MieterEcho

MieterEcho 307/Dezember 2004

quadrat Titel

Kampf um die öffentlichen Wohnungsbestände

Gegen die Privatisierung von Wohnungen hat sich eine internationale Initiative auf dem Europäischen Sozialforum gegründet

Andrej Holm

Das dritte "Europäische Sozialforum" (ESF) fand Mitte Oktober in London statt. Etwa 20.000 Aktive aus europäischen und anderen Ländern debattierten, stritten und demonstrierten drei Tage lang über und für die Perspektiven eines sozialen Widerstands gegen die neoliberale Globalisierung. Auch wenn Sinn und Zweck solcher Großveranstaltungen vielfach umstritten sein mögen, ein Ort für den internationalen Austausch ist das ESF allemal. Gerade auch zum Thema Wohnen.

Im Programmheft des Forums als "The Right to Decent Housing/Struggle for Public Housing"1 noch etwas langatmig beworben, lautete die Veranstaltungsankündigung vor Ort kurz und eindringlich "Fight for Public Housing"2. Das Thema "Privatisierung von Wohnungen" brachte unterschiedliche Initiativen und Projekte aus vielen Ländern Europas zusammen und führte zu ersten Ansätzen für eine Vernetzung des Widerstands. Auf dem Podium waren Initiativen aus Großbritannien, Frankreich, Italien, Russland, Deutschland und den USA vertreten. Bereits bei der Vorstellungsrunde wurden große Unterschiede in der Arbeitsweise und den lokal unterschiedlichen Bedingungen deutlich.

Mieterrechte einklagen

So schilderten insbesondere die Vertreter von großen Mieterorganisationen wie Richard Lee von der London Tenants Federation3, Cesare Ottolini von der International Alliance of Inhabitants und Vorsitzender der italienischen Unione Inquelini sowie German Lomtov, der Präsident der Russian Housing Federation, die allgemeinen rechtlichen und politischen Situationen in ihren Ländern.

In London, so Richard Lee, stünden die Fragen, wie die Wohnsituation für die - meistens von staatlicher Unterstützung abhängigen - Bewohner/innen in den städtischen Wohnungsbeständen (Council Housing) verbessert werden könne und wie die britische Form der Wohngeldzahlung (Housing Benefit) auszubauen sei, auf der politischen Tagesordnung. Die Privatisierung von Council Housing schaffe zwar die Möglichkeit von Investitionen und Wohnwertverbesserungen, berge aber auch die Gefahr der Mietsteigerungen. Die Aufgabe der Tenants Federation sei, Druck auf die Stadtverwaltung und die entsprechenden Hausverwaltungen auszuüben, um in den privatisierten Beständen ein begrenztes Mietenniveau (Housing Association Rent Level) auszuhandeln.

German Lomtov beschäftigte sich mit steigenden Betriebskosten und den gesetzlich gekürzten Beihilfen für Senioren, Kriegsveteranen und Alleinerziehenden in Russland. Ohne Aussichten auf höhere Einkommen stünden die Bewohner/innen vor der Kündigung und die Wohnungsgesellschaften vor dem Bankrott. In einzelnen Städten Russlands konnte die Russian Housing Federation eine Neueinschätzung der (Betriebs-)Kosten durchsetzen, eine generelle Lösung könne jedoch nur durch Gesetze und mit Hilfe internationaler Gelder erreicht werden. Deshalb schlug German Lomtov die Gründung eines "Internationalen Komitees für den Schutz des Wohnrechts" und einen Kongress zur Wohnungssituation in den Übergangsgesellschaften wie Russland und den Ländern Osteuropas vor. Die Ergebnisse sollten zur Unterstützung der Situation in Russland auf der UN- oder EU-Ebene vorgestellt werden.

