MieterEcho

MieterEcho 306/Oktober 2004

 STADTERNEUERUNG

Stadterneuerung in Erfurt

Denkmalschutz und Aufwertung

Andrej Holm

Die Erfurter Altstadt ist mit fast 200 Hektar eines der flächenmäßig größten Sanierungsgebiete Ostdeutschlands. Mit 28 Ensemble- und über 500 Einzelbaudenkmälern unterscheidet sich Erfurt von den anderen bisher vorgestellten - gründerzeitgeprägten - Sanierungsgebieten durch den Schwerpunkt einer mittelalterlichen Bausubstanz und die zentrale Bedeutung des Denkmalschutzes für die Stadterneuerung.

Neben der Bausubstanz, die oft aus Fachwerk und anderen mittelalterlichen Baumaterialien besteht, sind es auch die vergleichsweise kleinen Wohnungszuschnitte und die teilweise verwobenen Verbindungen von Wohn-, Geschäfts- und Lagerfunktionen, die die Besonderheit der Erfurter Altstadt prägen. Einer Erneuerungsroutine, wie sie sich in den anderen ostdeutschen Großstädten entwickelte, sind in Erfurt bereits durch die vielfältigen Denkmalschutzauflagen Grenzen gesetzt.

Außerhalb des Altstadtkerns gibt es noch weitere Sanierungs- und Entwicklungsgebiete, die sich vor allem auf den Gründerzeitgürtel um die Innenstadt konzentrieren. Insgesamt wurden in Erfurt elf, zum Teil sehr kleine Sanierungsgebiete festgelegt.

Denkmalschutz an erster Stelle

Die stadtpolitische Motivation zur Festlegung der Sanierungsgebiete in Erfurt bestand zu Beginn der 1990er Jahre in dem Wunsch, die historische Altstadt zu erhalten und Erfurt als neuer Landeshauptstadt ein repräsentables Gesicht zu geben. Gleich im Januar 1990 erfolgte mit Unterstützung der Denkmalbehörden aus Rheinland-Pfalz und Hessen eine erste Notsicherung der desolaten Altstadthäuser. Für etwa vier Mio. DM wurden damals defekte Dächer abgedeckt, Fenster und Regenrinnen repariert sowie die notwendigsten Aufräumarbeiten durchgeführt. Diese Notsicherung erfolgte unabhängig von den Eigentumsverhältnissen und legte den Grundstein für die erhaltende Erneuerung der historischen Altstadt. Mit dem Geld aus dem Westen kamen auch gleich die Sanierungsexperten. So verwaltete z.B. das Architekturbüro Rittmannsberger und Partner aus Darmstadt nicht nur dieses erste Nothilfeprogramm, sondern sicherte sich mit dem Engagement langfristig die Aufträge des Sanierungsbeauftragten im Sanierungsgebiet Innere und Äußere Oststadt.

Auch in den folgenden Jahren dominierten die Programme des Denkmalschutzes die Förderstruktur. Fast 200 Mio. DM aus den verschiedensten Denkmalschutztöpfen des Landes und des Bundes flossen von 1991 bis 2000 in die Erfurter Sanierungsgebiete - das entspricht zwei Dritteln der gesamten öffentlichen Sanierungsförderung in diesem Zeitraum (siehe Tabelle).

Struktur der Fördergelder in den Erfurter Sanierungsgebieten 1991 bis 2000

Programme

Fördermittel (in Mio. DM)

Anteil

Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen

50,2

16,3 %

Denkmalschutz (inkl. Notprogramme)

199,9

65,1 %

Städtebaumaßnahmen

22,9

7,4 %

Urban (EU-Programm)

34,3

11,2 %

Gesamt

307,3

100,0 %

Insgesamt wurde die Stadterneuerung in Erfurt mit über 300 Mio. DM gefördert. Nach Schätzungen der Erfurter Bauverwaltung hatten die Fördermittel eine Anschubwirkung für etwa zwei Mrd. DM private Investitionen. Der Sanierungsbeauftragte "Bau Grund" geht sogar davon aus, dass nur etwa 10% aller Maßnahmen gefördert wurden. Waren es bis 1995 noch 20%, so ist die Förderung für Wohnungsmodernisierung nach 2000 faktisch auf Null heruntergefahren. Das letzte bestehende Programm zahlt ganze 5000 Euro an Eigentümer, die im Sanierungsgebiet privat modernisieren wollen.

