MieterEcho

MieterEcho 307/Dezember 2004

quadrat Titel

Eine teure Gegend

Der Wegfall der Anschlussförderung führt in der Neuköllner Rollbergsiedlung zu drastischen Mieterhöhungen

Christian Linde

Die Rollbergsiedlung gilt als so genannter Problemkiez. Die Mieter/innen, die nicht mehr selbst die Wohnkosten aufbringen können, stellen seit Jahren die Mehrheit. Auch die Zunahme von Arbeitslosen, Sozialhilfebezieher/innen und Jugendlichen ohne Schulabschluss prägt das Wohnviertel. Im Sozialstrukturatlas belegt das Quartier einen der hinteren Ränge. Während sich also zahlreiche Quartiersbewohner/innen mit dem 16-seitigen Antragsformular zum Arbeitslosengeld II herumschlagen mussten, flatterte ihnen fast zeitgleich eine weitere Hiobsbotschaft ins Haus: Die Erhöhung der Miete um 0,49 Euro/qm. Doch damit nicht genug. Zum 01.01.2005 hat die Eigentümerin, die städtische Wohnungsgesellschaft Stadt und Land Wohnbauten GmbH, erneut eine Mietsteigerung von rund 0,50 Euro/qm angekündigt.

Der Hintergrund ist der Wegfall der Anschlussförderung, also der Annuitätshilfen des Landes Berlin für die Wohnungen, die zwischen 1969 und 1972 im Sozialen Wohnungsbau in der Rollbergsiedlung errichtet worden sind. Die Aufwendungsdarlehen, mit denen die Häuser seinerzeit gebaut wurden, müssen nun zurückgezahlt werden. Stadt und Land besitzt insgesamt 2200 geförderte Wohnungen in dem Gebiet. Zwar betont die Gesellschaft, dass zum 01.01.2005 lediglich 94 Haushalte betroffen seien, doch bis 2007 läuft die öffentliche Förderung für weitere 577 Wohnungen, die in den Jahren 1970 und 1971 gefördert wurden, sukzessive aus. Das bedeutet, dass auch diese Haushalte sich auf Mieterhöhungen einstellen müssen. "Wir sind ein städtisches Unternehmen, das wirtschaftlich arbeiten muss", rechtfertigt Dagmar Neidigk, Sprecherin von Stadt und Land, den Schritt. "Es geht hier um eine sehr differenzierte und mit Augenmaß vorzunehmende Erhöhung. Wir schultern das gemeinsam mit unseren Mietern", entgegnet die Pressesprecherin des Unternehmens der Kritik der Mieterschaft. Schließlich lägen die Durchschnittsmieten im Rollbergkiez bisher bei "nur" 4,41 Euro/qm nettokalt. Als Zeichen des guten Willens habe man sogar für den Zeitraum von neun Monaten die - nun seit 01.08.2004 in Kraft getretene - erste Stufe der Mietsteigerung ausgesetzt und damit praktisch selbst getragen, obwohl das Unternehmen diese bereits zum 01.11.2003 hätte wirksam machen können.

Etliche Mieter/innen wollen weg

Auf Applaus bei den Betroffenen stößt die Ankündigung dennoch nicht. So hat sich die Nettokaltmiete von Heidemarie Sprinz für ihre 67 qm große Wohnung innerhalb der vergangenen drei Jahre bereits von 465 Euro auf 530 Euro erhöht. Auch Klaus-Dieter Vortisch ist von einer kontinuierlich steigenden Belastung betroffen. Seit seinem Einzug vor 14 Jahren hat sich die Miete mehr als verdoppelt. "Eigentlich können wir uns das schon seit Jahren nicht mehr leisten", klagt Vortisch. Andere Bewohner/innen werfen der Wohnungsgesellschaft vor, bei den Vertragsverhandlungen vor ihrem Einzug mit falschen Versprechungen geködert worden zu sein. "Als ich eingezogen bin, hat Stadt und Land zugesagt, dass es keine Mieterhöhungen geben wird", berichtet eine Mieterin.

Weil innerhalb der Mieterschaft eine erhebliche Verunsicherung herrscht, hat der Mieterbeirat nun eine Befragung durchgeführt. Danach haben mehr als zwei Drittel angegeben, ihre Wohnung aufzugeben, sollten die Maßnahmen in dem angekündigten Umfang durchgesetzt werden. "Die soziale Situation in diesem Viertel gibt es nicht her, dass die Mieten in diesem Maße erhöht werden", sagt Gabriele Schmidt vom Mieterbeirat. Bereits jetzt gebe es Haushalte, die drei Viertel ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen.

