MieterEcho

MieterEcho 305/August 2004

 Wohnungspolitik

Billige Wohnungen sind Mangelware

Die Lage für Wohnungssuchende in den unteren Preissegmenten spitzt sich zu

Christian Linde

"Für den konkret Wohnungssuchenden sind die allgemeinen Einschätzungen zum Wohnungsmarkt nur wenig hilfreich", lautet das Fazit des neuen Berliner Wohnungsmarktberichts. Dennoch geht das Gerede des rot-roten Senats von einer ausreichenden Wohnraumversorgung munter weiter. Demnach ist der Wohnungsmarkt in Berlin grundsätzlich "entspannt".

"Ein in quantitativer Hinsicht ausreichendes Angebot kennzeichnet zurzeit den Berliner Wohnungsmarkt. Indizien dafür seien der hinsichtlich seiner Marktfähigkeit nicht weiter differenzierte Leerstand zahlreicher Wohnungen und dass die Nettokaltmieten, die für Neu- und Wiedervermietungen verlangt werden, von 2000 bis 2002 nur geringfügig gestiegen sind", so die positive Botschaft des Berichts, der noch vom mittlerweile zurückgetretenen Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) in Auftrag gegeben wurde. Das Resümee darf nicht nur bezweifelt werden, es widerspricht auch den Teilergebnissen der Untersuchung, und zwar sowohl hinsichtlich der Leerstandssituation, als auch der Angebotsstruktur und der Mietpreisentwicklung.

Legende vom Leerstand

Der Bericht führt aus, dass die vom Statistischen Landesamt alle vier Jahre durchgeführte Mikrozensus-Erhebung zur Wohnsituation auch die Anzahl so genannter unbewohnter Wohnungen einschließt: "Jedoch spiegeln diese nicht die tatsächlich unvermieteten und von Eigentümern nicht genutzten Wohnungen wider, sondern die nach äußerem Anschein nicht bewohnten Wohnungen. Außerdem werden in der amtlichen Statistik Leerwohnungen nicht nach erforderlicher Fluktuationsreserve und wohnungswirtschaftlich relevantem Leerstand differenziert." So kommt der Bericht selbst zu dem Schluss, dass "zukünftig deshalb das vorhandene Wohnungsangebot genauer hinsichtlich seiner nachhaltigen Marktfähigkeit für die Wohnraumversorgung der sich rasch verändernden Haushaltsstrukturen und Wohnbedürfnisse untersucht werden muss. Leerstandszahlen allein reichen für objektive Bewertungen des Wohnungsmarkts und der Wohnungssituation der Haushalte nicht aus." Der Senat beziffert den "nicht weiter differenzierten Leerstand" mit 100.000 Wohnungen.

Angebote und Mietpreisentwicklung

Auch die Feststellung zur Angebotsstruktur deckt sich nicht mit der Gesamtsituation auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Denn als Datenquelle wurde lediglich die Preisübersicht der Maklerverbände, die im Rahmen einer Internetrecherche zusammengetragen worden sind, herangezogen. Die aber trifft Aussagen vor allem für die teureren Bestände. So konstatiert das Papier für die Wohnungsbestände in der Preisskala über 6 Euro/qm ein "Wohnungsüberangebot" und eine "schleppende Nachfrage". Ein ausgeglichener Markt stellt sich demnach derzeit ausschließlich im sozialen Wohnungsbau dar. Eine erhöhte Nachfrage besteht dagegen bei preisgünstigem Wohnraum. Danach übersteigt die Zahl der Gesuche das Angebot bereits um das Dreifache. Für die bisher eher preisgünstigen, aber gut instand gehaltenen und üblich ausgestatteten Wohnungen in mittlerer, guter und teilweise auch einfacher Wohnlage muss deshalb bei neuen Verträgen von einem deutlichen Mietpreisanstieg ausgegangenen werden.

So zeigt die Entwicklung der Nettokaltmiete seit 1995 selbst auf der Basis der Maklerzahlen einen Anstieg von insgesamt 8,5% und von 8,2% für die Gesamtmiete. Für alle vom Mietspiegel erfassten Wohnungen im Westteil der Stadt ergibt sich ein Anstieg der ortsüblichen Vergleichsmieten von Oktober 1999 bis März 2002 in Höhe von 10,7%. Die durchschnittliche jährliche Steigerung lag zuletzt bei 4,3%. "Wie aus dem letzten Mietspiegel hervorgeht, gibt es jetzt sowohl im Alt- als auch im Neubau wieder einen Preisauftrieb", diagnostiziert der Wohnungsmarktbericht. Noch drastischer stellt sich die Situation im Ostteil der Stadt dar. Dort fiel die Mietpreissteigerung im Erhebungszeitraum 2000 bis 2002 mit über 10% erheblich aus: "Hier zeichnen sich offenbar neue Entwicklungstendenzen ab. Mieterhöhungen bei gleichzeitig zahlreichen nicht vermietbaren Wohnungen." Ein Ende der Preisspirale sei auch in Zukunft nicht abzusehen. "In den kommenden drei bis fünf Jahren ist eine weitere Steigerung der Nachfrage und damit eine Anspannung der Teilmärkte zu erwarten", so die Prognose.

