MieterEcho 308/Februar 2005: HOWOGE baut auf Videoüberwachung

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MieterEcho 308/Februar 2005

 TITEL

Ein völlig neues Wohngefühl

HOWOGE baut auf Videoüberwachung

Henrik Solf

Berlins neuer Immobilienriese heißt HOWOGE. Als Ergebnis der durch den rot-roten Senat verfügten Fusion der öffentlichen Berliner Wohnungsbaugesellschaften entwickelte sich im Ostteil der Stadt in aller Stille ein Monopol, das mittlerweile weit über die bekannten Plattenbaubezirke hinausgewachsen ist.

Umso ernster hat man die Versuche gerade dieser landeseigenen Gesellschaft zu nehmen, neue Trends im Umgang mit den Mieter/innen zu setzen. So bescherte die letzte Modernisierungswelle einigen Mieter/innen der HOWOGE ein völlig neues Wohngefühl. Ob nun am Warnitzer Bogen oder am Anton-Saefkow-Platz: Die HOWOGE lässt neuerdings ganze Wohnanlagen per Video überwachen. Zwar nicht komplett, denn vor ihrer Wohnungstür bleiben die Mieter/innen immerhin (noch) unbeobachtet, aber schon im Fahrstuhl, auf der Treppe oder in den Zwischengängen haben sich die Bewohner/innen der videotechnischen Betreuung durch ihre Vermieterin zu erfreuen. Und bis zur Haustür werden sie nicht mehr aus den Augen gelassen. Sogar an den Briefkästen wurden Kameras installiert. Ein Concierge-Dienst kontrolliert zentral an Monitoren rund um die Uhr die Wohnanlage. Die Beobachtungen werden computertechnisch gespeichert und - folgt man der Darstellung der HOWOGE - nach 52 Stunden wieder von neuen Aufzeichnungen überschrieben. Bei entsprechendem Interesse, zum Beispiel für strafrechtliche Ermittlungen, können diese Mitschnitte von den Computern auf einfachem Weg kopiert werden. Eine besondere Sicherung dieser Aufzeichnungen gegen unbefugten Zugriff dritter Personen ist nicht bekannt.

Selbstverständlich beruft sich die HOWOGE zur Rechtfertigung der ungefragt eingeführten Überwachung auf die angeblichen Sicherheitsbedürfnisse ihrer Mieter/innen. Diese würden sich mehrheitlich für die Videoüberwachung ihrer Wohnanlagen aussprechen. Denn vor der oben erwähnten Sanierung der Wohnanlagen hätten sich dort fremde Jugendliche, Drogen- und Zigarettenhändler aufgehalten und es sei immer wieder zu Sachbeschädigungen und Schmierereien gekommen. Die Überwachung der Häuser habe eine abschreckende Wirkung auf diesen Personenkreis und nach der Sanierung sei diese Belastung deutlich zurückgegangen.

Vernachlässigung ging voraus

Dies ist jedoch leider nur die halbe Wahrheit. Über Jahre hatte man die Wohnanlagen in städtebaulich problematischer Lage praktisch verwahrlosen lassen. Die Instandsetzungen beschränkten sich auf das absolut notwendige Maß. So wurden z. B. die Hauseingangstüren bei Mängelmeldungen zwar zügig repariert, an der störanfälligen Konstruktion der Schließanlagen nahm man jedoch keine Verbesserungen vor. Gleichzeitig veränderte sich das soziale Umfeld der Anlagen. In der Nachbarschaft wurden immer mehr Häuser saniert. Daher wich das vorhandene kriminelle Milieu in die wenigen noch frei zugänglichen Häuser aus. Die HOWOGE und ihre Vorgängerinnen produzierten so diejenigen Zustände, denen man heute entgegen treten will.

