Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 301   Dezember 2003

NDC setzt auf Sicherheit

Hohe Kriminalitätsraten sind zentrales Thema des britischen Quartiersmanagements New Deal for Communities

Volker Eick

Mitte der 1990er Jahre begann die britische Regierung unter Premierminister Tony Blair mit dem Aufbau des Programms "A New Commitment to Neighbourhood Renewal". Diese "(Selbst-)Verpflichtung zur Erneuerung der Nachbarschaften" kam nicht von ungefähr: Auf Grund des Versprechens, es besser zu machen als der Thatcher-Clan, wurde von der Regierung eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die Ende 1998 mit einem Bericht zur sozio-ökonomischen Lage der britischen Bevölkerung in benachteiligten Quartieren abschloss (siehe Kasten). Dieser Bericht hatte es in sich: Premierminister Blair musste eingestehen, dass hunderte von Nachbarschaften nicht nur von Wohlstand, sondern selbst von jeglichen Möglichkeiten, ihre Lage zu verbessern, abgeschnitten sind, "Möglichkeiten, die die meisten von uns für selbstverständlich erachten."

Landesweit konzentrieren sich 82% der am meisten benachteiligten Quartiere in 88 Stadtbezirken. An dieser Konzentration, so die Regierung Blair, setzt seit Ende 2001 das Programm New Deal for Communities (NDC) an. An diesem Programm nehmen 39 Gemeinden teil. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zum Bund-Länder-Programm Soziale Stadt der Bundesrepublik dar, wo insgesamt 300 Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf in das Programm Soziale Stadt involviert sind. Diese 300 Stadtteile liegen in 214 Städten und Gemeinden (1999 wurden 162 in das Programm Soziale Stadt aufgenommen. Im Jahr 2000 kamen nochmals 53, im Jahr 2001 weitere 48 und im Jahr 2002 erneut 38 Stadtteile hinzu.)

Teure Quartiere

Das britische NDC-Programm hat eine Laufzeit von zehn Jahren - in der Bundesrepublik gibt es lediglich Jahresprogramme - und für diesen Zeitraum sind in den Quartieren insgesamt 2 Mrd. Britische Pfund (umgerechnet 287 Mio. Euro pro Jahr) durch die Zentralregierung bewilligt worden. Das entspricht zwar in etwa den in der Bundesrepublik zur Verfügung stehenden Jahresmitteln von rund 230 Mio. Euro (2002), die sich hier allerdings auf 300 Gebiete verteilen. Damit beträgt der Mitteleinsatz pro Gebiet in Großbritannien rechnerisch in etwa das Zehnfache dessen, was in der Bundesrepublik zur Verfügung steht, nämlich rund 780.000 Euro pro Quartier in Deutschland im Vergleich zu 7,36 Mio. Euro in England (siehe Tabelle). Gleichwohl, auch in Großbritannien gilt "das Primat der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, die Unterordnung der Sozialpolitik unter die Erfordernisse einer im internationalen Wettbewerb stehenden Volkswirtschaft und die strenge Kontrolle öffentlicher Ausgaben", wie Vicky White es in dem Sammelband "Soziale Arbeit für den sozialen Staat" beschreibt.

Das britische NDC-Programm fokussiert auf fünf zentrale Problembereiche: hohe Kriminalitätsraten, Erwerbslosigkeit, schlechte (Aus-)Bildungssituation, schlechte Gesundheitsverhältnisse und die schlechte Wohnsituation.

Anscheinend im Mittelpunkt des NDC steht - das zeigt der im Februar 2003 vorgelegte Zwischenbericht - das Arbeitsfeld "Sauberkeit und Sicherheit" ("Clean and safe"): 20 der gut 90 Seiten sind diesem Thema gewidmet; es leitet zudem den Bericht ein. Die besondere Bedeutung zeigt sich auch in der Unterstützung lokaler Sicherheitsbemühungen durch die Zentralregierung, die begonnen hat, diesbezüglich Gesetze zu ändern: Den Kommunalbehörden wird in diesem Jahr ermöglicht, Straßen sperren zu lassen und diese mit Gittern und Eisentoren zu sichern, wenn sie dies mit dem Kampf gegen Drogen- und Gewaltkriminalität begründen.

