MieterEcho

MieterEcho 305/August 2004

 Sozialpolitik

Kommando Bürgernähe

Die Kiezpolizei auf dem Weg in die Quartiere

Volker Eick

Die Einführung von bezirklichen Ordnungsämtern in Berlin wird seit Jahren diskutiert. Nun ist es so weit. Ziel des Mitte Juni 2004 im Abgeordnetenhaus beschlossenen Gesetzes zur Errichtung bezirklicher Ordnungsämter ist es, eine One-Stop-Agency für alle Bürger zu schaffen (Stichwort: "Die Akten laufen lassen, nicht die Bürger"). Durch weitere Entbürokratisierung sollen die Verwaltungsleistungen entlang den Bedürfnissen der Bürger/innen neu gebündelt werden - insgesamt sollen 80 Aufgaben an die Bezirke übergeben werden. Angestrebt wird eine effizientere Erledigung aller Ordnungsangelegenheiten an einem Ort.

Die Einführung von bezirklichen Ordnungsämtern in Berlin wird seit Jahren diskutiert. Nun ist es so weit. Ziel des Mitte Juni 2004 im Abgeordnetenhaus beschlossenen Gesetzes zur Errichtung bezirklicher Ordnungsämter ist es, eine One-Stop-Agency für alle Bürger zu schaffen (Stichwort: "Die Akten laufen lassen, nicht die Bürger"). Durch weitere Entbürokratisierung sollen die Verwaltungsleistungen entlang den Bedürfnissen der Bürger/innen neu gebündelt werden - insgesamt sollen 80 Aufgaben an die Bezirke übergeben werden. Angestrebt wird eine effizientere Erledigung aller Ordnungsangelegenheiten an einem Ort.

Was daraus wird, ist angesichts der bisherigen Erfahrungen mit den Bürgerämtern zweifelhaft. Weiterer Teil des Gesetzes ist auch der geplante Einsatz von Außendienstmitarbeitern, die allgemein unter dem Begriff "Kiezpolizei" gefasst werden. Das ist etwas ungenau, denn tatsächlich werden unterschiedliche Außenteams zum Einsatz kommen. Schon bisher gab es Dienstkräfte im Parkraumüberwachungsdienst und Dienstkräfte im Rahmen des Verkehrsüberwachungsdiensts. Neu hinzukommen Dienstkräfte, die im Rahmen eines Allgemeinen Ordnungsdiensts in diesem Oktober erstmals eingeführt werden sollen. Alle drei werden nun im Zuge der Umsetzung des Gesetzes in den Dienst der Bezirke gestellt.

"Wenn man nicht gerade Pfefferspray in den Augen hat"

Insgesamt sollen in den zwölf Zentralen Ordnungsämtern exakt 753,5 Mitarbeiter/innen künftig im Außendienst tätig sein. Diese Stellen verteilten sich bisher auf unterschiedliche Aufgaben, deren Verantwortlichkeiten bisher beim Polizeipräsidenten lagen. Die untere Straßenverkehrsbehörde regelt z.B. die Nutzung des öffentlichen Straßenlands. Nun werden 113,5 Stellen bei den Bezirken angesiedelt, während 63 Stellen auf der Ebene der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eingegliedert werden. Die Überwachung des ruhenden Verkehrs (u.a. Parkraumbewirtschaftung) wird nicht mehr durch beim Polizeipräsidenten Angestellte erledigt, sondern auf die bezirkliche Ebene verlagert. Auch die Einrichtung von Parkraumbewirtschaftungszonen fällt künftig in die bezirkliche Zuständigkeit. Etwa 29 Mio. Euro jährlich kommen als Einnahmen durch die Überwachung des ruhenden Verkehrs und Verwarnungsgelder in die Stadtkasse. Dieser Verkehrsüberwachungsdienst zieht durch die Straßen, notiert falsch parkende Pkw, Pkw in zweiter Reihe, solche, die zu Unrecht auf Behindertenparkplätzen oder Busspuren stehen usw. Die bisher ebenfalls beim Polizeipräsidenten angesiedelten Mitarbeiter werden zukünftig dezentral in den Bezirken ihren Dienst tun. Die Verhängung von entsprechenden Bußgeldern verbleibt an zentraler Stelle beim Polizeipräsidenten.