Umso beeindruckender ist nun der materielle Aufwand, den Zustand sanierter Vollkommenheit zu sichern. Zu diesem Zweck lassen die Verantwortlichen der HOWOGE im großen Stil Aufzeichnungsanlagen installieren. Im Gebäudekomplex am Anton-Saefkow-Platz mit seinen vier Aufgängen befinden sich jetzt schon 14 Kameras. Die Grundrechte der betroffenen Bewohner/innen sind dabei für die Entscheidungsträger der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft offensichtlich nicht von Interesse. Die mit einer flächendeckenden Überwachung konfrontierten Mieter/innen haben einfach ihr Verhalten der veränderten Situation anzupassen. Denn nun weiß der Hausmeister, wann und mit welcher Laune man morgens das Haus verlässt. Ob man - wenn überhaupt - einer geregelten Arbeit nachgeht. Welche Zeitungen und welche Briefe kommen und wer uns abends nach Hause begleitet. Dieser allgegenwärtigen Beobachtung kann sich kein/e Mieter/in entziehen: "Big Hausmeister is watching you." Die Mieter/innen sollten sich also vorsorglich mit dem Concierge gut stellen. Schließlich wird dieser nach nur wenigen Wochen besser über den Tagesablauf Bescheid wissen als die eigene Mutter. Die Nachrichtenbörse der Zukunft ist das Hausmeisterbüro. Sage niemand, er habe nichts zu verbergen. Denn selbst das gedankenverlorene Nasebohren im Fahrstuhl könnte kompromittierend sein. Schließlich weiß niemand, ob die Aufzeichnung nicht vielleicht doch über verschlungene Pfade in einer dieser Sammlungen "witziger" Videoschnipsel auf irgendeinem Privatsender auftauchen könnte. Spätestens seit dem "Maschendrahtzaun" ist ja bekannt, wo so was enden kann.

Dies alles soll natürlich im Dienst der Sicherheit geschehen. Die Kamera ist jedoch zu tatsächlicher Prävention von Straftaten völlig ungeeignet: Wer wirklich Böses tun will, vermummt sich einfach. Gleichzeitig aber schafft die anwesende Kamera erst ein Gefühl der Bedrohung, welches sie eigentlich bekämpfen soll. Sie wird so zu ihrer eigenen Rechtfertigung.

Trotzdem will man offensichtlich bei der HOWOGE über Alternativen zur Videoüberwachung nicht nachdenken. Die Jurist/innen sprechen an dieser Stelle vom "milderen Mittel". Natürlich sind Wohnanlagen wie am Warnitzer Bogen oder Anton-Saefkow-Platz groß und unübersichtlich. Sie entsprechen in klassischer Weise dem Stereotyp des "anonymen Plattenbaus". Die Mieter/innen kennen sich kaum und kommunizieren nur wenig miteinander. Eine grundsätzliche Änderung dieser verfestigten Situation macht sicher einen hohen materiellen und personellen Aufwand erforderlich. Zunächst müsste die Verbundenheit der Mieterschaft mit ihren Nachbarn und ihrem Haus nachhaltig gestärkt und ihre Verständigung untereinander befördert werden. Die Initiierung von Hausfesten oder die Organisierung von Mieterbeiräten wären schon ein kleiner Schritt in diese Richtung. Die Identifikation der Mieter/innen mit ihrem Wohnumfeld erhöht die Bereitschaft, sich für dessen Erhalt einzusetzen. Die permanente Überwachung der offenen Bereiche im Haus unterdrückt dagegen jeden derartigen Impuls. Unbefangene Begegnungen von Nachbarn sind unter diesem Beobachtungsdruck nur schwer vorstellbar. Eine starke Hausgemeinschaft wäre allerdings wohl auch nicht im Interesse der HOWOGE.

Keine persönliche Überprüfung

Es kostet die Vermieterin augenscheinlich auch zu viel, ihre eigenen Mitarbeiter auf regelmäßige und unregelmäßige Kontrollgänge zu schicken. Und letztlich dürften schon die Sanierungen der Hauseingänge und die gleichzeitig neu installierten Wechselsprechanlagen mit Echtzeitvideo für gehörige Kontrolle des Zugangs zum Haus gesorgt haben. Die tatsächlichen Auswirkungen dieser kleinen Veränderungen hat aber scheinbar ebenfalls nie jemand überprüft.

Wegen dieser Beeinträchtigung der informationellen Selbstbestimmungsrechte der Mieter/innen haben Berliner Gerichte dergleichen Überwachungsmaßnahmen immer wieder untersagt. Sie können es jedoch nur, wenn sich betroffene Mieter/innen gegen die Videoüberwachung wehren.

Henrik Solf

Bereits im MieterEcho Nr. 305 kritisierte Rechtsanwalt Henrik Solf die Videoüberwachung und die Einrichtung von Concierge-Diensten bei der WBG Marzahn.

Infos im Internet

Katja Veil, Raumkontrolle - Videokontrolle und Planung für den öffentlichen Raum, http://de.geocities.com/veilkatja (Website nicht mehr online)
Christian Vähling, Rundum sicher, http://www.citycrimecontrol.net/texte/rundum.html

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