Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 302   Januar 2004

"Das Ohr, das Auge und die Faust des Chefs"

Durch den Walde-Kiez in Kreuzberg rauscht eine riesige Privatisierungswelle

Christoph Villinger

"Seid ihr schon verkauft?" - "Nein, zum Glück noch nicht, aber bei uns gehen öfters potenzielle Käufer zur Besichtigung durchs Haus." - "Und ihr, seid ihr schon verkauft?", wird die Nächste gefragt. Die Stimmung im Raum ist geladen, etwa dreißig Menschen aus dem Kiez rund um die Waldemarstraße in Kreuzberg sind gekommen. Alle reden wild durcheinander und berichten von ihren Erfahrungen und Erlebnissen mit den neuen privaten Hausbesitzern.

Am Ende des Abends gründen sie die "Betroffenen-Gemeinschaft Walde-Kiez". Seit etwa einem Jahr rauscht eine Privatisierungswelle durch den Stadtteil. Besonders hart hat es die Bewohner/innen der Waldemarstraße 42 getroffen. Zum 01.05.2003 verkaufte die städtische Wohnungsbaugesellschaft bewoge das Haus an die "GbR Engelfried, Merkel & Schienbein" in München. Von den Dreien, die in anderer Konstellation auch noch ein weiteres Haus in der Nachbarschaft gekauft haben sollen, fühlt sich besonders der knapp über 30-jährige Andreas Merkel für die Waldemarstraße 42 zuständig. Die Mieter/innen, die aus Angst vor Repressalien durch den Hausbesitzer ihre Namen nicht in der Zeitung geschrieben sehen wollen, berichten von einem anfangs netten Auftreten des neuen Eigentümers. Doch schnell wendete sich für sie die Situation. Anfang Juni zog ein Herr N. als "Bauleiter" in eine freie Wohnung und seitdem ist es für die Mieter/innen mit dem Hausfrieden vorbei. "Mit Vorliebe arbeitet Herr N. am Abend und am Samstag mit der Kreissäge", berichtet eine Mieterin. Beschwerden halfen bisher nichts. Andere fühlen sich von ihm "bespitzelt, verleumdet und eingeschüchtert", so biete er z. B. dem Postboten an, bei der Verteilung der Post zu helfen. Er sei "das Ohr, das Auge und die Faust seines Chefs", soll er einmal laut einer Mieterin gesagt haben. In dem seit Jahren von den Mieter/innen gepflegten Garten im Hof sägte er mehrere junge Bäume um. Nachbarn klagen darüber, das Herr N. von einem kleinen, von ihm errichteten Baugerüst aus mit Scheinwerfern in ihre Wohnungen leuchte. Die Mieter/innen haben das Gefühl, dass Herr N. "als Rausschmeißer" die Mieter/innen zum Auszug bewegen soll. "Seit Mai sind fünf Mietparteien und ein Gewerbe gekündigt worden oder haben ,freiwillig’ das Haus verlassen", berichtet eine Mieter/in. Bei dem Gewerbe handelt es sich um den seit über 20 Jahren in diesem Gebäude ansässigen Fahrradladen Radlust, dem "fristgerecht" Ende Juli zum 31.01.2004 gekündigt wurde. Die restlichen Mieter/innen befürchten, dass auch sie zum Auszug bewegt werden sollen, damit das Haus leer und ohne Mieterrechte modernisiert und dann teuer als Eigentumswohnungen weiterverkauft werden kann.

Von einem solchen 'Schicksal' berichten auch Mieter/innen vom nahegelegenen Leuschner- damm. Dort bietet die Zeus Grundbesitz GmbH in ebenfalls vor kurzem aus dem Bestand der bewoge erworbenen Häusern eine Drei-Zimmer-Wohnung im "klassischen Stuckaltbau" für 118.000 Euro als Eigentumswohnung an. Auch im Haus "mit dem schönsten Stuck in Kreuzberg" am Erkelenzdamm offeriert die Zeus GmbH eine Eigentumswohnung.

