MieterEcho

MieterEcho 303 - April 2004

 Stadterneuerung

Die etwas andere Behutsamkeit

Stadterneuerung in Dresden

Andrej Holm

In der Dresdener Innenstadt wurden zu Beginn der 1990er Jahre sechs Sanierungsgebiete mit Gründerzeitbebauung förmlich festgelegt. Insgesamt umfassen die Gebiete ca. 15.000 Wohnungen mit 23.000 Einwohner/innen. Das größte und bekannteste Sanierungsgebiet ist die so genannte Äußere Neustadt mit ca. 8000 Wohnungen. Hier entstand durch die mit einer kulturellen "Attraktivierung" verbundene Stadterneuerung schon zu Beginn der 1990er Jahre ein Aufwertungsdruck, der typisch für Gentrifizierungsprozesse war. Den besetzten Häusern und illegalen Clubs folgten schon bald die ersten kommerziellen Gastronomien und aufwändige Sanierungen.
In den verschiedenen Sanierungsgebieten liegen die Nettokaltmieten inzwischen im Durchschnitt bei 6 Euro/qm. Da sich die Stadterneuerung ausdrücklich an behutsamen Modellen aus Westdeutschland orientiert, muss sich die Dresdener Sanierungspolitik an den Grundsätzen des Erhalts der Bausubstanz, der Sozialverträglichkeit und einer weitgehenden Bürgerbeteiligung messen lassen.

Trotz ähnlicher Ziele und Probleme wurde die Stadterneuerung anders als in Ostberlin organisiert. Die administrativen Kompetenzen der Stadterneuerung konzentrierten sich in der Stadtverwaltung selbst. Sanierungsträger und beauftragte Gesellschaften spielten für die Koordination der Sanierung nur eine untergeordnete Rolle. Eine so genannte Sanierungskommission war als eigenständige Verwaltung mit über 50 Mitarbeiter/innen für die zentralistisch organisierte Planung und Durchführung der Maßnahmen verantwortlich. Die Stadtentwicklungs- und Sanierungsgesellschaft Dresden mbH (STESAD), eine 100%ige Tochtergesellschaft der Stadt Dresden, hat anders als die Sanierungsbeauftragten in Berlin noch eine echte Trägerfunktion. Allein im Sanierungsgebiet Äußere Neustadt hat die STESAD etwa 60 eigene Wohn- und Geschäftshäuser saniert und ist damit mit Abstand der bestandsgrößte Bauträger im Sanierungsgebiet.

Erst ab 1999 wurde die Stadterneuerung dem allgemeiner agierenden Stadtplanungsamt unterstellt. Seither klagen die Mitarbeiter über einen Rationalisierungsdruck, der sich vor allem in geringer werdenden Arbeitszeitbudgets für die Einzelfallbetreuung niederschlägt. Zugleich gewinnt seitdem die Arbeit des städtischen Sanierungsträgers an Gewicht, da ein administratives Vakuum für die Koordination verschiedener Verfahrensbeteiligter entstanden ist. Da die hoheitliche Planungsverantwortung für die Bau- und Sanierungsgenehmigungen beim Stadtplanungsamt liegt, jedoch die Mitarbeiter des Sanierungsträgers einen engeren Draht zu den einzelnen Fällen haben, fallen Problemkenntnis und Entscheidungsbefugnis auseinander, so dass auch in Dresden die Notwendigkeit eines ständigen Austauschs der einzelnen Stadterneuerungsakteure besteht. Wie in Ostberlin werden die für die Stadterneuerung wesentlichen Entscheidungen nun auf regelmäßigen Abstimmungstreffen der Gebietsbearbeiter vom Amt des Sanierungsbeauftragten vorbereitet. Die Zusammenarbeit wird als "sehr partnerschaftlich" beschrieben und letztlich werden auf den gemeinsamen Runden Problemlösungen ausgehandelt, die vom Amt vollstreckt werden. Eine Transparenz im Sinn einer Nachvollziehbarkeit der Entscheidungswege und Verantwortungsträger verschwimmt dabei im Netz der verschiedenen Abstimmungsrunden, Kooperationen und informellen Absprachen.

Förderung ohne Mieteffekte

Nach Aussagen des Stadtplanungsamts waren bis 2003 etwa 60 bis 70% der Bestände modernisiert, im Sanierungsgebiet Äußere Neustadt sogar schon etwa 80%. Neben der besonderen Attraktivität ist dies vor allem auf den räumlich ungleichen Einsatz öffentlicher Fördergelder zurückzuführen: Insgesamt 80% aller sanierten Häuser in der Neustadt wurden gefördert. Der Durchschnitt aller Sanierungsgebiete liegt bei ca. 30%.

