Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 302   Januar 2004

Rostocker Stadterneuerung

Sanierung ohne Mietenpolitik

Andrej Holm

Die Hansestadt Rostock hat einen sehr kleinen und überschaubaren Bestand einer historischen Bausubstanz. Der überwiegende Teil der Wohnungen in der Stadt wurde mit der Industrialisierung zu DDR-Zeiten in Großsiedlungen errichtet. In der Altstadt wohnten vor allem damals jene, die keine Zuweisung für eine Neubauwohnung erhielten: Alte, Ausreisewillige, Knastentlassene - die Kröpeliner Tor-Vorstadt galt noch in den 1980er Jahren als gefährliches 'Nachtjackenviertel'.

Nach 1990 wurde die zentral gelegene Altstadt von Rostock zu einem herausragenden Thema für die Lokalpolitik und hat zugleich das Interesse der Immobilienwirtschaft angezogen. Hier sollte die Hansestadt nicht nur ein neues Gesicht bekommen, sondern hier sollten auch exklusive Wohn- und Geschäftslagen entstehen.

Die traditionelle Bewohnerschaft stand diesen Umbauplänen im Wege und war zugleich außer Stande, sich lokalpolitisches Gewicht zu verschaffen. Städtischer Protest konzentrierte sich zu Beginn der 1990er Jahre auf vereinzelte Hausbesetzungen und ein unabhängiges Jugendzentrum.

Die Konsequenz dieser Konstellation (die Stadt will die Innenstadt herausputzen - es gibt keine organisierten Nachbarschaftsstrukturen) war die Festlegung von einem Sanierungsgebiet im zentralen Innenstadtbereich, jedoch nicht in den angrenzenden gründerzeitlich bebauten Wohnquartieren. Mit dieser Entscheidung war von Beginn an klar, dass Sanierungssatzungen als Instrument einer Stadtentwicklungspolitik angesehen wurden und nicht zum Schutz der Bewohnerschaft vor steigenden Mieten und Verdrängungen eingesetzt werden sollten.

Das Sanierungsgebiet "Stadtzentrum Rostock" mit insgesamt ca. 10.000 Einwohner/ -innen und knapp 1500 Gebäuden umfasst fünf Teilbereiche, von denen drei mit überwiegendem oder teilweisen Gründerzeitbestand mit den Berliner Sanierungsgebieten vergleichbar sind. Die Einwohner/innenzahl in diesen Bereichen betrug im Jahr 2000 etwa 6000. Nach deutlichen Bevölkerungsverlusten in den ersten Jahren nach der Wende konnte die Rostocker Innenstadt als einziger Stadtraum inzwischen leichte Bevölkerungsgewinne verzeichnen. Nur knapp ein Viertel der Wohnbestände sind noch nicht saniert.

Sanierung zur Steuerung der Stadtentwicklung

Der Anteil von über 10% Neubauten in den Gebieten verweist auf die starke Orientierung an einer Stadtentwicklungspolitik. In den Zielformulierungen des Sanierungsträgers heißt es entsprechend: "Das Sanierungsziel zum Wohnen ist der Erhalt, die Stabilisierung und qualitative Verbesserung des Wohnens als ein wesentlicher belebender Standortfaktor der Innenstadt". Wohnen als Standortfaktor: Das Rostocker Sanierungsziel ist - anders als in Berlin - nicht der Erhalt der sozialen Zusammensetzung in den Nachbarschaften der Altbauviertel, sondern die Förderung der Innenstadtfunktion.

Die Stadterneuerung selbst wird wie auch in Berlin von den lokalen Bauämtern und einem öffentlich beauftragten Sanierungsträger RGS (Rostocker Gesellschaft für Stadterneuerung, Stadtentwicklung und Wohnungsbau mbH) organisiert. Den Ämtern kommen dabei alle hoheitlichen Aufgaben wie Genehmigungen und Versagungen zu, die der Sanierungsträger mit so genannten Fachbeurteilungen vorbereitet. In Streitfällen werden Erörterungstermine mit den Eigentümer/innen angesetzt, um die Investitionspläne den Interessen der öffentlichen Hand anzunähern. Da sich die Stadterneuerungspolitik vor allem auf städtebauliche Aspekte konzentriert und keine Auflagen an die Nutzungsgestaltung und die Miethöhen gestellt werden, gibt es eigentlich kein Konfliktpotenzial. Die Mitarbeiter/innen der RGS und auch des Bauamts beschreiben ihre Arbeitsabläufe als routinehaft - nicht einmal in 10% aller Anträge sei eine Erörterung mit den Antragsteller/innen nötig.

