MieterEcho

MieterEcho 304 - Juni 2004

 Immobilienverwertung

Modernisierung im Sanierungsgebiet zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Das Hausprojekt Voigtstraße 36/37 kämpft gegen Verdrängung

Michael Hermann

Einen verspäteten Aprilscherz der besonderen Art hatte die Eigentümerin des Hausprojekts Voigtstraße 36/37, V36 genannt, für ihre nach der Sanierung wieder einziehenden Mieter/innen vorbereitet. Die Schließanlage sei noch nicht da, erklärte die Eigentümerin und Verwalterin, die Firma Rentadomo, als die elf Mietparteien am 02.04.2004 mit den gepackten Umzugswagen vor ihrem modernisierten Haus standen und die Wohnungsschlüssel - wie abgesprochen - übernehmen wollten. Im Übrigen müssten sie zunächst die für den Modernisierungsprozess hinterlegte Kaution freigeben, um die Schlüssel zu bekommen.

Dazu wären die Mieter/innen jedoch erst drei Wochen nach Übergabe verpflichtet gewesen, erklärt Hausbewohner Timo Ackermann. Besonders kurios: Bereits am Tag zuvor, am 01.04.2004, sollte die Schlüssel- und Wohnungsübergabe stattfinden. Bei diesem Termin waren Knut Beyer von der ASUM (Arbeitsgruppe für Sozialforschung und Mieterberatung GmbH, die Sanierungsträgerin im Samariterviertel) und der Rechtsanwalt der Bewohner/innen anwesend. Hier hatte sich die Rentadomo auf eine Freigabe der Kaution in den nächsten drei Wochen und einer Übergabe der Schlüssel am nächsten Tag eingelassen. Am nächsten Tag zählte dieses Wort nichts mehr. In der Not gaben die genervten Mieter, die nun mit gepackten Sachen vor verschlossenen Türen standen, klein bei und unterzeichneten die Freigabe der Kaution. Und siehe da: Die Verwalter zogen die Schlüssel direkt aus der Tasche.

Doch damit nicht genug: Als die Hausbewohner/innen am nächsten Tag ihren Einzug feiern wollten, erschien plötzlich ein Wachschützer im Haus. Er sei beauftragt, die "autonome Party" zu überwachen. Verdutzt teilten die Bewohner/innen ihm mit, sie benötigten keinen Wachschutz für ihre Party, sondern gedachten, allein und in Frieden zu feiern. Kurz darauf schlichen der Polier der Baufirma, die Verwalterin der Rentadomo sowie eine Gruppe von Wachschützern um das Haus und setzten sich schließlich ins Billardcafé gegenüber und beobachteten durchs Fenster den Eingang der V36. "Als ich zufällig um die Ecke kam, lief ich der Hausverwalterin fast in die Arme. Vor Schreck umklammerte diese prompt den neben ihr stehenden Wachschützer und täuschte ein spazieren gehendes Pärchen vor", berichtet die Hausbewohnerin Heide Kolling vom Partyabend. Um die Ecke in der Rigaer Straße hatte sich zudem ein Polizei-Mannschaftswagen postiert: Eine sonderbare Provokation, meinen die Hausbewohner/innen.

Doch den Eigentümern war es ernst. Zur besten Partyzeit gegen 23 Uhr drängten sie mit acht Personen ins Treppenhaus und pochten auf ihr "gutes Recht als Eigentümer" nachzuschauen, ob alles in Ordnung sei. Warum dazu acht Menschen inklusive vier Security-Angestellten notwendig waren, bleibt den Bewohnern ein Rätsel. "Der Hausmeister machte zahlreiche Fotos von mir und anderen Partygästen, obwohl diese ihn aufforderten, es zu unterlassen", beschwerte sich Partygast Conny. Bis in die späten Nachtstunden saßen Verwalterin & Co noch gegenüber im Billardcafé und beobachteten die Feierlichkeiten. "Das war ein ganz plumper Einschüchterungsversuch und zudem ein Eingriff in unsere Privatangelegenheiten", meint Mieterin Silvia Chiogna dazu.

