MieterEcho

MieterEcho 305/August 2004

 Sozialpolitik

Kiez war Millionär

Was mit den Kiezmillionen des Berliner Quartiersmanagements geschah

Volker Eick

Allenthalben zeigten sich Politiker und Quartiersmanager über die Bürger/innen in den "Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf" überrascht, weil diese so sparsam, sorgsam und verantwortungsvoll mit den von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zur Verfügung gestellten Geldern umzugehen wussten, die unter dem Namen Quartiersfonds bundesweite Beachtung fanden.

Der ehemalige Stadtentwicklungssenator Peter Strieder hatte mit seiner Idee der Quartiersfonds jedem der 17 Quartiersmanagement-Gebiete (QM-Gebiete) die Summe von 1 Mio. DM (511.219,88 Euro) zur Verfügung gestellt, die auf Antrag von einer so genannten unabhängigen Bürgerjury für kulturelle, soziale, beschäftigungspolitische oder sonstige lokale Projekte vergeben wurden. Die Jury setzte sich aus im Quartiersmanagement engagierten Einzelpersonen und Initiativen sowie aus - nach dem Zufallsprinzip aus dem Quartier ausgewählten - Einzelpersonen zusammen. Demokratietheoretisch ein sicher fragwürdiges, insgesamt aber als erfolgreich bewertetes Verfahren. So großartig dieses Programm angekündigt worden war, so sang- und klanglos stellte Strieder das Pilotprojekt nach zwei Jahren wieder ein, denn, so der Sozialdemokrat, der "Quartiersfonds war als Initialzündung gedacht: Weitere Mittel vom Senat gibt es vorerst nicht."

Ein Streifzug durch die weit über 300 Projekte:

Am Boxhagener Platz in Friedrichshain-Kreuzberg wurden rund 50 Projekte gefördert, im Schöneberger Norden (Bülowstraße/ Wohnen am Kleistpark) 25, am Magdeburger Platz (Tiergarten-Süd) waren es 38. Dort wurde etwa ein maroder Spielplatz saniert, für dessen Instandsetzung der Bezirk kein Geld zur Verfügung stellte. Mit 4000 Euro wurden einer Ethnologengruppe der Humboldt-Universität die Publikation ihrer Forschungsergebnisse zu dem Quartier ermöglicht und in Kurzform auch auf türkisch, arabisch und russisch veröffentlicht. Der Bürgerjury war auch ein Reinigungsdienst in "Problemzonen des QM-Gebiets (…) durch resozialisierungswillige, ehemalige im QM-Gebiet tätige Prostituierte" immerhin rund 3000 Euro wert. Insgesamt profitierten vor allem Kinder und Jugendliche von den Geldern. In nahezu jedem Quartier ließen die Bürger/innen Spielplätze reparieren, um die sich die Bezirke nicht mehr kümmerten, so auch in Marzahn NordWest, wo insgesamt 66 Projekte gefördert wurden, die ebenfalls die Reparatur von Spielplätzen, eine verbesserte Ausstattung von Jugendclubs und Internetcafés beinhalteten. Hier wurden auch zwei Bibliotheken - eine vietnamesische mit etwa 300 Büchern, eine russische mit 54 Bänden - eingerichtet sowie verschiedene Sportstätten gebaut oder saniert. In sehr vielen Fällen wurden die Quartiersfonds-Gelder also genutzt, um die Lücken zu schließen, die Bezirk und Senat mit ihrer Kürzungspolitik in den vergangenen Monaten und Jahren gerissen hatten. Oder, wie im Kreuzberger Wrangelkiez, um die Folgen der rassistischen Ausländerpolitik abzufedern. Dort bewilligte die Jury rund 24.000 Euro, um Migrant/innen, die keine Berechtigung auf staatlich finanzierte Sprachkurse haben, den Spracherwerb zu ermöglichen.

Quartiersfonds? Ersatzarbeitsämter!