"Einklang mit Recht und Gesetz"

Fragt man Andreas Merkel, einen der Besitzer der Waldemarstraße 42, ob er ebenfalls eine Umwandlung der Wohnungen in Eigentumswohnungen beabsichtige, verweist er auf die "Privatsphäre des Eigentümers". Da ihm der für das MieterEcho recherchierende Journalist auch nicht erzähle, was er mit seinem Auto vorhabe, sehe er auch keinen Anlass, ihm von seinen Plänen zu erzählen. Die Vorwürfe gegen seinen Mitarbeiter Herr N. bezeichnet er als "Lügen" und droht sofort mit gerichtlichen Schritten wegen Verleumdung. Baulärm zu ungewöhnlichen Stunden sieht er eher als "Gefahren des Alltagslebens". Schnell dreht sich das Gespräch auf einer grundsätzlichen Ebene um den Begriff des Eigentums. Die Mieter führen sich wie Eigentümer auf, sagt Merkel, dabei "ist das nun mal unser Eigentum". Immer wieder betont er, dass "alle Maßnahmen, die wir ausführen, zu 100% in Einklang mit Recht und Gesetz sind". Da stellt sich allerdings die Frage, ob dies auch für die im Kaufvertrag festgehaltenen Regeln gilt. Dort heißt es zum Beispiel: "Der Käufer verpflichtet sich (...) für bestehende Mietverhältnisse auf Modernisierungsmaßnahmen zu verzichten, die zu einem höheren Mietzins als die ortsübliche Vergleichsmiete (Mittelwert Mietspiegel) führen, sofern die Mieterzustimmung nicht vorliegt". Daher komme vielleicht das Interesse an einer "freiwilligen" Beendigung der bestehenden (!) Mietverhältnisse durch die neuen Hauseigentümer, vermutet eine Mieterin aus einem der Nachbarhäuser.

"In das kalte Wasser des Neoliberalismus"

Hintergrund der Privatisierungswelle im Walde-Kiez ist die Aufhebung des Sanierungsgebiets rund um das Kottbusser Tor im Jahr 2002. Spätestens seit diesem Zeitpunkt fordert der Senat von der bewoge, der bis vor wenigen Jahren knapp hundert Häuser nördlich des Kottbusser Tors gehörten, diese zu verkaufen. Grundsätzlich habe die bewoge die Häuser seit Mitte der 1970er Jahre nur faktisch treuhänderisch für das Land Berlin verwaltet, heißt es von dort. Das Geld aus den Verkäufen gehe auch weitgehend ans Land Berlin.

Für die überwiegend der GSW gehörenden Häuser südlich des Kottbusser Tors hört man wiederholt von Gesprächen mit einem US-amerikanischen Investmentfonds, der sich für insgesamt 10.000 Wohnungen interessiert. Nach Informationen des MieterEchos soll es sich dabei um den texanische Lone Star Funds handeln, der bereits Tausende von Plattenbauwohnungen in Hellersdorf besitzt. Für die Mieter/innen bedeutet dies, wie ein Mieter aus der Oranienstraße formuliert, "aus der fürsorglichen Belagerung der Sozialdemokratie entlassen und in das kalte Wasser des Neoliberalismus hineingeworfen zu werden".

Die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften sind gehalten, den Verkauf der Wohnungen möglichst sozialverträglich zu gestalten. Vor dem Verkauf auf dem freien Markt erhalten alle Mieter/innen ein Schreiben, in dem ihnen drei Monate lang das Haus zum Kauf angeboten wird. In der Waldemarstraße 42 betrug diese Frist jedoch nur 14 Tage, berichtet eine Mieterin. Zudem liegt ein Kauf meist außerhalb der wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten der Mieter/innen in dem Kiez mit einer Arbeitslosenrate von etwa 30%. So landet das Schreiben in über 90% der Fälle im Papierkorb. Abgesehen davon, dass sie dies vielleicht auch gar nicht wollen. Und Pläne aus den 1980er Jahren wie die Überführung der öffentlichen Mietshäuser in ein "Kommunales Sondervermögen" scheinen angesichts der vom Senat behaupteten Haushaltslage völlig indiskutabel. Der Senat verkauft alles, was nicht niet- und nagelfest ist.

