MieterEcho 308/Februar 2005: Hartz IV: Substandard oder Platte

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MieterEcho 308/Februar 2005

 HARTZ IV

Hartz IV: Substandard oder Platte

Sozialwohnungen zu teuer für ALG II-Beziehende

Andrej Holm

Eine von der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus in Auftrag gegebene Studie untersuchte - so der Titel - die "Rahmenbedingungen des Berliner Wohnungsmarktes für eine Versorgung von ALG II-Empfängern mit 'angemessenen Wohnraum'". Dabei ging es nicht nur um eine Beschreibung der Situation, sondern vor allem um politische Schlussfolgerungen der Regierungssozialisten für die Ausgestaltung der Berliner Ausführungsvorschriften zur Regelung der so genannten "Unterkunft" im Rahmen von ALG II.

Die erwünschten Wirkungen von Hartz IV werden in der Studie wenig hinterfragt, sondern eher als Ausgangspunkt akzeptiert. Bereits in den ersten Zeilen wird ganz sachlich festgestellt: "Die Übernahme der Wohnkosten durch den Leistungsträger wird den Wohnkosten und als Folge auch der Wohnungsgröße enge Grenzen setzen. Daher wird sich eine noch unbekannte Anzahl zukünftiger ALG II-Empfänger früher oder später mit der Auflage konfrontiert sehen, eine andere Wohnung beziehen zu müssen." Dieser Umstand wird weder als Skandal, als Problem oder als Angriff auf die Bewohner/innen angesehen, sondern durch die behördlich-sachliche Brille eines Amtsträgers betrachtet. Auch für Behörden sei die Situation schließlich nicht einfach, stelle doch die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II) "alle Beteiligte, Betroffene wie Ausführende, vor höchst komplizierte Entscheidungssituationen", so die Studie.

Aus der Perspektive des Gesetzgebers (im konkreten Fall also des Landes Berlin) muss für ALG II-Beziehende festgelegt werden, welcher Wohnraum der Größe und des Preises nach als "angemessen" gelten soll. Eng verbunden ist damit die Frage, ob der Berliner Wohnungsmarkt überhaupt über ein nennenswertes Potenzial "angemessener" Wohnungen verfügt.

Was ist "angemessen"?

Als ersten Punkt umkreist die Studie die Frage der "Angemessenheit". Diese muss vor allem hinsichtlich der Größe und des Mietpreises festgelegt werden. Für die als "angemessen" geltenden Größen benennt die Studie zwei bereits geltende Bezugssysteme: Die Wohnflächenbegrenzung bei Bezug von belegungsgebundenen Wohnungen mit WBS und die Begrenzungen für bisherige Bezieher/innen von Sozialhilfe (nach Bundessozialhilfegesetz). Beide, so die Einschätzung, hätten sich bisher bewährt, stellten im Regelfall keine soziale Härte dar und waren vergleichbar mit dem Niveau in anderen Bundesländern (Tabelle 1).


Tabelle 1: Bis 2004 geltende Wohnflächenbegrenzungen in Berlin
  WBS Sozialhilfe
Anzahl Personen</td> Anzahl Zimmer Fläche Anzahl Zimmer Fläche
1 1 bis 2 50 qm 1 50 qm
2 2 bis 3 60 qm 2 60 qm
3 3 keine Begrenzung 3 75 qm
4 4 keine Begrenzung 4 85 qm
5 5 keine Begrenzung 5 97 qm
jede weitere Person +1 keine Begrenzung +1 +12 qm

Da sich die Werte der beiden Bemessungsgrenzen kaum unterscheiden, sei es nahe liegend, so die Studie, "die Regelung für die Wohnflächenbegrenzung für WBS-Inhaber und Sozialhilfeempfänger auf den Personenkreis des ALG II zu übertragen".

In einem zweiten Schritt soll der Mietpreis für eine "angemessene Unterkunft" festgelegt werden. Auch hier orientiert sich die Studie zunächst an den bestehenden Bestimmungen der Sozialämter und den geltenden Wohngeldkriterien in Berlin. Das Maximum der Mietübernahme durch das Sozialamt im Rahmen der beschriebenen Größenbegrenzungen richtet sich nach Anzahl der Personen und dem Baualter der Wohnung. Für Wohnungen, die vor 1950 errichtet wurden, werden maximale Mietpreise von 4,20 Euro/ qm (bei 5 Personen) und 4,54 Euro/qm nettokalt übernommen. Für später erbaute Wohnungen liegt die Spanne zwischen 4,45 und 4,65 Euro/qm (Tabelle 2).


