MieterEcho

MieterEcho 303 - April 2004

 Titel

Die "freiheitsstiftende Funktion" der Privatisierung

Von der Wohnraumversorgung zum Portfolio-Management

Hermann Werle

Wie die Gehag wird auch die GSW im April diesen Jahres 80 Jahre alt - zu feiern gibt es leider gar nichts! Rund fünf Jahre nach der Privatisierung der Gehag droht der GSW nun endgültig das gleiche Schicksal. Egal welcher Investor den Zuschlag von Finanzsenator Sarrazin erhalten wird, die Geschäftsphilosophie wird sich grundlegend wandeln: von der "Errichtung, Bewirtschaftung und Betreuung von Wohnungen, die für breite Schichten der Bevölkerung nach Größe, Preis und Ausstattung geeignet sind" hin zu einer optimierten Performance des Portfolios.

Der Immobilienmarkt liegt danieder. Folgt man den Ausführungen Robert Ummens von der Tageszeitung Die Welt, leidet er sogar: "Preise, Mieten und Renditen sind in den Keller gerauscht", ließ er am 19.01.2004 seine Leser/innenschaft wissen. Die Tendenz sinkender Mieten ist an der Berliner MieterGemeinschaft vorbeigegangen, die gegenläufige Entwicklung ist trotz entspanntem Wohnungsmarkt und gegen die Gesetze des freien Markts bestimmend. Recht zu geben ist Herrn Ummen indes, wenn er feststellt, dass es "gute Zeiten für internationale Schnäppchenjäger" sind. Denn eine neue Welle von Privatisierungen rollt auf staatliche und kommunale Unternehmen zu. "Die Privatisierungsliste in Europa ist lang", titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Dezember letzten Jahrs. Die Kommission der Europäischen Union verstärkt den Druck zur Privatisierung, um die jeweiligen Staatsschulden zu reduzieren und um versprochene Steuergeschenke für die oberen Zehntausend zu realisieren. Fünf Mrd. Euro sollen nach den Plänen der Bundesregierung durch weitere Privatisierungen in den Staatshaushalt gespült werden. Auch vor den Toren der Hauptstadt macht die jüngste Privatisierungswelle keinen Halt.

Verkaufen um jeden Preis

Viel zu langsam läuft der Privatisierungsprozess nach Meinung der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK). In einer Pressemitteilung vom November fordert die Berliner Unternehmenslobby: "Öffentliche Wohnungsbaugesellschaften entstaatlichen!" Der Staat habe hinreichend bewiesen, dass er ein schlechter Unternehmer sei und "angesichts eines Leerstands von 150.000 Wohnungen" gäbe es keine politische Rechtfertigung für öffentlichen Wohnungsbesitz und deshalb sollten alle Gesellschaften privatisiert werden. Scheitern solle dies auch nicht am Verkaufspreis: "Selbst wenn nur ein Euro für eine Gesellschaft erzielt werden könnte, ist die Politik ‚Weg mit Schaden' immer noch besser als ein finanzieller Schrecken ohne Ende."

Selbst wenn der Leerstand auch nur annähernd die behaupteten Ausmaße hätte, so wird jede/r Wohnungssuchende bestätigen können, dass bezahlbarer Wohnraum für Geringverdiener/innen nach wie vor kaum aufzufinden ist. Mit zunehmendem Druck auf Löhne und Gehälter sowie der Einführung des Arbeitslosengeld II zum kommenden Jahr wird sich diese Situation weiter verschärfen. Denn wie die IHK in ihrem Blättchen "Berliner Wirtschaft" vom Februar richtig feststellt, lässt sich einem staatlichen Verkehrsunternehmen "eben leichter ein Sozialticket verordnen als einem privaten Anbieter" und auf einen staatlichen Bäderbetrieb lässt sich ebenfalls besser Einfluss auf Preise, Öffnungszeiten und Benutzungsrechte für Sportvereine nehmen als auf das privatwirtschaftliche Unternehmen. Nicht anders verhält es sich bei den Wohnungsbaugesellschaften. Nach Vorstellung der IHK solle sich die Politik darauf beschränken, bei Bedarf diese Leistungen bei den Privatunternehmen zu kaufen, wie z.B. Belegungsrechte auf Wohnungen für sozial schlecht gestellte Haushalte. Erfahrungen der letzten Jahre zeigen jedoch, dass private Unternehmen wenig Interesse an Sozialhilfeempfänger/innen haben oder aber über diesen Weg Wohnungen zu unverhältnismäßig hohen Preisen vermieten, weil diese ansonsten wegen ihres schlechten Zustands auf dem freien Markt unvermittelbar wären.