Cesare Ottolini aus Italien schließlich spannte einen historischen Bogen: Während in den 1970er Jahren - er selbst war damals Hausbesetzer - die sozialen Kämpfe in Italien viele Bewegungen in Europa anregten, sei die italienische Regierung heute ein Vorreiter in Sachen Privatisierung. So wie damals die Aktivist/innen der Kämpfe in den Städten und in den Betrieben zu Vorbildern für eine ganze Bewegung in Europa wurden, so hofft Ottolini heute, Anregungen aus den Kämpfen in anderen Ländern zu bekommen. Die Situation in Italien beschrieb er als "Privatisierung der Privatisierung des Wohnungssektors". Durch "Reformgesetze" ermächtigt, stoße der Staat den größten Teil der in seiner Verwaltung stehenden Wohnungen ab. Am häufigsten sei die so genannte "Katalysation", d.h. die Übergabe der staatlichen Wohnungen an ein großes Immobilienunternehmen mit der Auflage, die Bestände zu verkaufen. Die Verkehrswerte würden später an den Staat abgeführt, die Gewinne der Transaktionen blieben bei dem Unternehmen. Den Privatisierungen würden dadurch Preise folgen, die 40 bis 50% über dem Verkehrswert liegen, was den Verwertungsdruck verstärke. Mietsteigerungen seien die unweigerliche Folge. Der Kampf der Mieterorganisationen ziele auf Gestaltung dieser Privatisierung und fordere von der Regierung eine gesetzliche Preiskontrolle der Verkäufe. Erfolge konnten damit jedoch bisher nur auf lokaler Ebene errungen werden, indem die Bewohner/innen ein Vorkaufsrecht zu dem halben Verkehrswert erhalten. Ob diese Form des Eigentumserwerbs für eine Mieterorganisation eine politische Perspektive biete, ließ Cesare Ottolini offen.

Wohnrechte erkämpfen

Andere Gruppen und Initiativen orientierten sich eher auf lokale Kampagnen. Eileen Short von Defend Council Housing (DHC) beschrieb die Wertspekulation mit den Grundstücken in einigen Siedlungen und die Verschlechterung der teurer werdenden Verwaltungsleistungen in anderen. Bei Privatisierungen stehe nämlich beides zur Disposition: das Grundstück und die Gebäude selbst sowie auch die vorher ebenfalls öffentlich geführten Hausverwaltungen. Eileen Short machte deutlich, worin der Unterschied zwischen Public und Social Housing bestehe: Während sich Social Housing auf eine Non-Profit-Orientierung der jeweiligen Besitzer und Verwalter beschränke, biete das Public Housing in Besitz und Verwaltung der öffentlichen Hand eine umfassende und vor allem langfristige Absicherung sowie die Möglichkeit einer politischen Einflussnahme. Die gesetzlichen Regelungen in Großbritannien erlauben den Mieter/innen von Council Housing-Siedlungen über die Privatisierung abzustimmen. Die DCH Kampagne mobilisiert die Mieter/innen, um die Privatisierung zu verhindern. Zwar sei man landesweit unter einheitlichem Logo vernetzt, doch jede Nachbarschaft müsse letztlich die personellen, logistischen und organisatorischen Rahmen für eine Kampagne selbst schaffen und über mögliche Bündnisse mit Parteien und Gewerkschaften entscheiden. In einzelnen Bezirken von London hatte die Kampagne Erfolg, wie etwa in Camden (mit über 40.000 Council Housing-Wohnungen) wo 77% der Mieter/innen gegen jegliche Form der Privatisierung stimmten.

Jean Baptiste Eyraud von einer französischen Initiative gegen die Marginalisierung (NoVox) stellte die Arbeit der Gruppe Droit au Logement (DAL) vor, die nicht das eigene Wohnrecht, sondern das von Ausgegrenzten, Armen und Migrant/innen in den Vordergrund rückt. Insbesondere durch institutionelle Ausgrenzungen (weil etwa Migrant/innen ohne Papiere keine Wohnung anmieten können) und die massiven Aufwertungsprozesse in französischen Städten seien immer größere Bevölkerungsteile faktisch vom Recht auf das Wohnen abgeschnitten. Die Initiative will das Wohnrecht in der Europäischen Verfassung verankert wissen und fordert ein Gesetz der Wohnbeihilfe auf EU-Ebene. Daneben besetzt die Initiative DAL Wohnungen, um den Marginalisierten tatsächliches Wohnen zu ermöglichen. Privatisierung von öffentlichen Wohnungsbeständen - ein Prozess, den es auch in Frankreich gibt - ist für NoVox nur ein Aspekt einer größeren Ausgrenzungsdynamik. Ihre Analysen und Vorschläge bewegten sich entsprechend auf einem sehr grundsätzlichen Niveau, ohne eine praktikable gemeinsame Perspektive.

