MieterEcho

MieterEcho 303 - April 2004

 Berlin

Zehn Jahre zins- und tilgungsfrei

Das Land Berlin subventioniert weiterhin die privaten Eigentümer des Neuen Kreuzberger Zentrums

Christoph Villinger

Seit einem Jahr ist das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ) am Kottbusser Tor in den Schlagzeilen. Zum einen, weil sich mit dem Kaufhaus Kreuzberg wohl eines der innovativsten Projekte in der Stadt um einen Teil der leerstehenden Gewerbeflächen bewirbt. Zum anderen, weil sich am NKZ wie in kaum einem anderen Gebäude der Stadt die Umverteilung der Gelder des so genannten Sozialen Wohnungsbaus und der Sozialhilfe in die Taschen der Besserbetuchten aufzeigen lässt. Doch trotz des Medienrummels in den vergangenen neun Monaten passiert von offizieller Seite wenig. Aber "hinter den Kulissen arbeite man an einer Lösung", heißt es verschwörerisch.

Doch real geschieht eher das Gegenteil. Die alten Strukturen im NKZ werden für weitere zehn Jahre verfestigt. Um die befürchtete Insolvenz der NKZ GmbH & Co KG im Dezember 2004 zu verhindern, beschloss der Bewilligungsausschuss für die Fördergelder des so genannten Sozialen Wohnungsbaus auf seiner Sitzung vom 02.04.2003 "eine Aussetzung der Bedienung des Aufwendungsdarlehens in Höhe von 25 Mio. Euro ab dem 01.12.2004 bis zum Jahr 2013".

Weder Zins noch Tilgung muss die private Kommanditgesellschaft in dieser Zeit bezahlen. Selbst wenn man nur einen Zinssatz von 4% unterstellt, bedeutet dies de facto eine jährliche Subventionierung von 1 Mio. Euro, von der fehlenden Tilgung ganz zu schweigen. Außerdem wurde einer "Quersubventionierung von Wohn- zu Gewerbeteil" zugestimmt. Und "Anhaltspunkte für eine nicht zweckentsprechende Verwendung" von früheren Fördermitteln kann der Bewilligungsausschuss nicht entdecken.

Dies sieht sogar der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses anders und beauftragte auf seiner Sitzung Mitte Januar einstimmig den Landesrechnungshof mit einer Prüfung. Nicht nur der Kreuzberger SPD-Abgeordnete Stefan Zackenfels fragt sich, wohin denn die ganzen Millionen an Fördermitteln aus dem Sozialen Wohnungsbau in den letzten 30 Jahren verschwunden sind.

Insolvenz oder weitere Subventionierung?

Fakt ist, dass die Schulden der privaten NKZ GmbH & Co KG heute höher sind als vor 30 Jahren. Mindestens 45 Mio. Euro schuldet sie der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB). Gleichzeitig wären bei einer Zwangsversteigerung des Komplexes im Augenblick kaum mehr als 10 Mio. Euro zu erzielen. Deshalb greifen die politisch Verantwortlichen beim Senat auf die gleiche Argumentation wie bei der Bankgesellschaft Berlin zurück: eine Insolvenz der NKZ GmbH & Co KG käme das Land teurer als eine weitere Subventionierung. Denn bekanntlich stirbt die Hoffung zuletzt und in zehn Jahren sieht alles ganz anders aus. Dies veranlasste eine Mieterin auf einer der vielen Mieterversammlungen zu einem Vergleich: sie gehe jetzt quer über die Straße zur Berliner Sparkasse und erkläre wortreich, dass sie einen Teil der Tilgungsraten des Kredits für ihr Auto in den letzten Jahren leider nicht bedienen konnte und überhaupt ihr schönes Auto verkaufen müsse, wenn nicht für zehn Jahre die Zinsen samt Tilgung ausgesetzt würden. Danach könne man ja weitersehen und bis spätestens 2064 schaffe sie es mit dem Abbezahlen des Kredits. Hoch und heilig versprochen.

Im Gegensatz zur Politik sind die Mieter/innen des NKZ recht aktiv. Nach einer Vollversammlung Mitte Januar wandten sie sich direkt an Finanzsenator Sarrazin (SPD) und forderten "Schluss mit der Subventionierung der Betreibergesellschaft", die letztlich auf einem Finanzierungsmodell beruhe, deren zentrales Ziel es sei, Steuern abzuschreiben. In Zukunft sollen "Fördergelder nur noch im Sinne der Bewohner/innen und der Gewerbemieter/innen Verwendung finden". Weiter fordern sie die "Ablösung der Eigentümergesellschaft" und dass diese endlich zur Rechenschaft gezogen werde. Und eine von den Bewohner/innen bestimmte Vertrauensperson soll in Zukunft "bei allen tagenden Gremien zur Zukunft des Komplexes dabei sein". Inwieweit diese Forderungen umgesetzt werden, darf man gespannt sein. Zumindest ein starkes Druckmittel hat der Mieterbeirat. Da die Betriebskostenabrechnung der Betreibergesellschaft für 2001 nicht stimmig ist, fordern sie das Sozialamt Friedrichshain-Kreuzberg auf, "keine ungeprüften und ungerechtfertigten Betriebskosten- und Mietzahlungen" mehr durchzuführen. Im Augenblick bezahlt das Sozialamt etwa 60% der Mieten, das Wohngeldamt bezuschusst ungefähr weitere 20%. "Die Streitigkeiten um die Betriebskostenabrechnung sind bekannt", sagt dazu ausweichend die Kreuzberger Sozialstadträtin Kerstin Bauer (PDS), aber sie prüfe zur Zeit mit Hilfe des Rechtsamts, was an Konsequenzen möglich wäre. Eine Überweisung der Mieten der Sozialhilfeempfänger auf ein Treuhandkonto hätte wahrscheinlich die sofortige Zahlungsunfähigkeit der Betreiber des NKZ zur Folge.

Kein Kaufhaus Kreuzberg in Sicht

Doch im Augenblick stehen weiterhin über ein Viertel der Gewerbeflächen leer und ein Mietvertrag für das Kaufhaus Kreuzberg ist in weite Ferne gerückt. Hätte das Kaufhaus Kreuzberg wie erhofft seit Sommer eröffnet, ständen heute schon 90.000 Euro mehr für Zins und Tilgung bereit. Trotz aller Appelle lokaler Politiker will die Betreibergesellschaft nicht an das Kaufhaus Kreuzberg vermieten. Zu groß ist die Angst vor der alternativen ökonomischen Perspektive für den Gebäudekomplex, die mit dem Kaufhaus Kreuzberg verbunden ist. Und die Berliner Politik, insbesondere die alte Westberliner SPD, hat Angst vor dem exemplarischen Charakter des NKZ, denn in der Stadt gibt es etwa hundert ähnlich gelagerte Fälle aus dem so genannten Sozialen Wohnungsbau des alten Westberlins.

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