MieterEcho

MieterEcho 304 - Juni 2004

 Stadterneuerung

Sanierung, Leerstand, Mietermarkt

Stadterneuerung in Leipzig

Andrej Holm

Leipzig ist neben Berlin die ostdeutsche Stadt mit dem größten Altbauanteil am Wohnungsbestand. Mit über 110.000 Wohnungen stellen die vor 1919 errichteten Gebäude die größte Bestandsgruppe der Stadt dar. Jedoch noch stärker als in Berlin waren die Leipziger Altbauquartiere zum Ende der DDR von Verfall und Leerstand geprägt. Die Vernachlässigung der historischen Bausubstanz zu DDR-Zeiten hatte einen größeren Schaden bewirkt als die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs.

Für viele war es auch kein Zufall, dass ausgerechnet Leipzig 1989 zum Zentrum der Proteste wurde. Die große Unzufriedenheit mit der städtischen Situation war in der DDR zu einer Frage der Leistungsfähigkeit des Systems selbst geworden. Entsprechend groß waren dann nach der Wende auch die Hoffnungen vieler Aktivist/innen. So fand 1990 in Leipzig auch eine (bisher leider einzige) "Volksbaukonferenz" statt, auf der Fachexperten, Kommunalpolitiker und Bürgerinitiativen über die Grundzüge einer künftigen Wohnungsbaupolitik diskutierten. Ein wichtiger Kernpunkt damals: Der Erhalt der Altbaugebiete. Bereits 1991 wurden weite Teile des Stadtteils Connewitz - damals das Zentrum der Leipziger Hausbesetzerbewegung - zum Sanierungsgebiet erklärt. Bis 1995 erfolgten weitere Festlegungen, so dass es heute in Leipzig 13 Sanierungsgebiete gibt, in denen der Bestand an Gebäuden aus der Gründerzeit überwiegt. In einigen Gebieten sind die Sanierungsgebiete mit Denkmalschutzsatzungen kombiniert, in anderen Bereichen mit dem Programm "Soziale Stadt" oder mit europäischen Programmen wie dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE). In den EFRE-geförderten Gebieten werden öffentliche Gelder vorrangig für Wohnumfeldmaßnahmen (WUM) und soziale Projekte eingesetzt.

Organisiert und durchgeführt wird die Stadterneuerung im Wesentlichen vom Amt für Sanierung und Wohnungsbauförderung (ASW) mit 60 bis 70 Mitarbeiter/innen. Für jedes Gebiet gibt es mindestens einen Gebietsbeauftragten. Das ASW ist bei der Durchführung der Stadterneuerung sowie der Vergabe der Gelder federführend und vergibt Einzelaufträge an so genannte Durchführungsbeauftragte und an bestimmte Planungsbüros. Im Gegensatz zu Berlin ist die Leipziger Sanierungspolitik weniger durch ein Netzwerk verschiedener staatlicher und quasistaatlicher Institutionen geprägt, sondern wird aus ‚einer Hand' vom Amt gestaltet.

Von der Bauförderung zur Eigentümerstrategie

Die verschiedenen Phasen der Stadterneuerung in Leipzig sind durch den unterschiedlich intensiven Einsatz von Fördermitteln und durch Schwerpunktverlagerungen gekennzeichnet. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre stand im Vordergrund aller Sanierungsanstrengungen die Rettung der gründerzeitlichen Bausubstanz selbst und in den Sanierungsgebieten wurden Bauarbeiten zu 100% gefördert. Diese vollständige Kostenübernahme wurde durch eine Kombination verschiedener Bundes- und Landesprogramme erreicht. Im Gegenzug wurden die Mieten auf 7,50 bis 8,50 DM/qm beschränkt, was zu Anfang der 1990er Jahre deutlich unter den überzogenen Mietvorstellungen in den ersten privatsanierten Häusern lag, die teilweise zu 15 DM/qm vermietet wurden. Unterstützt durch die Förderprogramme, aber auch angetrieben durch vergünstigte steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten (sog. Sonder-AfA Ost) waren bis 1997 etwa zwei Drittel aller Altbauten in den Leipziger Sanierungsgebieten saniert. Lediglich in dieser ersten Phase der Stadterneuerung gab es spezielle Programme und amtliche Unterstützung bei der Umsetzung von Mieter/innen im Sanierungsfall.