Nicht nur die von Senat und Bezirk gerissenen Lücken wurden so geschlossen. Denn zu einem ganz ähnlichen Befund gelangt man auch mit Blick auf die Kürzungen der Arbeitsämter bei der Beschäftigungs- und Weiterbildungspolitik. So etwa im QM-Gebiet Beusselkiez (Moabit West, 26 Projekte), wo der Bau des Beratungszentrums für Erwerbslose (Servicezentrum Moabit West in der Turmstraße) zwar aus Mitteln des Programms für Wohnumfeldmaßnahmen (WUM) finanziert wurde, der Bildungs- und Beschäftigungsträger Bildungsmarkt e.V. sich aber die Beratung Arbeitsuchender und "den Bedarf nach einer sensiblen und respektierenden Hinführung zum Arbeitsmarkt" vom Quartiersfonds (rund 18.000 Euro) und nicht von der Agentur für Arbeit oder der Senatsarbeitsverwaltung bezahlen lassen musste. Auch dort floss Geld in eine Bibliothek (8600 Euro). Eine ähnliche Summe wurde im Wedding (QM-Gebiet Reinickendorfer Straße/Pankstraße) für fünf Veranstaltungen unter dem Titel "Instant-Act: Keinen Platz für Drogen" ausgegeben. Mit diesen Veranstaltungen zu den Themen Drogen, Müll, Alkohol und Gewalt, die auf öffentlichen Plätzen stattfanden, sollte "Betroffenheit" hergestellt und verdeutlicht werden, dass "engagierte Menschen nicht vor den Gegebenheiten kapitulieren."

Nachdem die Agenturen für Arbeit und die Senatsarbeitsverwaltung faktisch die Finanzierung von Qualifizierungsmaßnahmen zurückgefahren haben, Qualifizierungsanteile in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht mehr zwingend fordern und mit dem neuen Bildungsgutschein-System die gemeinnützigen Träger (und auch ihre kommerziellen Konkurrenten) in den Ruin treiben, übernehmen einige Quartiersfonds diese Finanzierungsaufgabe. Im Rollberg-Viertel profitiert der heimliche Monopolist am Ort, die Bequit GmbH, denn die Jury bewilligte rund 13.000 Euro zur "Übernahme der Qualifizierungskosten für verschiedene Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) in der Rollbergsiedlung." Mit knapp 5000 Euro wurde ein Gutachten zum Vergleich von Miethöhen und Betriebskosten in anderen Gebieten und bei anderen Wohnungsbaugesellschaften finanziert. Von diesem Gutachten profitiert faktisch die städtische Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land. Im Quartiersgebiet Schillerpromenade (Neukölln, 63 Projekte) - auch hier ist Bequit tätig - wurde für das Beschäftigungsprojekt "Spielplatzaufsicht" die Privathaftpflichtversicherung für die Aufseher durch die Jury finanziert. Einige Straßenblöcke weiter treffen wir wieder die Bequit, denn auch in der High-Deck-Siedlung (Sonnenallee) arbeitet Bequit und erhielt knapp 4000 Euro von der Jury, um den gestrichenen Qualifizierungsanteil in zwei ABMs zu finanzieren. Das "Jobcenter Wedding" im QM-Gebiet Soldiner Straße/Wollankstraße, das Beratungen, Vermittlungen in Arbeit und Ausbildung anbietet, wird durch das Arbeitsamt nicht mehr gefördert. Die Bürgerjury bewilligte auf Antrag des Beschäftigungsträgers Zukunftsbau GmbH dessen Weiterfinanzierung im Jahr 2003 mit 49.000 Euro. Das Internetcafé in der Prinzenallee hätte schließen müssen, weil zum einen das Arbeitsamt die ABM eingestellt hatte, wenn nicht die Quartiersmanager unentgeltlich dort den Dienst versehen würden. Zum anderen wollten weder Arbeitsamt noch Bezirk oder Senat die Miete bezahlen und so zahlte die Bürgerjury knapp 5000 Euro für Mietkosten. Weil das Kreuzberger Sozialamt häufig die anfallenden Reparaturen in Wohnungen von Sozialhilfeempfänger/innen nicht übernimmt, hat es sich der Verein Bürgerhilfe e.V. zur Aufgabe gemacht, diesen Menschen zu helfen. Und fast 35.000 Euro wurden von der Bürgerjury bewilligt, um solche Instandsetzungsarbeiten durchzuführen.

Auf den Hund gekommen? Aber sicher!

Neben Kindern profitieren vor allem Hunde, denn die Herren (und Damen) der Quartiersfonds haben es sich zur Aufgabe gemacht, den treuen Vierbeinern das Vergnügen zu bereiten, dass Frauchen und Herrchen auf den Knien hinter ihnen her rutschen und Hundekot einsammeln. Mehrere so genannte Dog Stops (Kottütenspender) sind nun das neue Stadtmöbel auf der Schillerpromenade. Damit die Bürger/innen sie auch nutzen, wurde das Projekt "Rote Karte" in Zusammenarbeit mit der Polizei initiiert, bei dem während zweier Aktionswochen unter dem Motto "Ein sauberes Neukölln macht Freude" Handzettel verteilt werden (die "Rote Karte"), auf deren Rückseite nicht nur eine Reihe verschiedener Ordnungswidrigkeiten aufgelistet werden, sondern auch die sie nach sich ziehenden Sanktionen. Am Falkplatz wurde ein Hundespielplatz eingerichtet: Auf (umzäunten) 4000 qm zeigte zur Eröffnung im Juni 2003 der Verein für deutsches Hundewesen e.V. wie man "Sitz!" macht (35.790 Euro).