Auch das Argument des schlechten Unternehmers, als welchen die IHK den Staat darstellt, mag nicht richtig überzeugen. Zweifelsohne haben fehlende Kontrollinstanzen den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen über Jahre ein ungeheures Missmanagement ermöglicht. Die Neigung der Berliner "Filzokratie", in die eigene Tasche zu wirtschaften und die Milliardenbeträge, welche die Wohnungsunternehmen (und nicht nur die) in den Berliner Haushalt zahlen mussten und dadurch ihrer finanziellen Basis beraubt wurden, haben ihr Übriges dazugetan. Ein kurzer Blick in die Schlagzeilen der Wirtschaftsblätter zeigt allerdings sofort, dass die privaten Unter-nehmen keinen Deut besser zu wirtschaften wissen. Wie sollten sie auch: Neben dem ihr inne wohnenden Profitstreben, ist die Privatwirtschaft an keinerlei gesellschaftliche oder politische Verantwortung gebunden, allenfalls gegenüber ihren Aktionären. Doch auch damit ist es nicht allzu weit her. "Kapitalvernichtung leicht gemacht", titelte die Berliner Zeitung am 18.02.2004 und berichtete über die schlechtesten deutschen Aktienwerte. "Den zweifelhaften ersten Platz auf der schwarzen Liste belegt die Aktie der Beteiligungsgesellschaft WCM." Zur Erinnerung: 1998 war die Gemeinnützige Heimstätten-AG (Gehag) zu drei Vierteln an die RSE Grundbesitz und Beteiligungsgesellschaft verkauft und somit privatisiert worden, die ihrerseits kurz darauf von der WCM einverleibt wurde. Durch verlustreiche Spekulationsgeschäfte geriet die WCM derart in Schieflage, dass sie zur Kapitalbeschaffung vor zwei Jahren 60% der Gehag an die HSH Nordbank verkaufen musste. Bis Ende Februar hätte die WCM eine Rückkaufoption gehabt, worauf sie aber aus Liquiditätsgründen verzichtete. Über die RSE hält die WCM lediglich noch 15% an der Gehag, die vermutlich auch bald den Eigentümer wechseln werden. Über 21.000 Berliner Wohnungen gerieten durch die Privatisierung in den Sog undurchsichtiger Börsengeschäfte und mit der TAG Tegernsee steht bereits die nächste Immobilien-Aktiengesellschaft in den Startlöchern. Über die HSH Nordbank verfügt die TAG über einen direkten Kontakt zum Gehag-Management und signalisiert seit Monaten großes Interesse, aus der WCM-Pleite Profit zu schlagen und den Rahm des Berliner Wohnungsmarkts abzuschöpfen.

Gute Vorarbeit dafür hat die RSE bereits geleistet. Beschäftigte die Wohnungsgesellschaft 1998 noch 495 Personen, so waren es 2002 nur noch 270. Der Wohnungsbestand verringerte sich durch Mieterprivatisierung und En-bloc-Verkäufe im gleichen Zeitraum von über 30.000 auf 21.143 Wohnungen. Eigentümerwechsel, Arbeitslosigkeit und Vorruhestand für die einen, schnell verdientes Geld für die anderen. Erhielt Berlin rund vier Mio. DM Dividende aus der Gesellschaft, so konnten sich die neuen Gesellschafter in den Folgejahren über 56 bzw. 70 Mio. DM erfreuen. Im RSE-Geschäftsbericht von 2001 erklärt sich das recht unspektakulär: "Im Rahmen der Neuausrichtung der Gehag werden die wesentlichen Bereiche des Unternehmens auf eine Steigerung der ökonomischen Effizienz hin untersucht. Dieses Programm sieht eine sorgfältige Bestandsanalyse und Bestandsbereinigung, die Nutzung von Mieterhöhungspotenzialen und Modernisierungschancen sowie die Restrukturierung der Unternehmensfinanzierung und eine Optimierung der Kostenstrukturen der Gesellschaft vor." Für Mieter/innen bedeutet die "Neuausrichtung" in der Regel einen schlechteren Service und Mietsteigerungen bis an den oberen Anschlag des Mietspiegels.

