MieterEcho

MieterEcho 305/August 2004

 Sozialpolitik

Nicht nur am Ziel vorbei, sondern richtig daneben

Quartiersfonds am Helmholtzplatz

Andrej Holm

Der Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg ist in Berlin das einzige Gebiet, in dem sich Quartiersmanagement und eine Sanierungssatzung überlagern. Das verwundert, sollen doch in den Sanierungsgebieten Aufwertungsprozesse jenseits der baulichen Modernisierung gebremst werden, während ein Quartiersmanagement auf die sozioökonomische Verbesserung der Quartiersstruktur zielt. Wie sich die beiden Versuche des öffentlichen Eingriffs in die Stadtteilentwicklung ergänzen, soll hier am Beispiel des Quartiersfonds gezeigt werden.

Die Sanierungsgebiete in Prenzlauer Berg befassen sich seit knapp 15 Jahren mit den Problemen von Aufwertungsquartieren: Eigentümerwechsel, Umwandlungen und Modernisierungen prägen das Geschehen. Noch bis Mitte der 1990er Jahre als Nachzügler der Stadterneuerung angesehen, weist das Sanierungsgebiet Helmholtzplatz mittlerweile eine der höchsten Sanierungsdynamiken auf. Mehr als 60% der Wohnungen sind inzwischen saniert und auch die Mieten haben einen kräftigen Sprung nach oben gemacht. Für modernisierte Wohnungen werden im Durchschnitt fast 6 Euro/qm nettokalt gezahlt. Neuvermietungen liegen meist sogar noch höher.

Auch die lokale Gewerbestruktur hat sich zu einem touristisch beliebten Gastrokomplex entwickelt (siehe Beitrag von Michael Heimer im MieterEcho Nr. 296), der nicht nur knapp 100 Lokale verschiedenster Couleur zu bieten hat, sondern mit verschiedenen Internetseiten professionell umworben wird (siehe Kasten). Die auf der Website beschriebene klischeehafte Werbeprosa liegt tatsächlich recht nah an der Wirklichkeit. Die drastischen Veränderungen der Nachbarschaft haben sich auch auf die Bevölkerungsstrukturen ausgewirkt. Die Bewohner/innen am Helmholtzplatz sind jünger, gebildeter und besserverdienender als noch vor einigen Jahren. Ein klassisches Aufwertungsgebiet eben. Die sozialen Probleme, die sich damit verbinden, liegen auf der Hand: Mietsteigerungen, Eigenbedarfskündigungen nach Umwandlungen in Eigentumswohnungen, erzwungene Umzüge wegen geplanter Modernisierungsmaßnahmen, usw.

Quartiersmanagement gegen Verdrängung?

Am Helmholtzplatz wurde 1999 ein Quartiersmanagement installiert. Ob damit die Aufwertungstendenzen im Sanierungsgebiet aufgehalten werden können, wurde bereits damals in Frage gestellt. Denn das Quartiersmanagement - soweit ist inzwischen hinlänglich bekannt - ist eigentlich ein Programm für "Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf". Der Berliner Senat versteht darunter vor allem "Veränderungen des Sozialgefüges die u.a. durch wirtschaftliche Schwierigkeiten, zunehmende Verarmung, Fortzug mittlerer Einkommensschichten entstanden sind". Nachdem die Berliner Landesregierung bis Ende der 1990er Jahre für die sozialen Probleme der Stadt weitgehend blind war und einseitig auf eine boomende Metropolenperspektive setzte, war dieser Perspektivwechsel eigentlich ein lobenswerter Schritt. Doch alle, die glaubten, die Stadt würde sich von nun an stärker in der sozialen Verantwortung sehen, sahen sich bald getäuscht.

Die Programme des Quartiersmanagements setzten vor allem auf die Aktivierung der Bewohner/innen. Bürgerbeteiligung und zivilgesellschaftliches Engagement wurden als Schlüssel zur Lösung der sozialen Probleme angesehen. Dagegen stellte die Kritik an den Konzepten des Quartiersmanagements immer wieder die strukturellen Ursachen von Armut in den Vordergrund und bezeichnete die pompös angekündigten Programme des Berliner Senats als Mogelpackungen und Tropfen auf den heißen Stein.

Doch im Rahmen des Programms Soziale Stadt auch bundesweit beachtet und erst einmal in Fahrt gekommen wurden die Quartiersmanagements in den ausgewählten Kiezen durchgezogen und vom ehemaligen Stadtentwicklungssenator mit der Idee der Quartiersfonds (siehe auch vorhergehenden Beitrag) beglückt. Über die Verwendung der jeweils 1 Mio. DM sollte eine Bewohnerjury entscheiden - Anträge konnten von Bewohner/innen, vor allem jedoch von Initiativen und Projekten gestellt werden. Die dahinter stehende Idee: die Bewohnerschaft selbst wisse oft am besten, was im Stadtteil fehle.