Soziale Zielstellungen fehlen

Ein Schwerpunkt der Arbeit der Stadterneuerungsgesellschaft ist die Verteilung von Fördermittel in den Sanierungsgebietsbeständen. Mit etwa 40% geförderter Modernisierungen bewegt sich die Quote etwa auf Berliner Niveau. Doch die Programme in Mecklenburg-Vorpommern sehen keinerlei Bindungen der Miete oder der Belegungsrechte vor. Öffentliche Gelder werden in einer "Kombiförderung" aus Städtebaumitteln des Bundes und Landesmitteln ausschließlich zur Sanierung der "äußeren Hülle" (Fenster, Dächer und Fassaden) verwendet. Damit werden die Eigentümer/innen von den unrentierlichen Kosten einer Baumaßnahme entlastet, da diese oftmals teuren Maßnahmen nicht oder nur eingeschränkt auf die Miete umgeschlagen werden können. Das Selbstverständnis des Sanierungsträgers ist dabei ein rein städtebauliches: "Unsere Zuständigkeit beschränkt sich auf die baulichen Belange der Erneuerung. Was in den Wohnungen geschieht, interessiert uns nicht."

Soziale Zielstellungen oder Fragen der Verdrängung durch die Sanierung spielen in der Rostocker Sanierungsdiskussion nur eine marginale Rolle. Auf die Frage, ob es denn in Rostock so etwas wie eine Mietenpolitik gebe, antwortete ein Mitarbeiter des Sanierungsträgers: "Eine Mietenpolitik im Sanierungsgebiet braucht es hier nicht. Es gibt keine Akzeptanzkrise für dieses Wohnungsmarktsegment. Der Leerstand konzentriert sich ja eher in anderen Beständen." In der Logik der Stadtentwicklung werden Mietregulierungen nicht mit sozialen Aspekten begründet sondern mit der Angst vor den negativen Folgen von zuviel Leerstand in bestimmten Bereichen der Stadt. In den attraktiven Lagen der Rostocker Innenstadt gibt es eine enorme Wohnungsnachfrage. Entsprechend drastisch sind die Mietentwicklungen in den Altbaugebieten. Mit Nettokaltmieten von 5,69 bis 5,75 Euro/qm sind die Mietspiegelwerte für die Rostocker Innenstadt höher als in allen anderen ostdeutschen Städten und gut einen Euro teurer als eine durchschnittlich sanierte Wohnung in Berlin. Auf Grund der hohen Erneuerungsquote wurden die unteren Standardkategorien (ohne Bad bzw. ohne modernes Heizungssystem) aus dem Mietspiegel gestrichen. Der Effekt ist gestiegener Preisdruck auf die noch unsanierten Bestände.

Deutliche Aufwertungstendenzen sichtbar

Auch die partizipativen Ansprüche der Stadterneuerung sind in Rostock nicht sonderlich ausgeprägt. Das Mitbestimmungsverständnis der Stadterneuerung orientiert sich vor allem auf eine "legislative Beteiligung". Das bedeutet, alle Rahmenpläne und auch die Präzisierung der Sanierungsziele werden von der Bürgerschaft oder ihren Ausschüssen bestätigt und erst dann wirksam. Eine direkte Beteiligungsmöglichkeit für die betroffene Bewohnerschaft gibt es über den Sanierungsbeirat. Dieser ist ein öffentlich tagendes "Informations- und Diskussionsgremium" ohne Satzung und ohne festgeschriebene Kompetenzen. Bisher seien alle Vorschläge und Empfehlungen des Sanierungsbeirats von den Verwaltungen sehr ernst genommen worden. "Da wird sich nicht drüber hinweggesetzt", sagt Leo Dainat (RGS). Das fiel bisher auch nicht schwer, denn "richtige Streitfälle haben wir hier nicht". Aus Sicht der Stadtplaner/innen beim Sanierungsträger ist der Sanierungsbeirat weniger ein Mitbestimmungsgremium als vielmehr eine stadtteilnahe Planungsressource: "Da werden manchmal Vorschläge entwickelt, auf die die Verwaltungen nie gekommen wären. Die Leute haben eben einfach eine enorme Ortskenntnis."

Obwohl auch die Stadterneuerung in Rostock finanziell und personell in den 1990er Jahren gut ausgestattet war, sind die sozialen Konsequenzen drastisch. Ohne Mietregulierungen und beratende Unterstützung für die Bewohner/innen haben sich im Rostocker Sanierungsgebiet deutliche Aufwertungstendenzen verfestigt. Das Sanierungsziel der städtebaulichen Stärkung der Innenstadtfunktionen wurde über die sozialen Ziele einer behutsamen Stadterneuerung gesetzt. Sanierungsrecht wird nicht zur Wohnungspolitik genutzt und auch die Beteiligungsspielräume für die Bewohnerschaft sind deutlich geringer als in Berlin.

Mit Blick auf die Berliner Stadterneuerungspolitik sollte an den sozialen Orientierungen der Stadterneuerung festgehalten werden. Mit der Einstellung der Förderprogramme, den rechtlich umstrittenen Mietobergrenzen und einer zunehmenden Orientierung an quartierlichen Strategien ist die Berliner Stadterneuerung dabei, ihr soziales Potenzial zu verspielen. Von Rostock zu lernen hieße, genau das zu verhindern.