Förderung von Eigentümern und von Mieter/innen im Sanierungsgebiet

Gegen derartige Schikanen des Vermieters hilft es den Bewohner/innen auch wenig, dass sich das Hausprojekt im Berliner Sanierungsgebiet Samariterstraße befindet: Hier sollen Mieter vor Verdrängung geschützt und eine sozial verträgliche Sanierung der Altbauten gewährleistet werden. Dies wurde in den vergangenen Jahren durch den Senat gefördert und sowohl Hausbesitzer als auch Mieter/innen konnten von den Unterstützungen profitieren.

Aber manches Mal bleibt am Ende einer solchen Sanierung der Eindruck stehen, dass die Unterstützungen vor allem den Hausbesitzern nützen, denn nicht selten war es letztlich so, dass die Eigentümer ihre Interessen sehr viel besser durchsetzen konnten als die Mieter/innen. Gründe dafür sind neben mangelnder Organisation der Mieter/innen, auch ein Immobilienmarkt, der für Mieter/innen kaum mehr durchschaubare Eigentums- und Rechtsverhältnisse sowie fortwährende Spekulationsprozesse mit sich bringt. Zudem herrscht unter den von Sanierung betroffenen Mieter/innen eine hohe Unsicherheit über die eigenen Rechte.

Vor welchen Hürden Mieter/innen stehen, wenn neue Eigentümer ihre Verwertungsinteressen verfolgen, zeigt sich daran, wie schwierig es selbst für eine gewachsene und stabile Hausgemeinschaft wie der V36 ist, ihre Belange durchzusetzen.

Für Hausprojekte gab es in der Vergangenheit hauptsächlich zwei Wege, wenn die Verwertung einer Immobilie anstand: Verkauf an die Bewohner/innen und anschließende Selbsthilfemodernisierung oder Zerschlagung bzw. Räumung. Das Hausprojekt Rigaer Straße 94 ist in diesem Zusammenhang im MieterEcho schon öfter in Erscheinung getreten. Doch Hausbesitzer Suitbert Beulker, der seit Jahren versucht, die Bewohner/innen des linken Hausprojekts aus seinem Haus zu werfen, ist kein Einzelfall. Auch andere Projekte hatten und haben mit ihren neuen Besitzern Schwierigkeiten. Oftmals kommt es, bevor ein Haus letztlich modernisiert wird, zu zahlreichen Eigentümerwechseln. So wurde auch die V36 in Friedrichshain, als die Gruppe junger Menschen in das Haus einzog, zunächst von der Hausverwaltung Optima (Tochterunternehmen der Friedrichshainer Wohnungsbaugesellschaft) verwaltet. Die Gruppe führte in Eigenleistung Renovierungen durch, bewohnte nach und nach große Teile des Hauses und wurde zu einer bekannten Adresse und zum Treffpunkt für Nachbarn im Kiez.

Nach der Rückübertragung des Hauses an die Alteigentümer folgte der Verkauf. Als die Bewohner/innen davon Wind bekamen, versuchten sie, das Haus selbst zu kaufen oder ein Ersatzobjekt zu finden. Ersteres gelang nicht, weil der Kaufpreis relativ hoch war und das Förderprogramm "Wohnungspolitische Selbsthilfe" des Senats nicht mehr fortgesetzt wurde. Auch die Suche nach einem anderen Haus blieb ergebnislos. Also lies man sich notgedrungen auf einen langwierigen Verhandlungsprozess mit dem neuen Eigentümer, der Firma Decobau, ein. Die Interessen lagen weit auseinander: Die Decobau wollte die Leute lieber heute als morgen aus dem Haus bekommen und dann mit Gewinn verkaufen. Die Mieter/innen hingegen wollten als Gruppe im Haus bleiben und möglichst viele eigene Vorstellungen verwirklichen. Elf Mietparteien blieben in der Gemeinschaft und nahmen den Kampf gegen die Verwertungsinteressen auf. Unterstützung erfuhren sie von der ASUM, die von nun an versuchte, zwischen den Interessen zu vermitteln.

