MieterEcho

MieterEcho 305/August 2004

 Wohnungspolitik

Der Bundesgerichtshof, die Kündigungsfristen und das Sozialamt

Ein Lehrstück über das Entstehen von Notlagen

Ilse Koplin* ist 46 Jahre alt, intelligent und das, was man tüchtig nennt. Bis vor einigen Jahren war sie verheiratet. Nach der Scheidung blieben die zwei Söhne bei ihr. Einer hat inzwischen einen eigenen Haushalt, der Jüngere wohnt noch bei ihr und wird bald Abitur machen. Ilse Koplin versuchte nach der Trennung einen Neuanfang und wagte, was viele versuchen: Sie machte sich selbstständig. Dabei folgte sie nicht nur ihrer eigenen Neigung, sondern ließ sich zudem von der leuchtenden Perspektive, die Politik und Medien noch bis vor wenigen Jahren permanent entworfen hatten, bestärken. Doch wie viele, ja, wie die meisten anderen erlebte sie die Selbstständigkeit in ihrer trostlosen Praxis und musste sich, nachdem ihr eigenes kleines Startkapital aufgezehrt war, eine Arbeitsstelle suchen. Für jemanden in ihrem Alter sind die Chancen gering und als Selbstständige gescheitert zu sein, ist nicht gerade eine Reputation, die Arbeitgeber begeistert. Also fand sich auch Ilse Koplin auf dem Sozialamt wieder.

Die ihr verbliebene eheliche Wohnung - 90 qm groß - war zwar für die seinerzeitige vierköpfige Familie etwas eng, liegt aber nun für Mutter und Sohn jenseits der Bewilligungsgrenzen des Sozialamts. 60 qm stehen den beiden zu, und gleichgültig wie teuer die Wohnung ist und welche Aufwendungen gemacht worden sind, das Sozialamt verlangte den sofortigen Umzug. Die Tüchtigkeit von Ilse Koplin bewährte sich auch in diesem Fall. Sie fand bald eine passende und auch vom Sozialamt akzeptierte Wohnung und zog mit ihrem Sohn dort ein.

Allerdings wurde sie die alte Wohnung nicht los. Hier gelten die alten, durch das Urteil des Bundesgerichtshofs fortgeschriebenen, Kün-digungsfristen von inzwischen einem Jahr. Im April hatte sie die kleine Wohnung bezogen. Dafür übernahm das Sozialamt die Miete. Die Miete für die nicht mehr bewohnte große Wohnung muss aber sie selbst bis März 2005 bezahlen. Und da sie das nicht kann, hat sie nicht nur ihre gesamten Ersparnisse eingebüßt, sondern ist dabei, mit Hilfe des Sozialamts, d.h. durch den Zwang zum Wohnungswechsel, einen nicht unbedeutenden Berg an Mietschulden anzuhäufen.

Ilse Koplin ist zunächst ratlos. Sie kommt sich vor, als sei sie in eine Falle geraten.

Durch die Sozialabende der Berliner MieterGemeinschaft kann man zwar die rechtliche Lage nicht verändern, man kann aber - wie in diesem Fall - beratende und solidarische Unterstützung leisten.

Bei den Sozialabenden wird geklärt, ob sie einen Anspruch auf vorzeitige Kündigung hat, ob sie einen Nachmieter stellen und selbst aus dem Mietvertrag ausscheiden kann, ob sich, wenn dies nicht möglich ist, die Wohnung für die Zeit untervermieten lässt oder ob andere Maßnahmen getroffen werden können, durch die sie den nutzlosen und kostspieligen Mietvertrag los wird.

Außerdem erhält Ilse Koplin Informationen, welche Ansprüche sie gegen das Sozialamt hat, denn schließlich ist sie auf dessen Druck in die unangenehme Lage geraten, und es wird gemeinsam nach Möglichkeiten gesucht, die das Sozialamt veranlassen können, die anlaufenden Mietschulden zu übernehmen.

Ilse Koplin ist kein Einzelfall. Viele haben soziale Probleme und ständig werden es mehr. Wir weisen daher noch einmal auf die Informationsabende zum Sozialrecht hin.

*) Name von der Redaktion geändert.

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