Während sich die Firma Wall mit ihren entgeltpflichtigen Toiletten, Werbetafeln sowie weiteren Stadtmöbeln eine goldene Nase verdient, muss die Bürgerjury des Wrangel-Kiezes in einem aufwändigen Prozess dem Bezirk die Etablierung einer öffentlichen Toilette abtrotzen und dafür fast 5000 Euro zahlen. Fixpunkt e.V., ein Drogenhilfeverein, verknüpft Dienstleistungen am Hund mit niedrig schwelligen Beschäftigungsmöglichkeiten für Drogensubstituierte. Das "Wiedererlernen notwendiger Arbeitserfordernisse und Arbeitsfähigkeiten" sowie von "Verpflichtungen und Regeln" ist das Ziel von "IdeFix", dem Hundedienstleistungsservice für 22.800 Euro.

Im Soldiner Kiez wartet das Quartiersmanagement weder auf die Polizei, noch auf die seit mehreren Monaten angekündigten Ordnungsämter, die 300 Hilfs- bzw. Kiezpolizisten in die Quartiere schicken sollen (siehe Beitrag auf S. 14). Zwei inzwischen zu Fernsehstars avancierte Herren patrouillieren als so genannte "Kiezläufer" durch das Quartier, stellen Schulschwänzer, benachrichtigen die BSR, wenn sie illegal entsorgten Müll entdecken, und sorgen auch sonst für das, was Quartiersmanagement und Bürgerjury für Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung halten. Weder Senat noch Bezirk, auch nicht die Bundesagentur für Arbeit, haben dafür Geld, und so zahlte die Bürgerjury rund 61.100 Euro. Insgesamt haben von den 17 QM-Gebieten in Berlin neun solche Alternativpolizeien eingerichtet und zwei von ihnen wurden aus den Quartiersfonds bezahlt. Knapp 10.000 Euro ist es der Schöneberger QM-Jury wert, substituierte Drogenabhängige (in Entzugstherapie mit Ersatzdrogen) für die Reinigung von Parks und Spielplätzen einzusetzen. In der High-Deck-Siedlung führten ABM-Kräfte zwischen Juni 2002 und Mai 2003 "Rundgänge für mehr Sicherheit durch", für 4000 Euro wurden sie durch die dortige Jury ausgestattet und durch die Bequit qualifiziert. Und am Kottbusser Tor (Zentrum Kreuzberg/Wassertor) bezahlte man gleich - erneut gibt das Arbeitsamt kein Geld - einen ganzen Sicherheitsdienst aus dem Quartiersfonds (rund 50.000 Euro), wohl in der Hoffnung, die nächste ABM würde bewilligt.

Dem Juristen Strieder ist mit seinem Pilotprojekt offensichtlich mindestens zweierlei gelungen: Einmal gilt er in der Republik für seine Fonds-Idee als innovativ, zum anderen ist ihm mit den Bürgerjurys das gelungen, was die Sozialwissenschaftler Heinze und Strünk, als "Fördern und Fordern" im aktivierenden Sozialstaat so verstanden wissen wollen: "Fordern" ist demnach "auch im zivilgesellschaftlichen Sinne so zu verstehen, dass Bürger sich ihrer Verantwortung für das Gemeinwesen klar werden und von staatlicher Politik aufgefordert werden, sich zu engagieren." Vom Hundespielplatz bis zur alternativen Kiezpolizei haben sie das getan, mit Geldern, die weder die Bundesagentur für Arbeit, noch Bezirk oder Senat bereitstellen wollten. Auch noch diese Gelder gestrichen zu haben, das ist in seinem Zynismus schon mehr als innovativ. Hund müsste man sein - oder Jurist.

Zum Weiterlesen:

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (Hrsg.): "Kiez wird Millionär". Eine Übersicht über alle von den Bürgerjurys bewilligten und realisierten Quartiersfondsprojekte in den 17 Berliner Quartiersmanagementgebieten. Selbstverlag: Berlin 2003.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 305