Papier ist geduldig: Modernisierungsvereinbarungen

Kurz vor Ende der Verhandlungen kam die Unternehmensgruppe Rentadomo ins Spiel. Sie hatte in den vergangenen Jahren bereits einige Immobilien in Berlin "entwickelt" und verfügte über das nötige Know-how, wie aus einem Altbau mit widerständiger Bewohner/innenschaft ein lukratives Kapitalvermehrungsprojekt werden könnte. Die Idee ist gut erprobt: Eigentumswohnungen schaffen und den Käufern einen Rundum-Service vom Bau über die Vermietung bis zur Verwaltung und zum Kapitalmanagement bieten. Mit Eigenheimzulagen, Abschreibungsmöglichkeiten und Fördermitteln ergibt sich so ein lukratives Geschäft. In langwierigen Verhandlungen gelang es der Gruppe schließlich, Modernisierungsverträge abzuschließen, die zum einen das Wohnen als Hausgruppe in großen WGs weiterhin ermöglichte, andererseits jedoch den weiteren Weg zur Modernisierung und Vermarktung des Hauses öffnete.

Als die Bewohner/innen das Haus Anfang 2003 mit Modernisierungsvereinbarungen in der Tasche verließen und in ein Umsetzhaus zogen, dachten viele, nun erst mal ein wenig Ruhe zu haben. Doch der Stress ging erst richtig los: Die vertraglich vereinbarten Mietausgleichszahlungen der Rentadomo für die teureren Umsetzwohnungen in der Bänschstraße blieben aus. Und bei den Baumaßnahmen in der V36 wurde den Mieter/innen bereits bei den ersten Baubesprechungen klar, welches Konzept von Modernisierung die Rentadomo verfolgte: "Alles muss raus", war die Devise. Die Eigentumswohnungskäufer seien ihre Auftraggeber und alles müsse vor allem nach deren Wünschen laufen.

Hürden im Abstimmungsprozess: der Faktor Wohneigentum

Nach und nach wurden Decken abgerissen und abgehangen und das Haus mehr und mehr seiner historischen Bausubstanz beraubt. Dabei ging man nicht zimperlich vor und vieles wurde mehr oder weniger mutwillig zerstört, meinten die Bewohner/innen im Rückblick. Sie lernten nun auch die komplizierte Situation in Wohneigentumshäusern kennen. Kein Wunsch der Mieter/innen konnte berücksichtigt werden, wenn nicht Bauleitung, Hauseigentümer und schließlich auch der Wohnungseigentümer zustimmten. So wurden fast alle Wünsche der Mieter/innen blockiert oder versandeten im Abstimmungsprozess. Oftmals wurden im Hin und Her um die Verantwortlichkeit die Mieter/innen hingehalten und vertröstet. Bei den Baubesprechungen hieß es, "wir machen nur was die Eigentümerin uns sagt", erzählt Mieterin Silvia. "Bei der Eigentümerin verwies man abwechselnd auf die Wohnungskäufer oder vertröstete uns mit vermeintlichen Rückrufen nach Gesprächen mit dem Chef, die es dann oft nicht gab."

Viele Mieter/innen werden dieses Spiel bereits kennen. Eine Modernisierung ist für Mieter/innen ein anstrengender Akt. Ohne eine rechtsanwaltliche Hilfe - wie sie die Bewohner/innen der V36 in Anspruch nahmen - und eine gemeinsame Abstimmung zwischen den Mietparteien wird es für Mieter/innen sehr schwierig, ihre Interessen durchzusetzen. Doch selbst, wenn sie - wie im Fall der V36 - hervorragend organisiert sind, ist das längst kein Garant, dass die Modernisierungsvereinbarungen auch eingehalten werden. Die Bewohner/innen der V36 hatten ausgehandelt, dass alter Stuck - da wo es möglich ist - erhalten bleibt und Decken nur um eine bestimmte Höhe abgehangen werden. Auch die alten Wohnungstüren sollten erhalten bleiben. Doch schon bald wurde klar, dass die Eigentümerin sich an diese Aushandlungen nicht halten will. Nun wurden bautechnische Gründe vorgeschoben oder auch ganz klar gesagt, es gehe um eine einheitliche Ästhetik und deshalb würde einfach alles abgehangen - dies sei doch "auch im Sinne der Mieter". "Absurd", meint Diana Theil von den Altmieter/innen: "Wir hätten die Stuckdecken gern behalten und viele waren auch noch gut erhalten. Es hat uns wirklich geärgert, wie der alte Stuck mutwillig zerstört wurde, um dann eine Gipsplattenunterdecke mit hässlichem Styropordeco dort aufzuhängen." Die Wohnungstüren verschwanden von einer Woche auf die andere - ohne Ankündigung an die Mieter/innen.