Neu hinzu kommt der Allgemeine Ordnungsdienst (Kiezpolizei). Die Ordnungsstreifen sollen auf den Straßen der Bezirke für die Bürger/innen ebenso ansprechbar sein, wie sie die Bürger/innen wegen Ordnungswidrigkeiten ansprechen und etwaiges Fehlverhalten ahnden sollen. Wichtig sei ihre sichtbare Präsenz, die auch den Bürger/innen helfen werde, Sauberkeit und Ordnung in den Bezirken zu erhöhen. Genau 300 Überhangkräfte aus den Senatsverwaltungen sollen zu Aktivist/innen in den neuen Ordnungsämtern Berlins werden. Jeweils elf Doppelstreifen pro Bezirk plus 36 zusätzliche Kräfte für so genannte Schwerpunktbezirke. Die Ausrüstung soll nun voraussichtlich einen Schlagstock (Modell "Billy") umfassen und zudem aus Pfefferspray, Datenerfassungsgerät, Fotokamera und Mobiltelefon beste-hen - schmucke Uniform inklusive. Auf den Uniformen werde das jeweilige Bezirkswappen aufgenäht sein, womit der Bürger "bei dieser Gelegenheit sein Bezirkswappen endlich einmal kennen lernt", wie sich Wolfgang Wieland, mittlerweile Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg, am 11.03.2004 im Ausschuss für Verwaltungsreform freute. Der Abgeordnete Zotl (PDS) präzisierte richtig, das sei dem Bürger nur möglich, wenn er "nicht gerade Pfefferspray in den Augen hat."

"Der Bürger will endlich Ordnungsstreifen auf den Straßen sehen"

Wenngleich alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses und auch der Rat der Bürgermeister die Einführung von Ordnungsämtern einhellig begrüßten, gibt es Probleme im Detail. Das verabschiedete Gesetz wurde so mit der Mehrheit von SPD und PDS gegen alle anderen Fraktionen verabschiedet, u.a. weil es allein die Senatsinnenverwaltung sein wird, die über Aufgabenausgestaltung und Befugnisse - und die Menge des Pfeffersprays bestimmen wird. Nach längerer Debatte wurde mit einem neu eingefügten Passus festgelegt, dass der Senat "durch Rechtsverordnung bestimmen (kann), dass die den bezirklichen Ordnungsbehörden durch dieses Gesetz und andere Gesetze zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse für die Dienstkräfte im Außendienst einheitlich geregelt und beschränkt werden." Schon bei der Vorlage des Gesetzesentwurfs kritisierte die Humanistische Union in einer Presseerklärung am 03.06.2004 das "Lex Ekel-Griller", weil es verfassungswidrig sei und den Senat ermächtige, bezirklichen Mitarbeitern breite polizeiliche Eingriffsbefugnisse zu geben.

Während der Innenstaatssekretär Freise sich überzeugt zeigt, dass der Bürger "endlich Ordnungsstreifen auf den Straßen sehen" will, hält die Humanistische Union "Schlagstöcke und Festnahmen aber (für) völlig überzogen und auch gar nicht notwendig, um auf relativ kleine Vergehen zu reagieren." Die bezirklichen Kiezstreifen werden nur eine Ausbildung von wenigen Wochen erhalten. Die notwendigen Schulungen, z.B. Kommunikation, Deeskalation und Konflikttraining stehen noch aus. Offen ist, ob man die Leute auf die Straße schicken wird, ohne dass sie wissen, welche Rechte und Pflichten sie haben, und wo sie letztlich Hilfe holen können. Die Polizeischule soll entsprechende Schulungsaufgaben übernehmen. Ob die wenigen Schulungsstunden den vorgesehenen erheblichen Eingriffsbefugnissen in die Grundrechte gerecht werden, darf bezweifelt werden. Immerhin ist ihre Ausbildung womöglich kürzer als die der Mitarbeiter im BVG-Fahrkartenkontrolldienst. Diese kommen aber wegen ihres rabiaten Vorgehens, wegen Beschimpfungen und Tätlichkeiten seit Monaten nicht aus den Schlagzeilen. Während die BVG sich gar genötigt sah, ihre "erfolgreichsten" Kontrolleure abzumahnen und damit zu "zivilerem" Verhalten anzuhalten, startete die taz eine Leserbriefkampagne unter dem Titel "Kontrollettis". Bleibt abzuwarten, ob ähnliche Initiativen auch gegen die Kiezpolizei nötig werden, denn nicht nur die Qualifikation, sondern auch die Motivation der zukünftigen Ordnungsamtsaußendienstmitarbeiter steht in Zweifel.

