Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 302   Januar 2004

Rübergeklappt.

Die 'Behutsame Stadterneuerung' im Berlin der 90er Jahre - ein Buch von Matthias Bernt

Andrej Holm

Über die Stadterneuerung in Berlin-Prenzlauer Berg ist kürzlich ein weiteres Buch erschienen. Ist da nicht schon längst alles gesagt und aufgeschrieben? Nein! Die vorliegende Publikation von Matthias Bernt, seines Zeichens nicht nur Politikwissenschaftler, sondern auch lange Jahre Autor im MieterEcho, schärft den Blick für das Geschehen hinter den Kulissen. Im Zentrum seiner Betrachtungen stehen weniger die Fördergelder und Mietpreise und auch nicht die baulichen und sozialen Effekte der Stadterneuerung, sondern die Akteure, die Macher, die Verantwortlichen. Mit der simplen und trockenen Frage der Politikwissenschaften: "Wer bestimmt eigentlich, was geschieht?", beschreibt der Autor die Etablierung eines Stadterneuerungsregimes in Ostberlin nach 1990.

"Rübergeklappt." - der Titel des Buchs ist zugleich die zentrale These - wurde dabei nicht nur das Modell der "Behutsamen Stadterneuerung" aus Westberlin, sondern auch gleich noch deren Personal. Konsequenterweise beginnt das Buch über die Stadterneuerung in Prenzlauer Berg denn auch mit einer Zeitreise in das Kreuzberg der 1980er Jahre. Ohne sich lange bei den Stadtteilgruppen und den Hausbesetzungen aufzuhalten, beschreibt Matthias Bernt die Gründung der Internationalen Bauausstellung (IBA) und die Erfindung der "Behutsamen Stadterneuerung". Das Kreuzberger Modell, ohne Abriss und möglichst zusammen mit der Bewohnerschaft zu sanieren, war damals ein politischer Kompromiss zwischen der alten Verwaltung, dem politischen Filz der Stadt und einer Gruppe von jungen, aufstrebenden und alternativen Planer/innen, Soziolog/innen und Sozialarbeiter/innen, die es verstanden den Bewegungsaufbruch als Rückenwind der eigenen Interessen zu nutzen. In der "Generation IBA" - so der Autor "verschmolzen Karriereinteressen, politische Identität und Habitus zu einer festen Verbindung" und verfestigten sich zu einem Netzwerk, das auch für die weitere Karriere förderlich sein sollte.

Denn mit dem Ende der DDR und dem Beitritt eröffnete sich 1990 für die behutsamen Sanierer ein neues riesiges Betätigungsfeld: die Altbauviertel von Ostberlin. Über 180.000 sanierungsbedürftige Wohnungen übertrafen die bisherigen Modellsanierungen in Kreuzberg bei weitem: Nicht nur eine neue Herausforderung, sondern vor allem ein riesiger Karrierekuchen. Im vorliegenden Buch wird detailliert beschrieben, wie die "Landung im Osten" organisiert wurde: Die Eintrittskarte war zunächst eine außerplanmäßige öffentliche Förderung (das so genannte 25-Millionen-Programm), mit deren Abwicklung die bereits aus Westberlin bekannten Stadterneuerungsgesellschaften beauftragt wurden. Etwa zur gleichen Zeit wurden von der Senatsverwaltung die erste Pläne für eine künftige Stadterneuerungspolitik bekannt, die sich an knapper werdenden Finanzen orientierten, den Eigentümer/innen ein stärkeres Gewicht beimessen wollten und die sozialen Ansprüche der Stadterneuerung zurückschraubten. Verpackt in die Rhetorik der "Behutsamen Stadterneuerung" vollzog sich zu Beginn der 1990er Jahre eine drastische Wende der Sanierungspolitik.

Am Beispiel der Neugestaltung der Förderrichtlinien und an der Diskussion über die Mietobergrenzen zeigt der Autor, wie sich trotz drastischer Mittelkürzungen und der weitgehenden Aufgabe sozialer Prinzipien die Mehrzahl der Stadterneuerungsakteure immer wieder auf ein gemeinsames Vorgehen einigten. Dabei wird der Fortbestand der Stadterneuerung selbst wichtiger als ihre Effekte. Nur so sei es zu erklären, dass vormals aufgeklärte Expert/innen und Aktivist/innen die Transformation der Stadterneuerung "von einem sozialstaatlichen in ein postfordistisches Sanierungsprogramm" mit trugen. "Behutsamkeit" - so das zynische Fazit der Studie - ist in Ostberlin nicht mehr der Kern eines Stadterneuerungsprojekts, sondern die Politikform zwischen den Verwaltungen und öffentlich beauftragten Sanierungs- und Beratungsfirmen. Im Duktus des Politikwissenschaftlers wird das Ganze als "Zusammenarbeit staatlicher und parastaatlicher Akteure" gedeutet, die sich "in der Berliner Stadterneuerung zu einem Amalgam verdichtet, das Konturen eines ,Regimes’ aufweist". Letztendlich heißt das, denen, die an der Stadterneuerung verdienen, ist die eigene Karriere näher als eine sozialverträgliche Sanierung und Entscheidungen über die Stadterneuerung werden fernab der öffentlichen und politischen Diskussion im Kreise der professionell Beteiligten getroffen.

Das etwas überraschende Fazit des Buchs ist zwiespältig und rechnet die durch die Sanierung in Ostberlin ausgelösten Verdrängungstendenzen gegen den Umstand auf, dass es die "Berliner Stadterneuerung geschafft hat, sozialstaatliche Zielsetzungen überhaupt beizubehalten". Bemerkenswert dabei sei "die Fähigkeit der (...) involvierten Akteure, grundlegende Veränderungen der Sanierungspolitik mit einem hohen Niveau an Konsens und politischer Stabilität" durchgesetzt zu haben. Damit verliert sich am Ende die politische Spur der Studie etwas im politikwissenschaftlichen Labyrinth der Regimeforschung. Die politisch entscheidende Frage, ob die spezifische Art der Organisation der Stadterneuerung letztlich der Grund für das Verschwinden des Sozialen aus der Stadterneuerung ist, bleibt unbeantwortet. Allen jedoch, die wissen wollen, wie es hinter den Kulissen der Stadterneuerung aussieht und wer die typischen Macher sind, sei das Buch ans Herz gelegt.

Matthias Bernt: "Rübergeklappt. Die 'Behutsame Stadterneuerung’ im Berlin der 90er Jahre", Berlin 2003, Schelzky & Jeep, 300 Seiten, 19,80 Euro