MieterEcho

MieterEcho 304 - Juni 2004

 Berlin

Schwarzfahren als Widerstand

Aktionen gegen Preiserhöhungen der BVG

Peter Nowak

Eine ältere Frau hält einen Fahrschein der Berliner Verkehrsbetriebe mit dem Aufdruck "Freifahrt" in die Höhe. Darüber steht die Parole "Her mit dem schönen Leben". Dieses Bild prangte einige Wochen lang an einer Häuserwand Manteuffel-/Ecke Oranienstraße im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Seit Jahren kann man an dieser Wand ablesen, welches Thema gerade auf der Agenda der politischen Szene Berlins steht.

Mit dem Widerstand gegen die hohen Preise für das Benutzen der öffentlichen Verkehrsmittel im Berliner Nahverkehr scheint ein gemeinsamer Nenner gefunden zu sein, der die zerstrittene politische Szene eint. Da die Zuschüsse des Senats um 17 Mio. Euro gekürzt wurden, hatten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zum 01.01.2004 das Sozialticket zu 20,40 Euro für Menschen mit geringen Einkommen abgeschafft. Jetzt müssen Sozialhilfeempfänger/innen entweder tief in ihre Tasche greifen oder jede Fahrt von der Behörde genehmigen lassen, wenn sie dafür das Geld haben wollen. Fahrten zum Arbeitsamt oder zu Bewerbungen könnten unter Umständen beglichen werden, hieß es bei der Berliner Verwaltung. Ansonsten müssten Arbeitslose eben zu Hause bleiben oder zu Fuß gehen. Schließlich gäbe es kein Recht auf subventionierte Mobilität, hieß es zynisch aus Senatskreisen. Die zuständige Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) bekundete in Zeitungsinterviews, wie stark sie mit den Betroffenen leide. Ihre Partei setzte sich auch für ein neues Sozialticket ein, betonte sie. Von Widerstandsaktionen, gar von dem Benutzen der Verkehrsmittel ohne Ticket, hielt die Senatorin jedoch überhaupt nichts.

Unterschiedliche Parole - gleiches Ziel

Diese Aktionen haben allerdings seit Jahresbeginn an Schwung gewonnen. Mit unterschiedlichen Parolen wurde in Berlin gegen die BVG-Politik mobil gemacht. Während die linke Szene den Slogan "alles für alle - und zwar umsonst" kreierte und auf den Flugblättern und Plakaten schon mal den verbalradikalen Ton-Steine-Scherben-Refrain "eher brennt die BVG" benutzte, sprechen Sozialverbände vom "Recht auf Mobilität".

Unter diesem Motto fand die erste große Schwarzfahraktion am 10.01.2004 statt, die gleich ein großes Medienecho fand. Schließlich riefen damals Professor/innen, Pastor/innen und Bewegungsaktivist/innen gemeinsam zum Benutzen des Berliner Nahverkehrs ohne Ticket auf. Zu den Mentor/innen dieses Protests gehörte auch der Politologieprofessor Peter Grottian. Strafgelder, die an diesem Tag durch die Schwarzfahraktion entstanden sind, wollte er großzügig aus dem eigenen Geldbeutel bezahlen. Die Justiz nahm sogleich die Ermittlungen gegen Grottian auf, weil er zu einer Straftat aufgerufen habe. Dadurch wurde die Aktion allerdings erst so richtig bekannt. Ein Kommentator in der Tageszeitung Taz meinte zwar süffisant, die Arbeitslosen würden sich doch wohl nicht von einem Professor die Welt erklären lassen. Die folgenden Wochen sollten allerdings zeigen, dass die Aktionen gegen das BVG-Preissystem auch ohne professorale Schirmherrschaft zum Selbstläufer wurden.

So organisierten in der Folge Studierende und Erwerbslose Aktionen unter dem Motto "Wir kontrollieren die Kontrolleure". Die wurden von den Aktivist/innen mit großen Pappschildern markiert, auf dem die Worte "Vorsicht Kontrolleure" stand. Das hatte zur Folge, dass diese oft Reißaus nahmen. Noch vor einigen Jahren hatten sich mehrere Kontrolleur/innen in einem Berliner Boulevardblatt fotografieren lassen. Die Unterzeile war eine eindeutige Botschaft an alle potenziellen Schwarzfahrer/innen "Wir kriegen Euch alle". Durch die Markierungsaktionen wurde diese Aussage konterkariert.