"Jetzt kommt die Gretchenfrage", weiß auch Innenstaatssekretär Freisel, denn für den allgemeinen Ordnungsdienst gilt, dass "wir Menschen aus dem Personalüberhang, die wir ohnehin bezahlen, für diese Aufgaben gewinnen müssen." Das ist bis dato nicht gelungen, geschweige denn, dass es Absprachen mit dem Betriebsrat gibt. Zu einer ersten Interessensbekundungsrunde in Neukölln wurden landesweit 500 der insgesamt 4000 Überhangkräfte angeschrieben. Wie der Abgeordnete Ritzmann (FDP) in der 52. Sitzung des Abgeordnetenhauses am 03.06.2004 zu berichten wusste, erschienen gerade einmal 41, nach anderen Quellen 42 Personen, von denen lediglich "eine Dame, knapp an die 60 Jahre alt, ihre Bereitschaft erklärt hat", wie es im Vorabprotokoll der Abgeordnetenhaussitzung heißt.

Qualifikation und Motivation sind nur zwei Probleme neben den weiter kontroversen Finanzierungsfragen und der Frage, welche Folgen die Kiezpolizei für das Zusammenleben in den Quartieren haben wird. Verschiedene Untersuchungen in den vergangenen Jahren zeigen, dass ein Mehr an Uniform nicht zwangsläufig zu einem Mehr an Ordnung oder (subjektivem) Sicherheitsgefühl führen muss. In einer Studie im Auftrag des Bundeskriminalamts etwa kommt Joachim Obergfell-Fuchs nach einer Befragung von Bürger/innen zu dem Ergebnis, dass diese sich insbesondere durch den mittlerweile unüberschaubaren Uniform- und Pseudo-Uniform-Dschungel der privaten Sicherheitsdienste, von Bundesgrenzschutz und Landespolizei, von Ordnungsämtern und Sicherheitswachten zum Teil eher verunsichert fühlen. Auch Jens Wurtzbacher, der in einer aktuellen Studie den Brandenburgischen Sicherheitspartnerschaften und den Bayrischen Sicherheitswachten durchaus ein "bürgerschaftliches" Potenzial attestiert, betont, dass es "eine Frage der politischen Gestaltungskraft (bleibt), den Bereich der inneren Sicherheit auf der lokalen Ebene für demokratische Beteiligung zu öffnen." Das genau aber sieht das neue Ordnungsämtergesetz nicht vor. Im Gegenteil stellt das Gesetz gegen Bezirke und Parlament eine Carte blanche für den Senat dar, der nun Aufgaben und Befugnisse der bezirklichen Dienstkräfte nach eigenem Gutdünken festlegen kann.

