lassen. Wenn nach sieben Monaten keine Reaktion von der Behörde erfolgt, kann geklagt werden.

Hinweis:

Die Autorin hat uns gebeten für weitere Infos bezüglich Alleinerziehender auf die E-Mail-Adresse brotundrosen@snafu.de und das Internetportal www.lilienkelch.de hinzuweisen.

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