Die Sanierung in Dresden verlief wechselhaft: Während zu Beginn der 1990er Jahre die Maßnahmen oft an ungeklärten Eigentumsverhältnissen scheiterten und öffentliche Gelder vor allem in so genannte Sicherungsprogramme flossen, erlebte die Stadterneuerung zwischen 1996 und 1998 auf der Basis der Steuerabschreibungsmöglichkeiten einen deutlichen Aufschwung. Auch der Schwerpunkt der Förderungen fällt in diesen Zeit-raum, so dass in einer ‚Turbosanierung' innerhalb weniger Jahre fast die Hälfte des gesamten Bestands erneuert wurde. Zuletzt verebbten die Fördergelder und das Tempo der Stadterneuerung reduzierte sich. Nach dem Wegfall der Steuervergünstigungen für Modernisierungen konzentrierten sich die Maßnahmen auf attraktive Bestände oder man versuchte, die Kosten mit billigen Basissanierungen zu drosseln. So entstand in der Dresdener Altstadt ein gespaltener Wohnungsmarkt, der durch ein Nebeneinander von aufwändig oder sehr einfach sanierten sowie völlig unsanierten Häusern gekennzeichnet ist.

Die Fördersystematik sah in der Dresdener Stadterneuerung im Wesentlichen die Übernahme der unrentablen Investitionen vor: Gefördert wurden alle Maßnahmen, die nicht im Sinn einer Modernisierung umlagefähig waren. Im Gegenzug verpflichteten sich die Eigentümer, die Mietgestaltung an der "Sächsischen Sozialmiete" zwischen 8,50 bis 9,50 DM/qm zu orientieren. Die Mietbeschränkungen galten jedoch vor allem für die Erstvermietung nach der Modernisierung oder die Modernisierungsumlage. Ohne eine öffentliche Belegungsbindung galten für spätere freie Vermietungen keine Mietbegrenzungen.

So waren Anfang der 1990er Jahre in ausschließlich privatmodernisierten Häusern und bei Zweitvermietungen in geförderten Wohnungen Nettokaltmieten von bis zu 15 DM/qm keine Seltenheit. Gegen Ende der letzten Dekade konnten noch maximal 10 DM/qm verlangt werden. Lediglich in den attraktiven Lagen der Neustadt werden einzelne aufwändig sanierte Wohnungen noch immer für 5 bis 6 Euro/qm vermietet. Die mietbeschränkenden Auflagen der Förderprogramme verfehlten für die Dresdener Sanierungsgebiete insofern ihre Wirkung, dass die Förderprogramme sich auf Zeiträume und Bestände konzentrierten, in denen der lokale Wohnungsmarkt ohnehin keine hohen Mieten erwarten ließ. Preiswerte Wohnungen in den Dresdener Altbauquartieren sind also kein Erfolg einer politischen Intervention, sondern ein Ausdruck der allgemeinen Wohnungsmarktsituation der Stadt.

Seit Anfang 2000 wurden zudem die Fördervolumen deutlich reduziert und die Konditionen der Förderung verändert. In den neuen Förderrichtlinien werden nur noch für 30 bis 40% der Fassadensanierung Aufwendungszuschüsse übernommen. Die Städtebaufördermittel fließen zur Zeit zu über 70% in den öffentlichen Raum, insbesondere in den Straßenbau. Eine Steuerung des Modernisierungsgeschehens und der Mietentwicklung ist auf dieser Basis nicht mehr möglich.

Sowohl der hohe Durchführungsgrad der Stadterneuerung als auch das entstandene Mietpreisgefüge hat Folgen für die Sozialstrukturen in den Sanierungsgebieten. Insbesondere in den Beständen der Äußeren Neustadt hat ein weitgehender Bevölkerungsaustausch und eine deutliche Aufwertung stattgefunden. Nach Einschätzung der für die Sanierung zuständigen Verwaltungsbeamtin wohnen dort vor allem Besserverdienende, weil selbst Studierende die Mietpreise dort inzwischen nicht mehr zahlen können. Als Gründe für diese konzentrierte Aufwertung können der große Modernisierungsspielraum durch die desolate bauliche Situation zum Zeitpunkt der Festlegung als Sanierungsgebiet sowie die attraktive Lage und das gute Image des Stadtteils genannt werden.