Ein Großteil der privat investierten Summe ging jedoch nicht direkt in die Stadterneuerung, sondern wurde vielfach auch in die Errichtung von Neubauten für Wohn- oder Geschäftszwecke investiert. So wurde etwa das historische Kaufhaus am Anger mit einem integrierten Neubau um etwa das Doppelte der Verkaufsfläche erweitert. Andere Großprojekte entstehen am Theater und am Bahnhof.

Zwei Wege der Sanierung

Der Durchführungsstand der Sanierungsarbeiten ist insgesamt weit voran geschritten. Insbesondere in den kleinen Sanierungsgebieten mit oftmals nur 20 Grundstücken sind die Arbeiten bis auf Einzelmaßnahmen abgeschlossen. Im Sanierungsgebiet Altstadt sind mehr als 75% bereits erneuert und in den Gebieten mit Gründerzeitbebauung etwas mehr als die Hälfte.

Letztlich können in Erfurt zwei Wege der Sanierung unterschieden werden. Vor allem in den winzigen Altstadthäusern hatten viele Erfurter/innen 1990 die Chance genutzt, die oftmals leerstehenden Häuser zu erwerben und dann in Eigenleistung und mit Hilfe von Fördermitteln zu erneuern. Da die meisten der Häuser nur wenige und sehr kleine Wohnungen hatten, wurden im Zuge der Sanierungsarbeiten oftmals größere Wohnungszuschnitte erstellt. Damit reduzierte sich das Angebot von Mietwohnungen in diesen Beständen. Ökonomisch betrachtet stellte sich die Sanierung hier als Wertsteigerung und Wohnwertverbesserung für die Eigentümer dar und nicht in erster Linie als mietwirksame Modernisierungsarbeit. Entsprechend bestimmten die Bewohner/innen - die zugleich Bauherren waren - den Umfang der jeweiligen Maßnahmen.

Ganz im Gegensatz zu dieser Gebrauchswertsanierung in der historischen Altstadt stellen sich die Modernisierungsarbeiten in den mehrstöckigen und höheren Gründerzeithäusern als klassische Tauschwertsanierung dar: Modernisierungsarbeiten werden hier überwiegend von Eigentümern oder Investoren mit Anlageinteressen durchgeführt und sollen sich über Mieteinnahmen oder auch Verkäufe von Eigentumswohnungen finanzieren. Ohne die strengen Denkmalschutzauflagen, die in der Altstadt gelten, wird hier mit viel Gipskarton der typische Modernisierungsstandard mit moderner Heizung, einem Bad und Laminatboden erstellt. Die Mietspiegelwerte in diesen sanierten Wohnungen bewegen sich je nach Lage und Größe zwischen 4,20 und 6,50 Euro/qm nettokalt. Im Vergleich dazu liegen die Mietpreise für unsanierte Wohnungen zwischen 2,00 und 3,00 Euro/qm. Im Zuge der Modernisierungsarbeiten ist also mindestens von einer Mietverdopplung auszugehen. Entsprechend sind in den Gründerzeitgebieten auch die sozialen Veränderungen durch die Modernisierungen deutlicher. Vor allem bei Westdeutschen und den aus Westdeutschland Zurückkehrenden stehen die sanierten Gründerzeitwohnungen hoch im Kurs. Bereits Mitte der 1990er Jahre haben Untersuchungen auf diese Konzentration hingewiesen und selbst die Erfurter Stadtverwaltung findet in einer Hochglanzbroschüre zur Bilanz von zehn Jahren Stadterneuerung erwähnenswert, wenn einheimische Familien in die sanierten Wohnungen ziehen: "Neu ist auch, dass es ganz normale Leute wieder in die Innenstadt zieht. Wohlgemerkt: Nicht nur ausgemachte Altstadt-Freaks oder Wessis mit ihrer sonderbaren Vorliebe für alte Gemäuer." Normalität bleibt aber auch, dass die meisten Erfurter Bürger/innen sich lieber ein "Häuschen im Grünen" wünschen und auch für diejenigen, die es sich leisten könnten, die Altstadt höchstens eine von mehreren Möglichkeiten darstellt. Dennoch sind die Bevölkerungszahlen in den Sanierungsgebieten nach dramatischen Einwohnerverlusten zu Anfang der 1990er Jahre seit 1997 wieder angestiegen.