So gibt es auch keinerlei soziales Begleitprogramm vom Bezirk oder vom Senat zu dieser Privatisierungswelle. Mieter/innen aus der Oranienstraße berichten von einer haarsträubenden Beratung im bezirklich finanzierten Mieterladen. Sie sollen doch eine GbR gründen, und die vielen Steuerabschreibungsmöglichkeiten bedenken, als wären alle Bewohner/innen der Oranienstraße gut verdienende Ärzte, Architekten und Lehrer. Auch der Mieterberater Christian Röttele bestätigt, dass es "keinerlei Konzepte und keine statistischen Erhebungen darüber gibt, wie viele der Mieter/innen ihre Häuser kaufen". Vor allem die noch nicht abschließend sanierten Häuser würden verkauft, bestätigt Röttle. "Sie sind billig und mit ihnen lässt sich relativ schnell eine hohe Wertsteigerung erzielen", aber das Privatkapital mache dies gewiss nicht im Interesse der Mieter/innen. Allerdings kann er auch von einigen Häusern berichten, in denen die Bewohner/innen in unterschiedlichen Rechtsformen ihr Haus gekauft haben. Ein Mieter aus der Waldemarstraße erzählt auch von "ein, zwei Häusern", die türkische Familien gekauft haben und so wenigstens aus dem Kiez heraus gekauft wurden. Doch was ist nun die Regel und was die Ausnahme?

Mieter/innen werden aktiv

Überraschenderweise wird auf dem Gründungstreffen der "Betroffenen-Gemeinschaft Walde-Kiez" eine Mieterberatung aus Friedrichshain als heißer Tipp gehandelt. Denn dort hat man seit Jahren Erfahrungen mit der Modernisierung durch Privatkapital, während der "eigentlich zuständige Mieterladen" in der Dresdener Straße in den letzten Jahren im Auftrag des Bezirksamts das Sozialplanverfahren im Sanierungsgebiet durchführte. Doch auch hier wird man sich den neuen Realitäten stellen müssen. Innerhalb weniger Tage stellten die Mieter/innen eine Liste aller in den letzten Monaten verkauften oder zum Verkauf stehenden Häuser in der Waldemarstraße, am Leuschner- und Legiendamm, in der Naunyn- und der Adalbertstraße zusammen. Sie kamen auf über 80 Objekte, die Hälfte wird zur Zeit zum Verkauf auf dem freien Markt angeboten. Diese Zahlen bestätigt im Wesentlichen auch die Pressesprecherin der bewoge, Steffi Pianka. "Von den knapp 100 Häusern der bewoge sind inzwischen über 50 privatisiert, zum überwiegenden Teil verkaufte die bewoge an die Mieter/innen, Selbstnutzer, ansässige ausländische Mitbürger oder Kiezbewohner". Was mit den restlichen knapp 40 Häusern passieren soll, sei noch unklar, "die "Priorität für die bewoge liegt darauf, ,unsanierte’ Objekte zu verkaufen", so Pianka.

Ebenfalls lernten die Mieter/innen schnell, Vorfälle und Ereignisse genau zu dokumentieren, mit Uhrzeit und Datum. So stellte sich für die Mieter/innen der Waldemarstraße 42 heraus, dass obwohl die Polizei schon mehrmals wegen Herr N. im Hof war, dies ohne formal gestellte Anzeige nicht dokumentiert wird. Und so die Polizeipressestelle wahrscheinlich sachlich richtig auf Nachfrage des MieterEchos nur antworten kann, dass "nach unseren Unterlagen es nur einen Einsatz am 20.11.03 wegen Lärms zur Nachtzeit gegen Herr N. gab". Als am 02.12.2003 Herr N. erneut im Hof Mieter/innen bedrohte, stellten gleich drei Personen Strafanzeige. An diesem Tag hatten selbst vier Polizisten Mühe, den völlig außer sich geratenen Herrn N. zu bändigen. Schließlich verfrachteten sie ihn in Handschellen in einen Polizeibus, wie ein Mieter berichtete.

Trotzdem bleibt das Problem, dass der Widerstand gegen die Privatisierung erst in die Gänge kam, als es bereits zu spät war. Zu viele Kaufverträge mit privaten Investoren sind bereits unterzeichnet. Was könnte die Perspektive des Protests sein? Kann man mehr fordern, als dass sich private Investoren einigermaßen korrekt verhalten? Zwar hörte sich der bündnisgrüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, die Beschwerden und Klagen der Bewohner/innen des Walde-Kiezes interessiert an. Doch um den Senat zu zwingen, den Verkauf des öffentlichen Eigentums an private Investoren einzustellen, bedarf es noch einiges an politischem Druck. Etwas verzweifelt meinte einer der Mieter der Waldemarstraße 42, "es muss doch eine Möglichkeit zwischen Flüchten und Abhauen oder selber kaufen geben, mit der man einfach leben kann."