Drohende Verdrängung durch Hartz IV

Betroffen von den Mieterhöhungen seien zwar vor allem die "Selbstzahler/innen", in der Mehrzahl 2-Personen-Haushalte mit nur einem Erwerbseinkommen, aber auch durch das In-Kraft-Treten der Hartz IV-Gesetze müssen die zukünftigen Bezieher/innen des Arbeitslosengeld II befürchten, dass ihr Wohnraum nach der Mieterhöhung nicht mehr "angemessen" ist. Denn nach den Vorstellungen der Senatssozialverwaltung sollen sich Mietkosten und Wohnungsgröße in der noch ausstehenden Ausführungsverordnung an den bisherigen Kriterien für Sozialhilfeberechtigte orientieren. Diese sehen für 1-Personen-Haushalte 50 qm und 225 Euro, für 2-Personen-Haushalte 60 qm und 270 Euro, für 3-Personen-Haushalte 75 qm und 333 Euro sowie für 4-Personen-Haushalte 85 qm und 378 Euro Nettokaltmiete vor. Verglichen mit den realen Mieten wären diese Grenzen für viele Mieter/innen deutlich überschritten. Hinzu kommt, dass mit dem 01.07.2005 die vorgesehene Übergangsfrist für "Härtefälle" ausläuft. Ab diesem Zeitpunkt entscheiden die Fallmanager/innen in den Agenturen für Arbeit über die "Angemessenheit der Unterkunft". Vielen droht dann der Umzug.

Manche Mieter/innen wollen kämpfen

Obwohl die Mieterhöhungen rechtlich nicht anfechtbar sind, wollen die Bewohner/innen die Entscheidung nicht kampflos hinnehmen. Gemeinsam mit dem Quartiersmanagement will der Mieterbeirat Stadt und Land ein Mietenkonzept vorlegen. Darin verlangen die Initiatoren, dass die vom Senat festgelegte Kappungsgrenze von 5,50 Euro/qm Nettokaltmiete auf eine einheitliche Mietobergrenze von 4,50 Euro/qm abgesenkt wird. Bis zum Jahr 2009 sollen die Mieten dann auf diesem Stand eingefroren werden. Gleichzeitig sollen Mietsteigerungen ab diesem Zeitpunkt an die Einkommensentwicklung gekoppelt werden. "Wenn das Ergebnis der Verhandlungen sich diesen Zielen nicht nähert, wird der Leerstand zunehmen", prognostiziert Gabriele Schmidt.

Der Mieterbeirat verweist nicht nur auf die Ergebnisse der Mieterbefragung, sondern auch auf eine Untersuchung des Instituts für Soziale Stadtentwicklung (IFSS). Danach kam IFSS bereits vor einem Jahr zu dem Schluss, dass die Mietenpolitik von Stadt und Land dem Unternehmen die zweifelhafte Position des Preisführers im Sozialen Wohnungsbau verschafft habe. So lagen die Mieten der städtischen Gesellschaften laut einer Erhebung des Verbands der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) für Wohnungen des 1. Förderwegs im Jahre 1998 stadtweit bei 4,18 Euro/qm. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Miete der Rollbergsiedlung wies mit 4,29 Euro/qm bereits seit 2002 einen durchschnittlich höheren Wert auf und lag in einer Reihe von Wohnanlagen sogar noch deutlich darüber. Auch gegenüber freifinanzierten Wohnungen errechnete die IFSS, dass der Neuköllner Problemkiez ein teures Pflaster ist. "Das Untersuchungsergebnis zeigt, dass die Sozialmieten der Rollbergsiedlung in vielen Wirtschaftseinheiten über den Wohnkosten freifinanzierter Wohnungen liegen. In 13 Einheiten liegen die Nettomieten zum Teil deutlich über den Werten der Vergleichswohnungen gleichen Baualters, Lage und Ausstattung", so das Gutachten. Bei der Wohnkostenbelastung durch die Gesamtmiete inklusive Betriebskosten errechnete das Institut eine durchschnittliche Summe von 6,18 Euro/qm. Mit Heiz- und Warmwasserkosten zwischen 0,93 Euro bis 1,21 Euro/qm zahlen Mieter/innen im Rollbergkiez derzeit eine durchschnittliche Bruttowarmmiete von bis zu 8 Euro/qm. "Die Wohnkostenbelastung unterläuft alle politisch formulierten Absichten zur sozialen Stabilisierung des Gebiets", kritisiert Armin Hentschel, Verfasser der Studie.

