Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 301   Dezember 2003

Wach bevor der Wecker klingelt

Kann es "gute Wohnlagen" in Wohn-Gewerbe-Mischgebieten geben?

Karoline Drews

Aufmerksam geworden durch eine Zeitungsannonce, besichtigten wir Anfang April 2000 eine Wohnung an einem schönen, sonnigen und vor allem ruhigen Samstag.

Die Wohnung in der Ahornstraße gefiel uns, aber Lärmbelastungen wollten wir ausschließen. In der Nähe befand sich eine Jugenddisco. Diese mache - laut Aussage des Maklers und des Vormieters - gegen 22 Uhr zu und sei danach ruhig. Auch gäbe es dort nur am Wochenende Veranstaltungen. Sehr gut, dachten wir. Mit einer Jugenddisco am Wochenende kann man leben.

Gegenüber der Wohnung war eine Bäckerei. Ein Problem ihrethalben wollte uns nicht einfallen. Viel mehr Sorgen hingegen machte uns der Bauhof zwei Grundstücke weiter, denn Lieferverkehr mit lautem Be- und Entladen hielten wir für möglich.

Also sahen wir uns den Berliner Mietspiegel an: Direkt um die Ecke liegt die Schildhornstraße, starker Verkehr und laut. Auf der anderen Seite befindet sich die Zimmermannstraße, eine Sackgasse, sehr ruhig. Die Ahornstraße selbst wird wie die Zimmermannstraße und alle anderen verkehrsberuhigten Straßen in der Gegend als gute Wohnlage angesehen. Es finden sich keine Anmerkungen über Lärmbelästigungen oder dergleichen.

So zogen wir im Mai 2000 in die Hochparterrewohnung mit Vorgarten in der Ahornstraße, 12163 Berlin-Steglitz ein.

Mehr und mehr Dezibel im Schlafzimmer

Kurz nachdem wir einzogen waren, baute man an der Schlossstraße ein Einkaufszentrum und richtete eine Parkraumbewirtschaftungszone ein. Das war zwar ärgerlich, aber nicht wirklich schlimm. Man musste wohl damit rechnen, wenn man nahe einer Einkaufszone lebt.

Noch anderthalb Jahre lang war alles ruhig, bis auf ein paar LKWs am Tage, die die Ahornstraße als Durchfahrtsstraße nutzten. Tempo 30 wurde immerhin manchmal dabei eingehalten.

Dann wurde das Jugendschutzgesetz geändert. Um 22 Uhr war also nicht mehr Schluss in der Jugenddisco. Statt dessen peilte man eher 2 bis 3 Uhr in der Nacht, manchmal auch 7 Uhr früh an und schickte die Jugendlichen auch gerne mal betrunken nach Hause, was mit lautstarkem Singen und Grölen verbunden war. Also begannen wir die Polizei zu rufen und man sagte uns, dass diese Jugenddisco sehr gut bekannt sei. Seit Jahren schon gäbe es immer wieder Prügeleien und Beschwerden. Wie war das? Ruhige Wohngegend und keine Probleme?

Was wir ebenfalls feststellen mussten: Die Bäckerei bekommt mehrmals in der Woche Mehl, Milch und was sonst so geliefert wird. Das dadurch auftauchende Problem war: Man versteht sein eigenes Wort nicht mehr, wenn eine Mehlpumpe mit ohrenbetäubendem Krach, manchmal morgens um kurz nach 7 Uhr, in 20 m Entfernung loslegt.

Die Müllabfuhr kommt jeden Tag, manchmal auch mehrmals täglich. Gut, der Müll muss ja weg, aber warum jeden Tag und um 7 Uhr? Des Rätsels Lösung fand sich bald: Durch das Gewerbe und den Handel sind hier gleich mehrere Abfallentsorgungsunternehmen tätig.

Zur Kenntnis nahmen wir auch, dass die Bäckerei sehr viele Filialen eröffnet hatte und auch mehrere Transporter dieser Bäckerei in der Stadt zu sehen sind. Könnte etwa ein Ausbau der Firma mit der Steigerung des produktionsbedingten Lärms etwas zu tun haben?

So steigerte sich der Lärmpegel seit Mitte 2001 kontinuierlich. Morgens um 7 Uhr geht das Ganze los: Müllabfuhr und Bäckerei wetteifern mit LKWs um die beste Beschallung. Zweimal, manchmal auch dreimal in der Woche hört man der Disco, den grölenden Jugendlichen und ihren Autos zu, denn die Besucher der Jugenddisco fahren gerne nachts mit voll aufgedrehter Musik und quietschenden Reifen durch die Tempo-30-Zone.

Keine Hilfe durch die Behörden

Also schrieben wir das Umweltamt an. Die Antwort war sensationell: Die Ahornstraße sei keine Wohngegend, sondern ein Wohn-Gewerbe-Mischgebiet. Das Umweltamt lehnte Lärmimmissionsmessungen strikt ab, weil die in den 1990er Jahren schon mal gemacht worden seien und die Betriebe genössen Bestandsschutz. Bestandsschutz scheint also zu bedeuten, dass Änderungen von Gesetzen und Betriebsbedingungen wohl einer neuerlichen Betrachtung nicht würdig sind.

Das Gewerbeaufsichtsamt mahnte die Bäckerei einmal kurz ab, etwas leiser zu sein. Die Diskothek bekam ein Ordnungswidrigkeitsverfahren nach dem anderen. Aber nichts änderte sich wirklich.

Die Polizei teilte uns mit, dass alle Straßen in der Gegend Durchfahrtsstraßen seien. Ist ja interessant, dachten wir, denn die Nachbarstraße (Zimmermannstraße) ist eine Sackgasse, alle anderen sind entweder Einbahnstraßen oder stark verkehrsberuhigt.

Die Mieter leiden weiterhin unter dem Krach zu Zeiten, während derer definitiv Nachtruhe gilt oder der Lärmpegel weit jenseits der gesetzlichen Toleranzen für ein Wohn-Gewerbe-Mischgebiet liegt. Und was sagt der Senat dazu? Nichts. Verkehrsberuhigte Gebiete seien per se ruhig.

Hatte ich den Bauhof erwähnt? Es sind wirklich nette Leute, die dort arbeiten. Sie sind bis 8 Uhr morgens ruhig und auch sonst hört man eher wenig davon. Aber wie diesen entdeckt man nach und nach, eher durch Zufall, diverse Gewerbe in der Straße. Nebenbei kann man den Mietern - mit Verlaub - Mist über ihre Wohnlage erzählen. Und der Mist steht außerdem noch im Mietspiegel.