Beteiligung zwischen Altstadtrettung und Bauherrenpartizipation

Stadtteilinitiativen und eine Einmischung in die Stadtpolitik haben in Erfurt eine lange Tradition. Wie auch in anderen Städten der ehemaligen DDR entzündete sich an der staatlichen Baupolitik und insbesondere am fortschreitenden Verfall der Altbauviertel ein Zorn, der sich zum Teil einen organisierten Ausdruck geben konnte. So wie in Berlin die Unterwanderung des Wohnbezirksausschusses (WBA) in der Oderberger Straße Berühmtheit erlangte, weil es gelang, den bereits geplanten Abriss ihrer Straße zu verhindern, gehört in Erfurt eine Ausstellung in der Michaeliskirche zum Gründungsmythos der Bürgerbewegung. Seit Mitte der 1980er Jahre wurde das Andreasviertel systematisch leergezogen und mit ersten Abrissarbeiten begonnen. Unterstützt von einigen Erfurter Pfarrern und begleitet von der "Interessengemeinschaft Alte Universität" bildete sich 1987 eine erste Bürgerinitiative zum Erhalt der historischen Altbauten in Erfurt. Eine Ausstellung dieser Bürgerinitiative mit dem harmlosen Titel "Stadtgerechter Verkehr - verkehrsgerechte Stadt" kritisierte die geplanten Abrissarbeiten für eine erweiterte Straßenplanung und wurde schnell zum Stadtgespräch. Die Verwaltung reagierte mit einem Gesprächsangebot und auf den eilig eingeführten "Rathausgesprächen am Sonntag" wurde das Versprechen gegeben, die Planungen noch einmal zu überdenken. Als die Abrissarbeiten nach einigen Wochen dennoch fortgesetzt wurden, begann die Bürgerinitiative die Bauarbeiten direkt zu blockieren und verhinderte mit kurzzeitigen Hausbesetzungen so manchen Abriss. Mit der politischen Wende 1989 konnte auch die Abrisspolitik der Erfurter Stadtverwaltung beendet werden. Im Dezember 1989 mobilisierte die Stadtteilinitiative mehrere tausend Leute zu einer Menschenkette um die Altstadt - im Frühjahr 1990 begannen die ersten Sanierungsarbeiten. Stärker als in anderen ostdeutschen Städten ist die erhaltende Stadterneuerungsstrategie in Erfurt nicht nur eine administrative Orientierung, sondern auch eine erkämpfte Forderung von Bewohnerinitiativen.

Diese starke Position der Bewohnerschaft beschränkte sich jedoch auf die grundsätzliche Frage der Sanierungsausrichtung und etliche gestalterische Aspekte bei der Durchführung. Die Durchsetzung von Beteiligungsverfahren bei den einzelnen Modernisierungsarbeiten und insbesondere eine Begrenzung der Mietentwicklung spielten nur eine untergeordnete Rolle.

Ein Grund dafür liegt sicher auch in der soziokulturellen Disposition der Aktiven selbst. Viele von ihnen wohnten bereits seit langem im Sanierungsgebiet und nutzten die sich bietenden Chancen, die relativ günstigen Selbsthilfemöglichkeiten zu nutzen und die von ihnen bewohnten Häuser zu erwerben oder langfristig zu pachten. Die Beteiligung orientierte sich dementsprechend an einer Gestaltung der eigenen Nachbarschaft und einer behutsamen Aufwertung der eigenen Grundstückswerte. Durch die kleinteiligen Eigentumsstrukturen und den geringen Mietanteil in der Altstadt können wir von einer Bauherrenbeteiligung an der Stadterneuerung sprechen. Eine Aufwertung hat dabei einen direkten Vorteil für die eigene Wohnqualität ohne nennenswerte Gewinnerwartungen.

Insgesamt unterscheidet sich die Erfurter Stadterneuerung von der Stadterneuerung in anderen ostdeutschen Städten durch den hohen Anteil von historischen Altstadtgebäuden, der kleinteiligen Baustruktur und der Relevanz des Denkmalschutzes. Insbesondere die Verknüpfung von Denkmalschutzanliegen mit den Sanierungssatzungen in Erfurt zeigt, dass Sanierungsgebiete als Instrumente politischer Entscheidungen benutzt werden können und entsprechend den verschiedenen Bedingungen angepasst werden.

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