Einzelfahrschein ins Gefängnis

Anfang April ist die Kampagne in Berlin noch ausgeweitet worden. Die BVG lieferte auch hierfür die Steilvorlage. Am 01.04.2004 wurden wieder einmal die Fahrpreise erhöht, nachdem im März die Presse die außertariflich hohen Top-Gehälter der BVG-Führungsspitze bekannt gegeben hatte. Pünktlich zum 01.04.2004 forderten Demonstrant/innen vor der BVG-Zentrale daher auf Transparenten: "Fahrpreise und Gehälter runter". Selbst die Studierenden machten wieder verstärkt gegen die BVG mobil. Dabei schienen die mit dem Semesterticket ruhig gestellt zu sein. Studierende zahlen mit der Semestergebühr für die BVG-Karten einen Betrag, der zwar wesentlich höher als das abgeschaffte Sozialticket, aber insgesamt billiger als eine ‚normale' Monatskarte ist. Doch weil die BVG zum nächsten Semester den Preis für das Ticket erneut erhöhen wollte, hatten sich viele Studierende wieder in die Reihen der Protestierenden eingereiht. Und auch nachdem man sich auf einen für die Studierenden akzeptablen Preis einigte, wollten die sie weiterhin gegen die BVG-Politik protestieren. "Neben Studierenden sind alle Nutzer des Berliner Nahverkehrs mit steigenden Preisen konfrontiert. Insbesondere für einkommensschwache Gruppen ist das untragbar", erklärte der Sozialreferent des Referent/innenrats der Humboldtuniversität.

Am 17., 19. und 26.04.2004 fanden im Rahmen der Kampagne Maisteine dann Demonstrationen und Kundgebungen vor der BVG-Zentrale in der Potsdamer Straße in Berlin-Schöneberg statt. Dabei wurden gezielt die BVG-Kund/innen angesprochen, die dort Schlange stehen müssen, weil sie ohne gültiges Ticket erwischt worden und ihr vergessenes Ticket vorzeigen oder die Strafgebühr zahlen müssen. Wer öfter ohne Ticket in einem Berliner Verkehrsmittel erwischt wird, bekommt es mit der Justiz zu tun. Immer öfter müssen Leute ins Gefängnis, weil sie die Geldstrafen für mehrmaliges Schwarzfahren nicht bezahlen können, meldete die Taz am 30.03.2004.

Nulltarif und Roter Punkt

Die Aktionen gegen die BVG werden mittlerweile auch theoretisch unterfüttert. So wurde im April auf einer gut besuchten Veranstaltung im Kreuzberger Veranstaltungszentrum Kato über die Frage diskutiert, ob das kollektive Schwarzfahren eine sinnvolle Widerstandsaktion sein kann. Ein Referent von der Berliner Gruppe F.e.l.s (Für eine linke Strömung) bejahte diese Frage. Wichtig sei allerdings, dass die Aktion in die Kampagne "Berlin umsonst" eingebettet ist. Nicht nur beim Nahverkehr, sondern auch bei Schwimmbädern, Konzerten und Ausstellungen soll der Anspruch auf verbilligte oder kostenlose Nutzung erhoben werden. "Auch Menschen mit wenig Geld haben einen Anspruch auf Mobilität, Kultur und sinnvolle Freizeitgestaltung", so der F.e.l.s-Vertreter. Auch Dirk Hauer von der Jobberinitiative "Blauer Montag" aus Hamburg begrüßt solche Aktionen der "direkten und kollektiven Aneignung" und erinnerte daran, dass sie politische Vorläufer haben. Schon 1996 und auch in den 70er Jahren wurden gemeinsame Schwarzfahraktionen organisiert wie "Aktion Nulltarif" oder die "Rote-Punkt-Aktion". Dabei seien Broschüren mit Tipps für ein erfolgreiches Schwarzfahren an die Fahrgäste verteilt worden. Nadja Rakowitz von der Zeitung Express, die sich "sozialistischer Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit" widmet, plädierte dafür, kollektives Schwarzfahren als Aktion für die unmittelbare Verbesserung von Lebensverhältnissen zu betrachten, ohne sie ideologisch zu überfrachten. Dem stimmte das Publikum weitgehend zu. Schließlich taugen die Aktionen gegen die BVG eben nicht für abstrakte Szenediskussionen, sondern sind auf eine Verbreiterung angelegt. Bisher ist dieses Konzept in Berlin aufgegangen. Mittlerweile haben sich auch in Dresden, Hamburg und anderen Städten im Rahmen der Umsonst-Kampagnen Initiativen für die kostenlose Nutzung des Nahverkehrs gebildet.

Maisteine

Die Proteste gegen die Fahrpreiserhöhungen fanden im Rahmen der Kampagne Maisteine im April 2004 statt. Unter dem Motto "Sag ja zum Nein" wurde zum Widerstand gegen Sozialabbau aufgerufen. Informationen unter www.mai-steine.de.

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