Tabelle 2: Maximum der Mietübernahme (nettokalt) durch das Sozialamt
Personen maximale Wohnfläche erbaut bis 1950 erbaut nach 1950
1 50 qm 4,54 Euro/qm 4,50 Euro/qm
2 60 qm 4,45 Euro/qm 4,50 Euro/qm
3 75 qm 4,25 Euro/qm 4,45 Euro/qm
4 85 qm 4,25 Euro/qm 4,45 Euro/qm
5 97 qm 4,20 Euro/qm 4,65 Euro/qm

Der Höchstbetrag der zuschussfähigen Miete beim Wohngeld lag bisher deutlich über diesen Grenzen. Für alle Wohnungen, die vor 1966 errichtet wurden, werden Mietpreise bis zu Höchstwerten von 4,50 bis 5,35 Euro/qm gefördert. Für Wohnungen, die vor 1992 gebaut wurden, werden 4,59 bis 5,76 Euro/qm und für Wohnungen, die nach 1992 erbaut wurden, sogar 5,80 bis 6,41 Euro/qm gefördert (Tabelle 3).


Tabelle 3: Höchstbetrag für die zuschussfähige Miete oder Belastung (nettokalt) bei Wohngeldzahlungen
Personen maximale Wohnfläche erbaut bis 1966 erbaut bis 1992 erbaut ab 1992
1 50 qm 4,50 Euro/qm 4,90 Euro/qm 6,00 Euro/qm
2 60 qm 5,00 Euro/qm 5,50 Euro/qm 6,08 Euro/qm
3 75 qm 4,80 Euro/qm 4,59 Euro/qm 5,80 Euro/qm
4 85 qm 5,35 Euro/qm 5,76 Euro/qm 6,41 Euro/qm
5 97 qm 4,95 Euro/qm 5,36 Euro/qm 5,98 Euro/qm


Welche der Kriterien für die Wohngeldzahlungen im Rahmen von Hartz IV für Berlin gelten sollen, bleibt zunächst offen. Alle späteren Überlegungen in der PDS-Studie beziehen sich jedoch auf die deutlich engeren Grenzen der bisherigen Sozialamtsfestlegungen. Auch wenn die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner in ihren Stellungnahmen und Interviews nahezu gebetsmühlenartig wiederholt, dass der größte Teil der Hartz IV- Betroffenen sowieso schon in angemessenen Wohnungen lebt, so muss das für bisherige Wohngeldbeziehende nicht zutreffen. In neugebauten Wohnungen können bisherige Wohngeldbeziehende bis zu fast 2 Euro/qm über den jetzt geltenden Maximalmieten liegen. Für eine Familienwohnung mit der Größe von 85 qm sind das immerhin ca. 170 Euro im Monat. Ob solche Differenzen noch im Toleranzbereich der jeweiligen Ämter und Fallmanager liegen, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Gibt es preiswerte Wohnungen?

Zu dieser Frage wird zunächst ein Überblick zu verschiedenen Bestandsgruppen gegeben. Dabei erscheint es sinnvoll, zwischen den geförderten bzw. belegungsgebundenen Wohnungen und denen des freien Wohnungsmarkts zu unterscheiden. Insbesondere für die geförderten Wohnungen gelten besondere Mietfestlegungen (Kostenmiete), wohingegen für alle anderen die ortsübliche Vergleichsmiete nach dem Berliner Mietspiegel gilt.

Hartz IV und Mietspiegel

Der Mietspiegel kann als Orientierung angesehen werden, welche Mietpreise in einzelnen Bestandsgruppen üblich sind. Deshalb erscheint es sinnvoll, die Bemessungsgrenzen von Hartz IV dem Mietspiegel gegenüberzustellen. Sowohl im Mietspiegel für Westberlin als auch in dem für Ostberlin liegen die Mittelwerte für Wohnungen mit eingeschränkten Ausstattungen (moderne Heizung oder Bad/WC) in allen Lagen und Baualtersgruppen unterhalb der amtlichen Bemessungsgrenzen. Hier werden Hartz IV-Betroffene keine Probleme mit den Ämtern bekommen.

Dieses Bild ändert sich bei den zeitgemäß (mit moderner Heizung und Bad/WC) ausgestatteten Wohnungen. Bei Westberliner Wohnungen, die vor 1965 gebaut wurden, liegen die Mietpreise mit Ausnahme von kleinen Gründerzeitwohnungen (unter 40 Quadratmeter, Baujahr vor 1918) im Rahmen der Bemessungsgrenzen. Die Mietspiegelmittelwerte aller später errichteten Wohnungen hingegen liegen mit Mietpreisen von 4,60 bis 8,45 Euro/qm zum Teil deutlich über diesen Werten. Wohnen nach Hartz IV in Westberlin bedeutet Standardverzicht oder leben in älterer Bausubstanz.

Eine Übersicht fasst die Wohnungsbestände zusammen, in denen sowohl die Größe als auch der Mietpreis mit den Bemessungsgrenzen von Hartz IV übereinstimmen (Tabelle 4).