Welche Projekte wurden am Helmholtzplatz gefördert?

Wie die Problembeschreibungen des Quartiersmanagements und die Aufwertungstendenzen am Helmholtzplatz zusammenpassen sollten, blieb seit der Festlegung des Quartiersmanagements am Helmholtzplatz eines der großen Rätsel. Aus den Reihen der Betroffenenvertretung und anderer Mieterinitiativen wurden von Beginn an Befürchtungen laut, dass eine mittelschichtorientierte Aufwertungsstrategie, an der sich das Quartiersmanagement orientiert, für die Problemlagen im Gebiet eher kontraproduktiv sein würde. Der Helmholtzplatz - so schien es jedenfalls - war das einzige Gebiet, in dem eine Aufwertungsorientierung des Quartiersmanagements nicht nur an der eigentlichen Problemlage (der strukturellen Armut) vorbei geht, sondern soziale Spaltungen sogar zuspitzt.

Ein Blick auf die Vergabeentscheidungen der Bewohnerjury über die Mittel des Kiezfonds zeigen die Ausnahmesituation des Helmholtzplatzes unter den Quartiersmanagementgebieten in Berlin. Ganze 8580 Euro kamen der Einrichtung einer Krisenwohnung für Jugendliche zugute, die von Obdachlosigkeit oder Drogenabhängigkeit bedroht sind. D.h. nicht einmal 2% der verausgabten Gesamtsumme des Quartiersfonds wurden für Projekte ausgegeben, die sich eindeutig an sozial benachteiligte oder ausgegrenzte Gruppen richtete. Die anderen Projekte konzentrierten sich auf den Jugendbereich (12 Projekte und 64% der Gelder), ein bisschen Wohnumfeldgestaltung (2 Projekte) und Kultur- und Kunstprojekte (6 Projekte).

Von den fast 300.000 Euro, die für jugendnahe Projekte ausgegeben wurden, floss der Bärenanteil in Baumaßnahmen, die früher den bezirklichen Behörden oblagen. So wurden für insgesamt über 200.000 Euro die Freiflächen eines Jugendclubs und einer Kita neu gestaltet und ein Schulgebäude renoviert.

Einen relativ großen Stellenwert nehmen Projekte ein, die Schüler/innen und Jugendlichen den Zugang zum Internet erleichtern und den Umgang mit dem PC fördern. Während in anderen Stadtvierteln sprachlicher Förderunterricht gegeben werden muss, um die Desintegration ganzer Schulklassen zu verhindern, geht es am Helmholtzplatz um "Zukunftsfähigkeit": So wurden mit Finanzierung aus dem Quartiersfonds in der Grundschule so genannte Medienecken eingerichtet. "Durch die frühzeitige Einführung in die Computernutzung werden die Kinder an den Umgang mit Informationstechnologie herangeführt und lernen damit einen selbstverständlichen Bestandteil von Berufs- und Lebensalltag kennen. Insbesondere haben damit auch Kinder, die zu Hause keinen Computer haben, die Möglichkeit, Übung im Gebrauch eines PCs zu bekommen", heißt es im Senatsbericht. In der Praxis sind die Medienecken alle in einem Schulraum aufgestellt und werden von allen Klassen für jeweils eine Stunde im Rahmen des wöchentlichen Unterrichtsplans unter Anleitung einer Lehrerin genutzt.