Senat: Mieterhöhungen sind "moderat"

Ganz anders bewertet die rot-rote Koalition die Mietenentwicklung in dem Neuköllner Stadtteil. "Der Senat erwartet, dass sich Stadt und Land als kommunales Wohnungsunternehmen gemäß seiner besonderen wohnungs- und mietenpolitischen Verantwortung für das Quartier Rollbergsiedlung den Mietern gegenüber verhält. Dass Stadt und Land hierzu bereit und in der Lage ist, hat sie mit der moderaten und an den Belangen insbesondere einkommensschwacher Mieter orientierten Umsetzung der Mieterhöhung bewiesen", heißt es in einer Stellungnahme der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Obwohl die Landesregierung selbst eine Schieflage bei der Mietenstruktur einräumt. "Die Frage der Miethöhe einer Wohnung ist derzeit mehr vom Zeitpunkt und Art der Förderung bestimmt als von ihrer konkreten Wohnqualität", so Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) auf eine Anfrage im Parlament.

Um zu mehr "Mietgerechtigkeit" zu gelangen, favorisiert der Senat deshalb "wohnlageabhängige Einzelmieten". Stadt und Land hat angekündigt, die 600 Annuitätshilfe-Wohnungen Anfang des Jahres in einer Wirtschaftlichkeitsrechnung zusammenzufassen und anhand objektiver Wohnwertkriterien Einzelmieten zu bilden. "Dabei soll keine Einzelmiete die von Senatsseite festgeschriebene Kappungsgrenze von 5,50 Euro überschreiten", erklärt das Unternehmen. Davor warnt der Mieterbeirat. Denn eine am Wohnwert der einzelnen Wohnungen orientierte Mietgestaltung würde zu einer Abwanderung der zahlungsfähigen und erwerbstätigen Wohnbevölkerung führen. Vor allem bei den Bewohnergruppen, deren Wohnkosten nicht über staatliche Transferleistungen gedeckt werden, verstärke die Situation den Wunsch nach Abwanderung. Zurück bliebe nur die "problematische" Mieterschaft. Bereits heute ist der Anteil der Sozialhilfeempfänger/innen in der Rollbergsiedlung im Vergleich zur gesamten Bevölkerung im Bezirk doppelt so hoch. "Damit würde die Zielsetzung des Senats den Sinn eines aufwändigen und kostenintensiven Quartiersmanagements konterkarieren", sagt Gabriele Schmidt. Immerhin sind seit 1999 Fördermittel von insgesamt 5,15 Mio. Euro aus dem Programm "Soziale Stadt", "Wohnumfeldmaßnahmen in Großsiedlungen West" und dem "Quartiersfonds" geflossen.

Drohender Leerstand durch Wegzug und Überalterung

Zwar teilt das Quartiersmanagement die Befürchtungen, hält die Forderungen des Mieterbeirats insgesamt aber für unrealistisch. "Der Soziale Wohnungsbau ist nicht sozial. Es gibt das System und die Leute müssen mit den Konsequenzen leben", sagt Gilles Duhem. Der Quartiersmanager sieht über die Warnungen der Mietervertreter/innen hinaus ein weiteres Problem auf den Kiez zusteuern: die Überalterung. "Das Quartier stirbt aus." Schon heute sind mehr als die Hälfte der Bewohner/innen über 45 Jahre alt. "Lange musste die Wohnungsgesellschaft mit dem Druck leben, jeden Mieter nehmen zu müssen", beklagt Duhem. Zwar ist "Stadt und Land" seit dem Wegfall der Fehlbelegungsabgabe und der Belegungsbindung um eine mittelständische Mieterschaft bemüht. "Es wird versucht, durch Fallkonferenzen mit den Bewerbern genauer hinzugucken, wer die Wohnungen bekommt", sagt Gilles Duhem. Doch halte sich der Erfolg auf Grund der negativen Berichterstattung über die Nordneuköllner Siedlung in Grenzen. Vor allem die Wohnungsmarktlage in Neukölln dürfte der Verhinderung des drohenden massiven Wegzugs der letzten Selbstzahler im Wege stehen. Dem stehen auch die Quartiersmanager machtlos gegenüber. "Bei der gegenwärtigen Marktlage und hohem Leerstand finden Mieter im Neuköllner Norden eine Vielzahl von Umzugsmöglichkeiten, wenn die Miete weiter steigt", sagt IFSS-Geschäftsführer Armin Hentschel. Die Leerstandsquote in der Rollbergsiedlung liegt nach offiziellen Angaben aktuell bei 5%. "Die Maßnahmen des Quartiersmanagements muten neben dem verzerrten Preis-Qualitäts-Verhältnis so an, als würde man mit dem Pferdefuhrwerk einen Karren aus dem Dreck ziehen, der in der Gegenrichtung mit einem Traktor festgehalten wird."

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