Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 302   Januar 2004

Rückbau Ost in Berlin

Neue Chancen für die Platte

Peter Nowak

Die Metropole Berlin wird gerne mit Wachstum, Innovation und Moderne assoziiert. Das in wenigen Jahren aus dem Boden gestampfte moderne Ambiente des Potsdamer Platzes oder die noch im Entstehen begriffene Spree-City tragen viel zu diesem Eindruck bei. Schließlich sind es diese Teile der Stadt, die immer wieder als das Gesicht des modernen Berlins vorgeführt werden - in Werbebroschüren ebenso wie in Filmen und auf Plakaten.

Doch nur wenige Kilometer von diesen Zentren der Moderne entfernt, gibt es ein anderes Berlin. Fast leerstehende Wohnblocks mit leeren Fensterhöhlen, noch nicht mal 20 Jahre alte Wohnsiedlungen, die schon wieder dem Verfall preisgegeben werden. Solche Bilder findet man in den Ostbezirken Berlins immer häufiger. In der Stadtsoziologie wurde für dieses Phänomen der Begriff der schrumpfenden Stadt geprägt. Kritiker sprechen drastischer von sterbenden Städten.

Wie in Ostdeutschland ...

In vielen ostdeutschen Städten zeigt sich, dass es sich dabei nicht etwa um eine Übertreibung handelt. Halle-Neustadt und Hoyerswerda gehören zu den Orten, die auf diesem Gebiet an der Spitze stehen. Die einstige DDR-Musterstadt Hoyerswerda ist davon besonders betroffen, wie schon ein kurzer Spaziergang dort zeigt. Wo einst bewohnte Häuserzeilen zumindest für Ansätze von urbanen Leben sorgten, bestimmen nun große Brachen das Straßenbild. Die erst vor wenigen Jahren nach Hoyerswerda gezogene Architektin Dorit Baumeister kennt die fatalen Folgen einer stadtpolitischen Abwärtsspirale. "Das gesamte soziale Gefüge einer Stadt gerät ins Wanken. Die jüngeren Leute ziehen weg. Die Steuereinnahmen gehen zurück. Soziale Einrichtungen müssen schließen und bei den Übriggebliebenen breitet sich ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Lethargie aus." Baumeister kennt auch die Politik der Verdrängung aus eigenem Erleben: "Die Stadtpolitiker wollen die Folgen dieser Politik oft nicht wahrhaben. Das ist in Hoyerswerda nicht anders als in Halle oder Berlin."

... so auch in Ostberlin

Lange wiegten sich die Hauptstadtpolitiker in der Hoffnung, dass Berlin von dem Phänomen der schrumpfenden Stadt verschont bleibt. "Erhalten statt Abriss", hieß die Devise von Berlins Bausenator Peter Strieder. Die Siedlungen sollten mit baulichen Maßnahmen so attraktiv gemacht werden, dass die Menschen dort wohnen bleiben. Dieses Vorhaben ist weitgehend gescheitert. Der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann konstatierte schon vor Jahren, dass auch aus Ostberlins Plattenbausiedlungen die finanziell besser gestellten Bewohner ins Umland oder in die Innenstadt ziehen und die älteren oder sozial schwachen Menschen zurückbleiben.

In Marzahn-Hellersdorf, der mit 100.000 Wohnungen größten Plattenbausiedlung Europas, stehen über 10.000 Wohnungen leer. Auch dort wird jetzt auf "Rückbau" gesetzt, wie der Abriss in der Behördensprache heißt.

Rund 1700 Wohnungen in Marzahn-Nord sollen der Abrissbirne zum Opfer fallen. Im November 2002 wurde mit dem Abriss eines Doppelhochhauses in der Marchwitzastraße die "Entsorgung Ost" eingeleitet. Stadtsoziologen kritisieren inzwischen, dass Berlin schlechter auf die Schrumpfung vorbereitet ist als andere ostdeutsche Städte.

"Im Unterschied etwa zu Cottbus-Sachsendorf-Malchow, wo in einem Modellversuch die abgetragenen Plattensegmente der oberen Hochhausgeschosse ,nachhaltig‘ zur Errichtung von neuen, kleinteiligeren Wohngebäuden verwandt werden, oder Halle/Leipzig fällt die Fantasiebilanz der Hauptstadt (siehe Planwerk für reiche Urbaniten) mager aus, dem Gros der umzugswilligen Plattenbaubewohner die Stadt auch zukünftig schmackhaft zu machen", schrieb der taz-Redakteur Rolf Lautenschläger schon im letzten Jahr.

Die Betroffenen melden sich zu Wort

Mittlerweile gibt es auch Proteste an einer brachialen Abrisspolitik. So forderten im November 2003 im Rahmen der Vortragsreihe "Stadtumbau als Impuls für die Berliner Großsiedlungen" Bewohner/innen von Marzahn und Hellersdorf eine neue Chance für die Platte.

Auch Gruppen, die sich kritisch mit der Stadtpolitik auseinandersetzen, beginnen sich zögerlich mit dem Phänomen schrumpfende Stadt zu befassen. Im Sommer 2002 nutzte eine Künstlergruppe die zwei mittlerweile abgerissenen Doppelhochhäuser in der Marchwitzastraße für ihre Kulturprojekte. Die Kooperation mit den Bewohnern in der Nachbarschaft war bei ihnen eher zweitrangig.

Ganz anders sind die Initiator/innen des Kunstprojekts Superumbau im Spätsommer 2003 in Hoyerswerda vorgegangen. In Filmen und Interviews sind die Bewohner/innen des Stadtteils zu Wort gekommen. "Die Leute sollten über ihre Vergangenheit reden, um auch ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Die schrumpfenden Städte könnte so statt zur Lethargie auch zur Eigeninitiative anregen und so die Abwärtsspirale bremsen", hoffen die Organisator/innen. Viele Referent/innen, die vom Projekt Superumbau nach Hoyerswerda eingeladen waren, hatten ihren Wohnsitz in Berlin. Da müsste es doch möglich sein, die Thematik der schrumpfenden Stadt auch in Berlin aus dem theoretischen Umfeld von Ausstellungen und Veranstaltungsreihen rauszuholen und die Menschen im Alltag damit konfrontieren.