Einkommen und Mietbelastungsquote

Zwar geht der Wohnungsmarktbericht davon aus, dass die Haushaltsnettoeinkommen im Jahr 2002 leicht angestiegen sind, doch erreichten sie nur etwa 90% des bundesweiten Durchschnitts. Besonders eklatant stellt sich die Einkommenssituation im Vergleich der Stadtstaaten dar. So verfügten Berliner/innen im Durchschnitt jährlich über 4092 Euro weniger als Hamburger/innen und sogar über 4706 Euro weniger als Bremer/innen. Im gesamten Ländervergleich hatte Berlin in den beiden zurückliegenden Jahren die geringste Einkommenssteigerung. Wirft man einen Blick in den aktuellen Sozialstrukturatlas 2003, liest sich der Tatbestand noch drastischer: Danach liegt die Zahl der Erwerbslosen bei über 18% und der Anteil der Sozialhilfeempfänger/innen bei 7,6%. Die Zahl der Wohngeldempfänger/innen stieg um 9,2%. Gleichzeitig leben derzeit 533.000 Menschen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Jede/r Sechste hat weniger als 600 Euro im Monat. Die geringen Einkommen und die Steigerung der Mietpreise haben erhebliche Auswirkungen auf die Mietbelastung der Haushalte. Gaben 1993 die Mieterhaushalte 17% ihres Nettoeinkommens für die Bruttokaltmiete aus, hatte das Mietbelastungsniveau 1998 bereits 27% erreicht. Dabei waren die Ein-Personenhaushalte mit 31% am stärksten belastet. Im Jahr 2002 gaben bereits über die Hälfte aller Miethaushalte 30% ihres Haushaltsnettoeinkommens für die Miete aus.

Folgen für den Wohnungsbestand

Die Einkommenssituation und die Mietbelastungsquote haben auch spürbare Folgen für die Wohnungswirtschaft. "Von Experten werden die geringen Einkommen am häufigsten angegeben, wenn sie die Probleme des Mietwohnungsmarkts benennen sollen." Das heißt, "dass die Investoren und Vermieter nicht die aus ihrer Sicht notwendigen, zumindest kostendeckenden Mieten erzielen können und so neben dem Neubau auch die Modernisierung und Instandsetzung des Bestands gebremst ist", beklagt der Bericht.

Dass sich der Senat auch zukünftig wenig der Nachfrage nach preiswerten Wohnraum widmen wird, sondern sich auf einkommensstarke Haushalte konzentriert, ist nicht nur aus der Tatsache zu schließen, dass der Wohnungsmarktbericht kein einziges Wort über die Einkommensschwachen und ihren Zugang zum Wohnungsmarkt verliert. Auch Strieders Resümee zielt in erster Linie auf die Interessen der Wohnungswirtschaft: "Unter Fortschreibung der aktuellen Trends bis zum Jahr 2010 kann nur allmählich mit einer Belebung der Nachfrage gerechnet werden. (...) Zu den immer weniger nachgefragten Bereichen gehören vor allem unsanierte Wohnungen im Plattenbau- und Altbaubestand. In diesem Bereich ist auch längerfristig mit keiner Belebung der Nachfrage zu rechnen, sodass unter wohnungswirtschaftlichen Gesichtspunkten auch Maßnahmen wie Abriss und Rückbau erforderlich sind." Das heißt im Klartext wohl auch für die kommenden Jahre: Wohnraumvernichtung und Marktbereinigung. Strieders Nachfolgerin, Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer, hat sich anderslautend bisher jedenfalls nicht geäußert.

Der Berliner Wohnungsmarkt

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat gemeinsam mit der Investitionsbank Berlin (IBB) den zweiten Bericht über den Berliner Wohnungsmarkt bearbeitet und herausgegeben. Der erste Bericht erschien im März 2002 und umfasste die Jahre 1991 bis 2000. Der aktuelle Bericht ist im Februar 2004 erschienen.
Beide Berichte sind kostenlos unter www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsmarktbericht/ im PDF-Format abrufbar.
Im Vorwort wird von Dieter Puchta (Mitglied im Vorstand der Landesbank Berlin) auf die konzeptionelle Fortentwicklung des Berichts hingewiesen: "Inhaltlich orientiert sich der Bericht nach Angebot und Nachfrage, also den üblichen Regeln eines jeden Markts. Dabei flossen erstmals die Ergebnisse einer Expertenbefragung und eine Auswertung von Wohnungsanzeigen (Angebote und Gesuche) einer großen Internet-Plattform mit ein." Bei der genannten Internet-Plattform handelt es sich um den www.immobilienscout24.de.

§ 1 Betriebskostenverordnung

(1) Betriebskosten sind die Kosten, die dem Eigentümer oder Erbbauberechtigten durch das Eigentum oder Erbbaurecht am Grundstück oder durch den bestimmungsmäßigen Gebrauch des Gebäudes, der Nebengebäude, Anlagen, Einrichtungen und des Grundstücks laufend entstehen. Sach- und Arbeitsleistungen des Eigentümers oder Erbbauberechtigten dürfen mit dem Betrag angesetzt werden, der für eine gleichwertige Leistung eines Dritten, insbesondere eines Unternehmers, angesetzt werden könnte; die Umsatzsteuer des Dritten darf nicht angesetzt werden.
(2) Zu den Betriebskosten gehören nicht:
1. die Kosten der zur Verwaltung des Gebäudes erforderlichen Arbeitskräfte und Einrichtungen, die Kosten der Aufsicht, der Wert der vom Vermieter persönlich geleisteten Verwaltungsarbeit, die Kosten für die gesetzlichen oder freiwilligen Prüfungen des Jahresabschlusses und die Kosten für die Geschäftsführung (Verwaltungskosten),
2. die Kosten, die während der Nutzungsdauer zur Erhaltung des bestimmungsmäßigen Gebrauchs aufgewendet werden müssen, um die durch Abnutzung, Alterung und Witterungseinwirkung ent-stehenden baulichen oder sonstigen Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen (Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten).

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 305