Ab etwa 1997 wurde das Augenmerk der Sanierungspolitik verstärkt auf Fragen der Wohnumfeldaufwertung gelegt. Denn trotz der Fortschritte im baulichen Bereich standen viele - sogar auch sanierte - Wohnungen leer. Insbesondere Abwanderungen und beginnende Suburbanisierungsprozesse erschwerten die erfolgreiche Vermietung von Wohnungen in den Sanierungsgebieten. Die Schwerpunktverlagerung ging einher mit der drastischen Kürzung der Fördermittel und dem Versuch, mittels Wohnumfeldgestaltungen die Gebiete attraktiver zu machen, um mehr Bewohner/innen in der Innenstadt zu halten. In bereits aufgewerteten Stadtteilen wie dem Sanierungsgebiet Waldstraße - das Gebiet wies schon damals die höchsten Mieten und eine überdurchschnittliche Sozialstruktur auf - hatten die öffentlich finanzierten Umfeldaufwertungen einen Ergänzungscharakter für die durch privatfinanzierte Modernisierungen ausgelösten Wertsteigerungen der Häuser und Grundstücke. In den eher problematischen Wohnquartieren wirken die einzelnen Umfeldaufwertungen (Grünflächen, Sportplätze und kleine Parkanlagen) ein wenig verloren und können nur in wenigen Fällen den Charakter des ganzen Wohngebietes verbessern. In einzelnen Bereichen wurde jedoch die Aufenthaltsqualität deutlich angehoben. Ob durch die Wohnumfeldmaßnahmen tatsächlich weitere Fortzüge verhindert werden konnten, ist schwer messbar - die Leerstandsprobleme jedenfalls bestanden weiter.

In den letzten Jahren vollzog sich - im Schwung der landesweiten Debatten um den Stadtumbau Ost und so genannte integrierte Programme wie das Programm "Soziale Stadt" eine erneute Prioritätenverschiebung. "Neue Wege" der Stadterneuerung ermöglichten einerseits die Abkehr von einer erhaltenden Baustrategie und sahen Abrisse mit einer kostendeckenden Förderung vor. Zugleich setzte die öffentlich Förderung immer weniger auf bauliche Maßnahmen, sondern konzentrierte sich auf die Unterstützung von potenziellen Erwerber/innen von Eigentumswohnungen und Initiativen, von denen sich eine Aufwertung der Images der Stadtviertel versprochen wurde. Aufwändige Beteiligungsverfahren und Förderung von Kunstprojekten im öffentlichen Raum gehören ebenso dazu wie die Organisation von Stadtrundfahrten, auf denen Kaufwilligen mögliche Häuser zur Eigentumsbildung vorgestellt werden.

Verbesserte Ausstattung, Leerstand und günstige Miete

Die Sanierung der Leipziger Altbauviertel weist heute einen sehr hohen Durchführungsstand auf: Etwa 80% sind inzwischen saniert. Begleitet durch die massiven Bevölkerungsverluste, die Leipzig in den 1990er Jahren zu verzeichnen hatte, ist so ein deutliches Überangebot von Wohnungen entstanden. Das bedeutet zum einen, dass es in allen Bestandsgruppen hohe Leerstandszahlen gibt und zum anderen, dass sich in den meisten Gebieten die Mietpreise relativ moderat entwickelt haben. Eigentümerverbände bezeichnen diese Situation als Mietermarkt, weil letztendlich die Wohnungssuchenden durch die riesigen Wahlmöglichkeiten die Mietpreise bestimmen. In Folge dieser Situation hat sich der Wohnflächenkonsum der Leipziger Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren um fast 10 qm auf 41,8 qm pro Person erhöht. Der Ring deutscher Makler stellt im Jahr 2002 mit einer gewissen Erleichterung fest, dass die durchschnittlichen Neuvermietungsmieten für sanierte Altbauten erstmalig seit 1994 nicht mehr rückläufig waren. Damals verlangten die Eigentümer im Durchschnitt mehr als 12 DM/qm. Inzwischen liegen die vergleichbaren Preise bei 4,35 Euro/qm - das entspricht einem Rückgang der Mietpreise von etwa 30%.