Tabelle 4: Wohnungen innerhalb der Bemessungsgrenzen von Hartz IV
Westberlin (insgesamt 1.163.000 Wohnungen)
Bestandsgruppe Anzahl Anteil Anteil am Gesamtwohnungsbestand
unsanierter Altbau bis 1918 13.000 8% 1%
unsanierter Altbau bis 1949 6.000 4% 0,5%
Gebäude 1950 bis 1964 150.000 88% 13%
gesamt 169.000 100% 14,5%


In Ostberlin ergibt sich ein anderes Bild: Auch hier sind die Mietpreise von Substandardwohnungen kein Problem für die Hartz IV-Bemessungsgrenzen, doch bei den voll ausgestatteten Wohnungen liegen nur die Mieten in den zu DDR-Zeiten errichteten Plattenbausiedlungen unter den Höchstgrenzen. Die sanierten Altbauten (vor 1918) sowie die nach 1990 erbaute Wohnungen liegen fast vollständig über den Bemessungsgrenzen und bei den restlichen Wohnungsbeständen (bis 1949 bzw. bis 1972) gibt sich eine durchmischtes Bild. In Ostberlin bedeutet Hartz IV entweder Verzicht auf Wohnstandard oder Wohnen in der Platte (Tabelle 5).

Tabelle 5: Wohnungen innerhalb der Bemessungsgrenzen von Hartz IV
Ostberlin (insgesamt 713.000 Wohnungen)
Bestandsgruppe Anzahl Anteil Anteil am Gesamtwohnungsbestand
unsanierter Altbau bis 1918 12.000 5% 2%
unsanierter Altbau bis 1949 14.000 6% 2%
Wohnungen mit einfacher Ausstattung (SH oder Bad) bis 1972 22.000 9% 3%
sanierte und unsanierte Platte 193.000 80% 27%
gesamt 241.000 100% 34%


Hartz IV und Sozialer Wohnungsbau

Die Mieten in den geförderten Wohnungen unterliegen anderen Festlegungen. Abhängig von den jeweiligen Förderprogrammen wird eine schrittweise Mietentwicklung für den Zeitraum der Förderung (meist 15 bis 20 Jahre) festgelegt. Insgesamt gibt es zur Zeit in Berlin noch etwa 220.000 Wohnungen, die im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus gefördert wurden. Die Mehrzahl dieser Wohnungen wurde nach 1972 errichtet und die Mietpreise dort liegen mit 5,27 Euro/qm bereits jetzt deutlich über den Bemessungsgrenzen. Durch die auslaufenden oder vom Senat gekürzten Aufwendungszuschüsse werden sich diese Mieten in den folgenden Jahren deutlich erhöhen. Hinzu kommen noch knapp 30.000 Altbauwohnungen, die mit Fördermitteln aus den Programmen der Sozialen Stadterneuerung und des Denkmalschutzes erneuert wurden. Die Mieten in diesen Beständen orientieren sich am jeweiligen Mittelwert des Mietspiegels und liegen demnach auch außerhalb der Bemessungsgrenzen von Hartz IV. Die aufwändig geförderten Sozialwohnungen und Altbausanierungen der 1970er, 1980er und 1990er Jahre sind für die Sozialpolitik des neuen Jahrtausends zu teuer.

Besonders deutlich wird dies in den Beständen des Sozialen Wohnungsbaus, in denen durch den Wegfall der Anschlussförderung seit 2003 die Mieten deutlich angestiegen sind, weil die Wohnungsunternehmen zur Ermittlung der Kostenmiete die vollständigen Kapitalkosten der Finanzierung auf die Miete anrechnen können. Zur sozialen Abfederung dieser Kürzung hat das Land Berlin beschlossen, den betroffenen Mieter/innen zumindest übergangsweise einen Mietausgleich bis zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete zu gewähren. Doch selbst die liegt etwa 2 Euro/qm über den Bemessungsgrenzen von Hartz IV. Auch die PDS-Studie hat dieses Problem erkannt und befürchtet hohe Kosten bei einer Ausweitung dieser Praxis auf die Leistungsempfänger/innen von ALG II: "Eine Übertragung der Gewährung von Mietausgleich im Fall der Betroffenheit [durch den] Wegfall der Anschlussförderung auf die Kappungsgrenze der maximalen Mietübernahme durch den Leistungsträger für ALG II-Empfänger wird hiermit nicht empfohlen."

Stattdessen wird empfohlen, andere Komponenten des "Mieterschutzes" anzubieten. Konkret vorgeschlagen wird, durch das Land Berlin "eine umfassende Hilfe und Beratung" anzubieten, und zwar:

Nur gut, dass die Sozialsenatorin in der Öffentlichkeit immer wieder verspricht, dass es nur in Einzelfällen zu Umzügen kommen wird. Ihr oft vorgetragener Hinweis, dass Hartz IV-bedingte Umzüge einer Kostenberechnung durch das zuständige Amt unterliegen, klingt für die Betroffenen in den Sozialwohnungen eher als Drohung, denn als Beruhigung. Doch bis zum Sommer gibt es noch eine Schonfrist - im Bereich Wohnen wird die Ausführung von Hartz IV erst dann richtig beginnen.

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