Beteiligung ohne Beteiligte

Ein weiteres Kriterium der "Behutsamkeit" sind die Beteiligungsmöglichkeiten, die ein Stadterneuerungsprozess der Bewohnerschaft bietet. Auch die Dresdener Stadterneuerung war mit dem Anspruch angetreten, "mit den Bewohnern zu planen" und wollte sie "an der Erneuerung der Wohnungen und wohnungsnahen Einrichtungen beteiligen." Bereits diese Einschränkung von Beteiligungsmöglichkeiten verdeutlicht das reduzierte Partizipationsverständnis der Stadterneuerung: Vorgesehen ist eine Beteiligung nicht bei der Zielbestimmung und Rahmensetzung der Stadterneuerung, sondern lediglich bei der Ausführung einzelner Modernisierungsarbeiten. Die mit der Wende entstandenen Mietervereine und Stadtteilinitiativen standen deshalb von Beginn an in einer Konfrontation mit dem sich herausbildenden Sanierungsapparat. Insbesondere die "Interessengemeinschaft Äußere Neustadt" versuchte im Laufe der 1990er Jahre immer wieder, eine Beteiligung auch zu grundsätzlichen Fragen der Stadterneuerung durchzusetzen. Der Sanierungsarbeitskreis - ein öffentlich tagendes Gremium mit Vertreter/innen der zuständigen Ämter, Sanierungsträger und Bewohnerinitiativen - tagte in öffentlichen Sitzungen und bot die Bühne für kontroverse Debatten. Doch statt die engagierten Bewohnerinitiativen in den Planungsprozess stärker einzubeziehen, setzten sich die Verwaltungen mit ihrem Planungsverständnis durch. Einzelne Aktive wurden später als Mieterberater in den Sanierungsprozess hauptamtlich eingebunden. Die Beteiligungsverfahren selbst fanden nur noch zu konkreten Projekten und bei Wohnungsmodernisierungen statt. Mit der Erfahrung, dass immer wieder "heruntergekocht wird", verblasste die anfängliche Beteiligungseuphorie der Bewohnerinitiativen. Aus der Sicht der Verwaltung jedoch "hat das Interesse der Bürger nachgelassen", eine Ansicht, die vor allem funktionalen und rechtfertigenden Aspekten dient. Eine Mitarbeiterin der Abteilung Stadtentwicklungsplanung und Stadterneuerung erklärte ihr Verständnis gar folgendermaßen: "Beteiligung ist ein Kunststück, man muss die Sprache der Bewohner sprechen, um eigene Ziele durchzusetzen." Beteiligung ist demnach nicht mehr die Einflussnahme der Bewohnerschaft auf den Erneuerungsprozess, sondern ein Mittel, um die Ziele der Verwaltung durchzusetzen.

Abgesehen von den grundsätzlichen Einschränkungen kann das Beteiligungsversprechen auch für die Modernisierungsarbeiten kaum eingelöst werden. Insbesondere die hohe Fluktuation im Vorfeld von Modernisierungen behindert die Beteiligung der Bewohner/innen. Nach Einschätzung Kathrin Kirchners von der Abteilung Stadtentwicklungsplanung und Stadterneuerung kann "von Behutsamkeit jedoch angesichts der hohen Mobilität nicht wirklich die Rede sein. Saniert wird eigentlich nur dort, wo das Haus komplett leer ist."

Im Vergleich zur Berliner Situation wird auch in Dresden die Beteiligung im Wesentlichen auf die Modernisierungsarbeiten reduziert, nur dass sie in Dresden meist ohne Bewohner/innen stattfindet. Angesichts dieser ‚Beteiligung ohne Beteiligte' ist es kein Wunder, dass die städtischen Verwaltungen bisher "keine Probleme bezüglich der Beteiligung in den Sanierungsgebieten" feststellen konnten. Eine Schlussfolgerung aus der Dresdener Sanierungserfahrung für Berlin sollte darin bestehen, die formal starke Stellung der Mieter/innen bei geplanten Modernisierungen zu verbessern. Rein rechtlich ist keine Modernisierung ohne Zustimmung der Mieter/innen möglich. Gebunden an ein sanierungsrechtliches Verfahren kann das zur Quelle einer Beteiligung und Mitbestimmung werden. Denn mit der Verweigerungsdrohung haben Mieter/innen ein Drohpotenzial gegenüber den Eigentümern, mit dem sie Einfluss auf Gestaltungsfragen aber auch auf die Mietentwicklung nach der Modernisierung nehmen können. Gerade mit dem Wegfall der Mietobergrenzen müssen diese Potenziale durch Beratung und lokale Organisierungsprozesse unterstützt werden.

Was ist Gentrifizierung?

Gentrifizierung bzw. "Gentrification" - von engl. gentry = Oberschicht, (niederer) Adel - beschreibt den Prozess der ökonomischen und sozialen Aufwertung von städtischen, armen und häufig zuvor dem Verfall preisgegebenen Wohnquartieren. Die Aufwertung erfolgt durch Modernisierungen, Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen und dem damit verbundenen Zuzug Besserverdienender. Es werden so veränderte ökonomische und sozio-kulturelle Bedingungen geschaffen, die zur Abwanderung der alteingesessenen niedrigverdienenden Bewohnerschaft führen.

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