Während der Verhandlungen wurde den Bewohner/innen zudem ein etwa 40qm großer Trockenraum auf dem Dachboden zugesagt und in den Vertrag aufgenommen. Aus Kostengründen reduzierte die Rentadomo ihre Pläne kurzerhand und wollte auf den Trockenraum verzichten. Nach langen Protesten sollen die Bewohner/innen nun mit 30 Personen in einem 10qm kleinen Raum gemeinsam Wäsche trocknen.

Der Ärger hält an

Auch nach dem Rückzug in die V36 ist der Ärger der Mieter/innen keinesfalls beendet. Kaum eingezogen, lag die Aufforderung zur Zahlung der Aprilmiete im Briefkasten. Laut Modernisierungsvereinbarung sind die Mieter jedoch gar nicht verpflichtet, diese Miete zu zahlen, meint der Hausanwalt Moritz Heusinger. Gleichzeitig mit dem Brief der Mietforderung fanden alle Mieter auch einen Brief zur Ankündigung einer Wohnungsbesichtigung in der darauf folgenden Woche.

"Die Haustür ist zwar noch nicht im Haus, die Mülltonnen stehen im Hof zwischen Bergen von Bauschutt und die Handwerker sind seit Wochen noch mit der Herstellung der übrigen Wohnungen und Läden im Haus beschäftigt, aber die Rentadomo Hausverwaltung hat nichts Besseres zu tun, als sich zwei Wochen nach Einzug die Wohnungen anschauen zu wollen", schimpft Timo. Die geforderten Briefkasten- und Kellerschlüssel kämen hingegen nicht herbei. Dafür lag die erste Abmahnung wegen Störung des Hausfriedens ebenfalls mit in dem Stapel Anschreiben. Wen die Hausbewohner jedoch in einem sonst leeren und unfertigen Haus gestört haben sollen, diese Antwort bleiben die Verwalter ihren Mieter/innen schuldig.

Dreist war auch, was Freunde der Hausgemeinschaft erlebten, als sie sich für die übrigen Wohnungen im Haus bewarben. Die Vermietung wird offiziell über die Immobilienfirma Stadtfonds GmbH abgewickelt, welche zwei Monatsmieten Provision kassiert. Doch auch diese gehört zur Rentadomo Unternehmensgruppe, wird über das gleiche Büro, die gleiche Homepage, die gleichen Telefonnummern und die gleichen Angestellten verwaltet. Entsprechend wurden die Wohnungen von Herr Zschieck, der auch auf der Homepage der Rentadomo (www.rentadomo.de) verzeichnet ist, vermietet. Einen unabhängigen Makler haben die Mieter im Hausflur noch nicht gesehen. "Hier scheint nur das Etikett ausgetauscht worden zu sein. In Wirklichkeit ist das alles ein Laden", meint Silvia. "Wir wollen uns das noch mal genauer anschauen und mit den anderen Mieter/innen sprechen." Denn eine Hausverwaltung darf nach § 2 Abs. 2.2 des Wohnungsvermittlungsgesetzes keine Maklergebühr für eigene Vermietungen kassieren.

Für die V36-Bewohner/innen ist jedoch klar: Sie wollen sich nicht verdrängen lassen und kapitalistischen Verwertungsinteressen einen bunten und lustvollen Alltag entgegensetzen.

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