"Keine tropischen Harthölzer" und "Pfeffer im Pfefferspray aus ökologischem Anbau"

Weitgehend unklar ist trotz vorliegender Vergleichsdaten aus Städten wie Köln, Stuttgart, Leipzig und Bielefeld, zu welchen Formen von Auseinandersetzungen es zwischen Überhangkräften (vorwiegend aus der Bauverwaltung) und Bürger/innen auf Straßen, Plätzen und in mehr oder minder dunklen Ecken kommen wird. Für den PDS-Abgeordneten Doering stellte sich etwa das Problem, dass schon die von Ex-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder geplanten Umweltstreifen (die "Gassipolizei") scheiterte, weil auch dort keine Überhangkräfte zu motivieren waren. Problematisch sei für die Mitarbeiter/innen aus dem Stellenpool aber auch, "wenn man von vornherein feststellt, dass man damit rechnen muss, im Sommer im Park auf angetrunkene grillende Horden zu stoßen, die gewaltbereit sind. Man muss bei Ordnungsämtern anderer Städte nachfragen, wie oft es solche Vorkommnisse gibt, und man braucht auch nur bei dem Ordnungspersonal der BVG und der S-Bahn nachzufragen, wie oft sie solchen Situationen ausgesetzt sind." Für die CDU war ohnehin klar, dass der Ordnungsdienst Schusswaffen brauche. Innenstaatssekretär Freise versuchte, solche Bedenken dadurch zu zerstreuen, dass er deutlich machte, der allgemeine Ordnungsdienst solle "nicht den Pitbull führenden, Widerstand leistenden, bodygebildeten Menschen mit eigenen Kräften aufs Kreuz legen, auch nicht mit einer Pistole bedrohen (…). Das sind die 3 bis 5 % der Fälle, die wir nicht im Auge haben und die die Polizei lösen muss und auch wird." Während der FDP-Abgeordnete Ritzmann Innensenator Körting (SPD) dafür lobte, dass statt des Schlagstock-Modells "Johnny" (ab 55 cm) nun voraussichtlich das Modell "Billy" (ab 35 cm) zum Einsatz komme, blieb es dem Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Ratzmann, vorbehalten, die Debatte abschließend vollends zu veralbern. Er äußerte an den Innensenator gewandt, dieser könne von den Bündnis 90/Die Grünen nur Lob erwarten, "wenn Sie auch noch sicherstellen, dass keine tropischen Harthölzer verwendet werden. Wenn Sie dann noch sicherstellen, dass der Pfeffer im Pfefferspray aus ökologischem Anbau kommt, dann können wir sicher auch noch einmal mit Ihnen im Sinne eines Lobes reden." Bis dahin aber wird noch eine Zeit ins Land gehen.

Zum Weiterlesen:

- Joachim Obergfell-Fuchs: Privatisierung von Aufgabenfeldern der Polizei - mit Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung (BKA-Forschungsreihe, Bd. 51), Selbstverlag: Wiesbaden 2000, 418 S., kostenlos

- Jens Wurtzbacher: Sicherheit durch Gemeinschaft? Bürgerschaftliches Engagement für öffentliche Sicherheit: Leske + Budrich: Wiesbaden 2004, 158 S., 16,90 Euro

Humanistische Union

Seit 1961 ist die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union aktiv. Mit Veranstaltungen, Stellungnahmen, Veröffentlichungen und in enger Zusammenarbeit mit anderen Initiativen, engagierten Einzelpersonen und kritischen Fachleuten mischt sie sich ein, wenn Menschen- und Bürgerrechte eingeschränkt werden. www.humanistische-union.de

Kiezpolizei

Die 300 neuen Kiez-Polizist/innen in den Bezirken werden mit Datenerfassungsgeräten, Fotokameras und Mobiltelefonen, Pfeffersprays und Schlagstöcken, aber nicht mit Handschellen ausgestattet. Die Streifen sollen ab dem 01.09.2004 durch die Bezirke patrouillieren.

Diese so genannte Kiezpolizei soll gegen Graffitisprühen, illegales Müllentsorgen und illegales Grillen vorgehen sowie sich um die Beseitigung von Hundekot oder Lärm in der Nachbarschaft kümmern.

Pro Bezirk sind 22 Mitarbeiter/innen - also elf Doppelstreifen - vorgesehen. Für die Schwerpunktbezirke (Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Spandau, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln) sind drei zusätzliche Doppelstreifen (36 Mitarbeiter/innen) vorgesehen.

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