Dabei gibt es wie in den meisten Städten deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtgebieten. Während beispielsweise im innerstädtischen Wald- und Bachstraßenviertel Mietpreise von 6 bis 7 Euro/ qm als normal gelten, werden in weniger attraktiven Stadtvierteln wie Plagwitz, Stötteritz oder Eutritsch Wohnungen auch zu etwa 3 Euro/qm vermietet. In diesen Gebieten gibt es in der Regel auch höhere Leerstandsquoten. Ein Baualtersvergleich (s. u.) zeigt, dass Leerstandsproblematik in Leipzig entgegen allen Vorurteilen kein spezifisches Problem des Plattenbaus ist, sondern sich in erster Linie auf den Altbaubestand bezieht. Eine Erhebung an der Leipziger Universität ermittelte, dass im Gründerzeitbestand 23% der bereits sanierten und 71% der unsanierten Wohnungen leer stehen. Aus dieser Situation heraus wurde die Leipziger Sanierungsstrategie modifiziert. In den Überlegungen zu den "Leitlinien der Stadterneuerung" (1998) wird der Strategiewandel erstmals offen formuliert: "Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass angesichts des strukturellen Wohnungsleerstands nicht alle Altbauten gerettet werden können. Es muss damit gerechnet werden, dass sich die Zahl der Baulücken noch deutlich erhöht. Rückbau ist zum Thema geworden. Der geschlossene Block als städtebauliche Leitvorstellung muss in Teilbereichen aufgegeben werden. Die Herausbildung neuer städtischer Strukturen mit deutlich geringer Dichte und höherem Grünanteil ist erforderlich."

Im Zentrum der Stadterneuerung steht nun nicht mehr die Sanierung und der Erhalt der gründerzeitlichen Bausubstanz, sondern die Konkurrenzfähigkeit der Gründerzeitviertel gegenüber dem Stadtrand und dem Umland. Neue Programme mit den Slogans "Neue Gründerzeit", "Leipziger Selbstnutzer-Modell" oder "Mehr Grün, weniger Dichte, mehr Individualität" stehen für diese neue Sanierungsstrategie: Abriss ist nun kein Tabu mehr und mit der Entwicklung von Park- und Grünanlagen sowie durch Unterstützung von potenziellen Wohneigentumserwerber/innen und Selbsthilfeprogrammen sollen Familien und insbesondere die Mittelschichten in der Innenstadt gehalten werden. Spezielle Förder- und Beratungsangebote vom ASW unterstützen die entsprechenden Haushalte bei Suche, Bau bzw. Ausbau ihrer Wohnung.

Die Ergebnisse der Stadterneuerung sind in Leipzig anders als in Berlin aber auch anderen ostdeutschen Städten weniger ein Problem für die Bewohner/innen als für Hausbesitzer und die Stadtverwaltungen. Durch die Wohnungsmarktbedingungen eines enormen Angebotsüberhangs (es gibt mehr Wohnungen als von den Mietern nachgefragt werden) bleiben die typischen Effekte einer Verdrängung und Erhöhung der Wohnkosten, die mit Sanierungsarbeiten einhergehen, auf wenige attraktive Gebiete beschränkt. Ob die gezielten Aufwertungsstrategien des ASW daran etwas ändern werden, ist fraglich. In Leipzig zeigt sich das große Manko der bundesdeutschen Sanierungspraxis einmal von seiner freundlichen Seite: Ohne einen substanziellen Eingriff in die Eigentumsfragen und ökonomischen Aspekte des Wohnungsmarkts sind dessen Gesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft zu setzen.

Leerstandsquoten im Baualtersvergleich

Baualter

Wohnungsbestand

Davon Leerstand

Anteil Leerstand

Anteil am Leerstand

bis 1918

111958

27000

24%

49%

1919 bis 1948

58042

11000

19%

20%

1949 bis 1990

100228

15000

15%

27%

nach 1990

46535

2000

4%

4%

insgesamt

316763

55000

17%

100%

Quellen: Monitoringbericht Leipzig 2003: 13 und eigene Berechnungen

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