Der US-Amerikaner Michael Kane, einziger Nichteuropäer der Podiumsrunde, vertrat die National Alliance of HUD Tenants, eine Mieterorganisation in den vom Department of Housing and Urban Development (vergleichbar mit einem Wohnungsbau- und Stadtentwicklungsministerium) verwalteten Wohnungen. Auch in den USA gibt es seit den 1980er Jahren starke Privatisierungstendenzen der ohnehin geringen Bestände. Sie werden nicht nur privaten Immobilienverwaltungen überlassen, sondern die staatlichen Behörden agieren selbst wie Unternehmer. Mietschuldner/innen werden aus den Wohnungen geräumt, die Mieten erhöht und Bewohner/innen, die längere Zeit auswärts arbeiten müssen, könnten nicht mehr in die geschützten Bestände zurückkehren. Dagegen organisiere die Initiative Proteste. Der Verband der HUD-Mieter/innen ist landesweit organisiert, wende aber die "Methode der Vernetzung" an und überlässt den Teilorganisationen in den einzelnen Bundesstaaten weitgehende praktische Autonomie. Erfahrungen haben gezeigt, dass Kampagnen gegen bestimmte Eigentümergruppen oder Gesetzesvorschläge gemeinsam koordiniert werden können. Weil darüber hinaus - so Michael Kane - die Vermieter und Immobilienfirmen zunehmend global agieren und auch international vernetzt seien, sollten sich auch die Mieter/innen über Ländergrenzen hinweg vernetzen. Er schlug vor, sich gemeinsam auf einen "Tag des internationalen Wohnrechts" im Oktober zu einigen und gemeinsame Aktionen vorzubereiten. Anlass dazu biete das in der UNO-Charta verankerte Recht auf Wohnen, das weltweit gebrochen werde. Daneben schlug er vor, bestimmte Immobilienunternehmen mit bilateralen Aktionen unter Druck zu setzen. Konkretes Beispiel könne die mit Dick Cheney verbandelte "Carley Capital Group" sein, die sowohl in den USA als auch in Irland und England im Privatisierungsbereich agiere.

Den Unterschieden zum Trotz: Gemeinsame Perspektiven

Trotz der unterschiedlichen Problemlagen und Ansätze konnten sich die anwesenden Initiativen und Organisationen auf einen gemeinsamen Vernetzungsprozess verständigen. Auch der deutsche Vertreter auf dem Podium, Knut Unger vom MieterInnenverein Witten und Aktivist der Habitat International Coalition unterstützte eine gemeinsame Initiative, deren ersten Schritte eine Sammlung von kurzen Beschreibungen des jeweiligen Systems der Wohnungspolitik und eine Darstellung der aktuellen nationalen Tendenzen sind. Auf dieser Basis soll dann eine gemeinsame Analyse erarbeitet werden. Mittelfristig soll eine Website die Auseinandersetzungen in den einzelnen Ländern darstellen und die gegenseitige Unterstützung erleichtern. Ob London als Startpunkt einer Art "International-Task-Force-On-Privatisation", mit einem öffentlich zugänglichen Archiv zu den international agierenden Immobilienunternehmen und einer Vernetzung der lokalen Kampagnen gegen Privatisierung in die Geschichte eingehen wird, ist noch ungewiss. Ein erster Schritt zumindest ist getan.

1 Das bedeutet soviel wie "Das Recht auf würdiges Wohnen/Kämpfe für öffentliche Wohnungsbestände"
2 "Fight for Public Housing" bedeutet soviel wie Kampf um die öffentlichen Wohnungsbestände, kann aber auch als Aufforderung "Kämpfe für die öffentlichen Wohnungsbestände" verstanden werden.
3 "Tenant" = Mieter, "Federation" = Verband (politischer Zusammenschluss oder Vereinigung)

Zum Weiterlesen

Habitat International Coalition (Europa): www.habitants.org
Defend Council Housing (UK): www.defendcouncilhousing.org.uk/dch
National Alliance of HUD Tenants (USA): www.saveourhomes.org
Droit Au Logement (Frankreich): www.globenet.org/dal

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