Der Freiheit Gerechtigkeit abringen

Die Entwicklung der GSW sieht ganz ähnlich aus. Bereits vor der Privatisierung wird das Unternehmen auf Rendite getrimmt. Als Ziel der Umstrukturierung der GSW erklärte Geschäftsführer Heinz Wirries gegenüber der Zeitung Wohnen in Berlin/Brandenburg, "dass wir die wirtschaftliche Situation weiter verbessern und der Gesellschafter - wer immer das ist - das bekommt, was er erwarten kann, nämlich eine angemessene Eigenkapitalverzinsung." Für die dafür 200 entlassenen Mitarbeiter/innen findet Wirries die tröstenden Worte, dass sie "ihren Beitrag, den das Land von seinen Beschäftigten verlangt, geleistet" hätten. Die potenziellen Investoren wird es freuen.

In der engeren Auswahl beim Poker um die GSW stehen neben der US-amerikanischen Investmentgesellschaft Lone Star Funds (zu Lone Star siehe auch Beitrag auf Seite 21, die Red.) zwei weitere US-Unternehmen: Zum Ersten die apellas Property Management GmbH, hinter der die bislang vergleichsweise unbedeutende BauConcept Gesellschaft für Immobilien-Investitionen mbH steht. Weiterer Partner von apellas ist die - mit einer Mrd. US-Dollar Eigenkapital - umso schwergewichtigere Soros Real Estate Investors CV, deren Schwerpunkt der Investitionen "trotz aller Konjunkturprobleme" auf dem deutschen Immobilienmarkt liegen soll, wie die Zeitschrift "Performance" der Berliner Effektenbank berichtet. Mit den Worten: "Jede Krise ist auch eine Chance" wird der apellas-Geschäftsführer Ulrich Weber zitiert, der erläutert, worin diese Chance sich begründet: "Viele Gebietskörperschaften, von kleinen Kommunen bis zum Bund, versuchen, ihre Immobilienbestände zu verwerten. Das Angebot ist deshalb groß wie lange nicht. Es kommt aber darauf an, Bestände mit großem Entwicklungspotenzial zu identifizieren, die nur auf einen kapitalkräftigen Investor warten, der sie zum Blühen bringt. Das ist die Aufgabe, die George Soros seinem Berliner Partner Dr. Ulrich Weber übertragen hat."

Die besten Aussichten auf das Schnäppchen GSW hat aber wohl die Cerberus Deutschland GmbH, die erst kürzlich in das Bieterverfahren eingestiegen ist und mit Hilfe "parlamentarischer Informationsveranstaltungen" eine aggressive Lobbystrategie verfolgt. Der Cerberus, dessen Name auf den dreiköpfigen Höllenhund, dem Wächter der Unterwelt in der griechischen Mythologie entnommen ist, steht mit der HSH Nordbank jene Bank zur Seite, die auch beim Monopoly um die Gehag mitspielt.

Um die Chancen der renditeorientierten Verwertung für die private Wirtschaft auch vor jeglichen Risiken zu schützen, fordert die IHK, notfalls eben auch für einen Euro zu verkaufen. Geradezu beschwörend fordert die Handelskammer die Privatisierung, denn diese habe "neben der dringend erforderlichen Einnahmeerzielung vor allem eine freiheitsstiftende Funktion." Einen Euro für die GSW - welch Erleichterung für Sarrazins Pleitehaushalt. Aber ganz zum Wohlgefallen jener international agierenden Investoren, die mit prallvollen Kassen und befreit von jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung auf Beutezug durch die Lande ziehen.

Große Teile der Gewerkschaftsbasis, einige Berliner Abgeordnete, Mieter und Mieterinnen sowie die Berliner MieterGemeinschaft können auf diese Form von Freiheit bestens verzichten und halten es mit Herakles, der den Höllenhund Cerberus überwand oder auch dem französischen Dominikanerpater Henri Lacordaire (1802-1861):

"Man muss der Freiheit immer Gerechtigkeit abringen. (...) Im Verhältnis zwischen Starken und Schwachen ist Freiheit gleich Unterdrückung und Gesetz gleich Freiheit."

Was ist Portfolio?

Portfolio (= Portefeuille):

Aktuell findet der Begriff "Portfolio" auf dem Aktienmarkt Anwendung und bezeichnet die Gesamtzahl gehaltener Wertpapiere. Portfolio-Management dient der optimalen Ausbalancierung bestehender Wertpapierbeständen zwischen Risiko und Rendite. Die Rendite bezeichnet die erzielte Verzinsung des eingesetzten Kapitals in einer Abrechnungsperiode, z.B. einem Geschäftsjahr. Sie ist der Maßstab zur Messung der Performance einer Investition. Für ein Immobilieninvestment gilt der Bestand der Immobilien dementsprechend als Portfolio und die Optimierung der Performance bedeutet ganz schlicht Profitmaximierung.

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