MieterEcho

MieterEcho 306/Oktober 2004

 BERLIN

Umstrukturierung in Friedrichshain

Bahnt sich am Boxhagener Platz eine Entwicklung an, die auch in Prenzlauer Berg zu Verdrängung führte?

Peter Nowak

"Das Quartier rund um den Boxhagener Platz zwischen Frankfurter Allee und Revaler Straße ist ein Kiez voller Gegensätze. Neben attraktiv sanierten Altbauten gibt es immer noch sichtlich baufällige Gebäude und Neubauten der 1970er und 1980er Jahre, Straßencafés mit ihrem urbanen Flair sind ebenso zu finden wie unbebaute Grundstücke und Gewerbebrachen, die zu illegalen Müllablagerungen genutzt werden". Diese Beschreibung findet sich auf der Homepage des Quartiersmanagements Boxhagener Platz. Für manche wirkt es allerdings wie eine Drohung, dass es diese Gegensätze nicht mehr lange geben wird.

Der Boxhagener Platz soll ab Herbst gründlich umstrukturiert werden. Ein Zaun soll die Liegewiese begrenzen und so Hunde fernhalten. Eine Maßnahme, die von vielen Anwohner/innen durchaus begrüßt wird. Insbesondere Eltern mit Kindern klagen immer wieder über Hundekot. Doch häufig sind die Anwohner/innen verunsichert, ob der "Boxi", wie der Platz im Friedrichshainer Kiez liebevoll genannt wird, nach einem 'Relaunch' noch sein altes Flair behält. Nicht wenige fürchten, dass sich hier eine Entwicklung anbahnt, die der Veränderung des Helmholtzplatzes in Prenzlauer Berg vergleichbar ist, wo Gentrifizierung zur Verdrängung vieler alteingesessener Bewohner/innen und auch Gewerbetreibender geführt hatte. Die Befürchtungen, dass sich in Friedrichshain ein solches Szenario wiederholen könnte, sind nicht grundlos.

Flohmarkt verliert Flair

Die Veränderungen auf dem Boxhagener Platz haben schon begonnen. So wurde der bei den Bewohner/innen sehr beliebte sonntägliche Flohmarkt verkleinert. Von den Behörden wurde die Maßnahme mit den Interessen von umliegenden Einzelhändler/innen und Beschwerden von Anwohner/innen begründet. Doch was genau der Grund ihres Unmuts war, ist nicht bekannt. Die Stimmung auf dem Flohmarkt war immer entspannt und der Platz wurde jedes Mal in sauberem Zustand verlassen.

Früher konnten sich Interessierte spontan am Sonntagmorgen mit einem Stand anmelden. Sie wohnten in der Gegend und besserten mit den Verkäufen ihre Haushaltskasse auf. Das ist jetzt kaum noch möglich und professionelle Flohmarktverkäufer profitieren davon. Doch mit dem Wegfall des Spontanhandels verliert der Markt auch viel von seinem Flair, klagen regelmäßige Besucher/innen. Auch Thomas Helfen vom Quartiersmanagement Boxhagener Platz bestätigt das Interesse vieler Anwohner/innen am Flohmarkt. Immer wieder gäbe es Anfragen nach den Anmeldemodalitäten. Helfen kennt auch die Befürchtungen, dass sich um den Boxhagener Platz eine Entwicklung anbahnen könnte, die am Helmholtzplatz schon abgeschlossen ist. Die wirtschaftlichen Daten sprächen allerdings bisher dagegen. Noch immer sei der Leerstand in der Gegend mit 20% sehr hoch. Das Dilemma bestehe jedoch darin, dass genau die Faktoren, die nach Helfens Aussage eine Entwicklung wie in Prenzlauer Berg verhindern könnten, vom Quartiersmanagement bekämpft werden: Verringerung des Leerstands und Zuzug von Gewerbe führen zur Aufwertung und zur Verdrängung der Bewohnerschaft mit wenig Geld.

Zugpferd Simon-Dach-Straße

In der Simon-Dach-Straße hat sich in den letzten Jahren eine Kneipen- und Gastronomiekultur etabliert, die Mitte und Prenzlauer Berg Konkurrenz macht (siehe auch MieterEcho Nr. 292). Vom "Zugpferd Simon-Dach-Straße" spricht auch Helfen, und dass die Entwicklung dem Image Friedrichshains als Wirtschaftsstandort dienen könne. Helfen bestätigt jedoch auch, dass in solchen Gegenden viele Bewohner/innen, die es sich leisten können, in ruhigere Gefilde ziehen. Der Wegzug wirke zwar signifikanten Mietsteigerungen, wie sie sonst eigentlich zu erwarten wären, entgegen, aber die seit längerem dort lebenden Bewohner/innen würden dann eben nicht durch Mieterhöhungen, sondern durch die Begleiterscheinungen der Gastronomie wie nächtliche Lautstärke usw. verdrängt werden.

So kann tatsächlich davon gesprochen werden, dass sich um den Boxhagener Platz Ent-wicklungen abspielen, wie wir sie in Prenzlauer Berg in ähnlicher Form in den vergangenen Jahren verfolgt haben. Noch gibt es in Friedrichshain in engerer und weiterer Entfernung vom Boxhagener Platz genügend Bereiche, in der spontane und niedrigpreisige Kiezkultur gepflegt wird. Doch auch sie sind immer wieder bedroht. So soll die Wagenburg 'Laster und Hänger', die nach einer monatelangen Odyssee durch die Berliner Bezirke auf einem Wiesengelände an der Modersohnstraße/Ecke Revaler Straße ihr Domizil gefunden hat, den Platz bald wieder verlassen. Die Wagenburg ist aber nicht nur der Lebensbereich vieler Menschen, sondern hat sich mit günstiger "Volxküche" und Kulturprogramm viele Freundschaften im Stadtteil erworben.

Gentrifizierung

Der Begriff Gentrifizierung - von engl. gentry = Oberschicht, (niederer) Adel - beschreibt den Prozess der ökonomischen und sozialen Aufwertung von städtischen, armen und häufig zuvor dem Verfall preisgegebenen Wohnquartieren. Die Aufwertung erfolgt durch Modernisierungen, Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen und dem damit verbundenen Zuzug Besserverdienender. Es werden so veränderte ökonomische und sozio-kulturelle Bedingungen geschaffen, die zur Abwanderung der alteingesessenen niedrigverdienenden Bewohnerschaft führen.

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