Rechnen wir die Gelder heraus, mit denen der Quartiersfonds die bezirklichen Regelausgaben zur baulichen Instandhaltung von Frei-, Grün- und Spielflächchen finanzierte, wurde die größte Summe an sieben Kunst- und Kulturprojekte vergeben. Fast 25.000 Euro wurden ausgegeben, um in einem der letzten unsanierten Häuser der Dunckerstraße eine Wohnung mit alten Möbeln und Alltagsgegenständen zu bestücken und zur Ausstellung über die historische Lebensweise zu deklarieren. An anderer Stelle wurden für knapp 5000 Euro etwa 14.000 Werbekarten finanziert, die unter dem vielsagenden Titel "Schöner November - Tag der offenen Galerien und Läden im Kiez" die Gewerbestruktur der Nachbarschaft stadtweit bekannt machten. Dass es die Gäste nicht in die letzten bestehenden Lebensmittelläden oder Werkstätten der traditionellen Gewerbetreibenden zog, wurde von den Initiatoren des Projekts nicht einmal wahrgenommen. 12.770 Euro wurden für die Installation des "Windmobile Spurensuche" ausgegeben. Dabei handelt es sich um eine Skulptur, die sich nach Aussage des Künstlers "an den Baum als Symbol einer Dorfgemeinschaft anlehnt und als Treffpunkt und Kommunikationsort für den Helmholtzkiez dienen soll". Dass die Thematisierung von fehlender lokaler Identität in einem Gebiet, das seit Jahren von Verdrängungsprozessen und Zuzügen Besserverdienender gekennzeichnet ist, leicht eine zynischen Beigeschmack bekommt, wurde nicht berücksichtigt. Zur Erinnerung: Das Quartiersmanagement war als Programm gedacht, die sozialen Probleme in den Quartieren anzugehen und der Quartiersfonds sollte die Potenziale einer Nachbarschaftsbeteiligung unter Beweis stellen.

Von der Problemgebietsanalyse zur Aufwertungspartizipation

Wenn in den meisten anderen Gebieten mit Quartiersmanagement die so genannten Kiezfonds kritisiert werden können, weil sie lediglich die Einschnitte der bisher öffentlich getragenen Sozialangebote kompensieren - am Helmholtzplatz werden die problematischen Prozesse der Aufwertung mit den finanzierten Projekten sogar noch gestärkt. Dort wo es der Sanierungspolitik in den letzten Jahren schon nicht gelungen ist, eine Aufwertung und somit Verdrängung einzudämmen, wird nun im zweiten Anlauf des öffentlichen Eingriffs ins Gebiet diese Aufwertung sogar noch vorangetrieben.

Am Beispiel Helmholtzplatz zeigt sich damit, dass Beteiligung an sich gar keinen Wert hat, sondern immer danach befragt werden muss, wer sich in den Partizipationsprozessen durchsetzen kann. Und der akademisch geprägte Kernbestand der Neubewohner/innen kann seine Interessen ganz offensichtlich besser formulieren und durchsetzen. Was als Programm für sozial benachteiligte Quartiere angedacht war und sich in der Konzeption der praktischen Arbeit am Mittelstand orientierte, erlangt am Helmholtzplatz stärker als in anderen Gebieten die Kenntlichkeit einer Aufwertungspartizipation.

Werbung für den Helmholtzplatz

Auf der vom Quartiersmanagement geförderten Website www.kiez-lebendig.de wird für das Online-Stadtteilmagazin "LSD*-Viertel" geworben, das nach eigener Aussage durch "junge engagierte und sehr motivierte Kiezbewohner (Graphikdesigner, Fotographen, Publizisten, usw.)" getragen werden soll. Neben verschiedenen Kiezgeschichten über Leute, die schon seit 80 Jahren am Helmholtzplatz wohnen oder solche, die hier ein hippes Modegeschäft betreiben, bietet das Webmagazin reiseführerähnliche Beschreibungen der angesagten Gastronomien im Gebiet: "Ein Tresen an dem es frisches Zitronenwasser umsonst und Galao, eisgekühlten Pfefferminztee, Sagres und kleine Vanilletörtchen zu bestellen gibt. Bei sommerlicher Hitze ist am Abend jeder freie Platz draußen besetzt, am Tag hilft der köstliche Kaffee und ein portugiesischer Käse-Schinken-Toast nach den abendlichen Caipis wieder in den Sattel. Über die Zeitung schielend lassen sich passierende hübsche junge Männer und Frauen, Familien, Kampfhunde und Filmstudenten bestens beobachten und die kleinen Tische sorgen dafür, das einsame Raucher nicht lange rauchend einsam bleiben und schnell ins Gespräch kommen."

*) Die Abkürzung "LSD" bedeutet Lychener Straße, Schliemannstraße, Dunckerstraße.

Übersicht der Quartiersfondsprojekte am Helmholtzplatz

Förderkategorie

Fördersumme

Anteil

Anzahl der Projekte

Jugendprojekte/Schulen

282.597 Euro

61%

12

davon Baumaßnahmen

210.766 Euro

(46%)

(6)

davon Projekte

37.065 Euro

(8%)

(3)

davon PC-Einrichtungen

34.766 Euro

(7%)

(2)

Kultur/Kunst

80.429 Euro

18%

6

Grünflächen/Verkehrsberuhigung

60.845 Euro

13%

2

Ausstattung Gemeinwesenarbeit

29.323 Euro

6%

1

Soziales

8.580 Euro

2%

1

Gesamt

461.774 Euro

100%

22

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