Günstige Gitter

Ein weiterer Schwerpunkt ist der rigide Kampf gegen Erwerbslosigkeit, der dem britischen "New Deal"-Programm schon seit einigen Jahren viel Aufmerksamkeit beschert. Hartlepool etwa, einst ein wichtiger Stahlstandort, schafft Jobs im Bereich Recycling und Sicherheit. Zu den insgesamt 15 Projekten, die für Hartlepools Industriegebiet Longhill entwickelt wurden, zählen aktivierende Sicherheits- und Sauberkeitsprogramme für Arbeitslose, der Aufbau einer flächendeckenden Videoüberwachung und die Errichtung von Zäunen und Toren. Paul Whitton, zuständig für die Planungen des Tor- und Gitterbau-Projekts, ist begeistert: "Ich spüre, dass ich jetzt Teil der Gemeinschaft hier bin. Ich gehe raus und messe die Zäune aus, sehe, wie sie aufgerichtet werden. Eine fantastische Sache, wenn man sieht, wie glücklich die Leute sind, wenn die Zäune dann stehen", schwärmt der NDC-Manager. Die Firma "Expamed", 1888 im Quartier gegründet, hat als traditionsreiche Maschinenbaufirma diverse Krisen mitgemacht und profitiert nun vom Sicherheitsboom. 90% der 450 Beschäftigten stammen aus dem Quartier, und deren Arbeitsplätze sind vorerst sicher, denn mittlerweile haben sich Tore und Gitter zu einem Exportschlager in NDC-Quartieren, aber auch in besser situierten Gegenden entwickelt. Tatsächlich, Tore und Gitter gehen - wie die entsprechenden Konzepte - gut unter New Labour. Nicht umsonst, so darf man annehmen, hat unlängst Lord Dahrendorf New Labour autoritäre Tendenzen bescheinigt, die er insbesondere im Zwangscharakter der aktivierenden Arbeitsmarktprogramme erkennt, die sich aber auch in den wuchernden Sicherheitsprogrammen ausdrücken.

Glaubt man dem Bericht, dann ist die Begeisterung gleichwohl ungeteilt: "Bevor die Zäune da waren, gab es dort einfach zu viele Plätze für Trinker und Hunde haben den Platz verunstaltet", berichtet etwa ein Nachbar. Und der zuständige Leiter des Regionalbüros Nord-Ost, Tom Smyth, weiß von Bürgern zu berichten, die ihn morgens um 3 Uhr weckten, um mit ihm über Programmdetails zu diskutieren: "Mein Vorgänger ist von einem Bewohner sogar körperlich angegangen worden, weil der unbedingt einen Job als Quartiersmanager haben wollte, was der im Übrigen auch mehr als verdient hat", so der Büroleiter, für den die Aktivierung der Bevölkerung "zu den schwierigsten, aber lohnenswertesten Aufgaben" gehört.

Billige Basisqualifikation

Ein weiteres Aufgabenfeld stellt die als "Lernen" ("Learning") bezeichnete Bildung und Weiterbildung der abgehängten Bevölkerungsgruppen in den so genannten benachteiligten Quartieren dar. Lernen ist im Konzept des NDC-Programms ohnehin ein zentraler Begriff, denn der britischen Regierung kommt es explizit darauf an, NDC als "lernendes Programm" verstanden zu wissen. Vicky White beschreibt in dem o.g. Sammelband, dass Blairs Konzept der "ständigen Verbesserung" die Tendenz habe, "das Management des öffentlichen Sektors zunehmend stärker in Einklang zu bringen mit den Managementpraktiken des privatwirtschaftlichen, auf Gewinn ausgerichteten Sektors." Im Rahmen dieser sozialstaatlichen Neuorientierung wird auf der lokalen Ebene eine Strategie des lebenslangen Lernens entwickelt, die dabei auch interessante Ansätze zur Beteiligung von QuartiersbewohnerInnen beinhaltet. "Wir lassen", so etwa NDC-Direktor Ian Smith aus Derby, "unsere kommunalen Mitarbeiter nur noch dann zu Weiterbildungskonferenzen des NDC fahren, wenn sie BewohnerInnen des Quartiers mitnehmen. In den letzten 18 Monaten hatten wir über 750 Teilnehmer auf 50 Veranstaltungen".

Dass auch viel Rhetorik bei der Schaffung von "Beschäftigungsfähigkeit" ("Employability") im Spiel ist, begrüßt die Leiterin der Abteilung "Lebenslanges Lernen", Di Denman, ausdrücklich: "Wir sagen nicht "Basisqualifikationen", wir sagen "interessanter Stoff". Unser Ansatz ist, den Leuten etwas beizubringen, ohne sie gleichzeitig damit zu konfrontieren, dass es sich tatsächlich um Lernen im formalen Sinne handelt." So haben dezentrale Bildungsprojekte unter anderem in Kneipen Bibliotheken eingerichtet, um so der Nachbarschaft einen Weg zum Buch zu ebnen; verschiedene Projekte stellen Schulen in den Mittelpunkt. Deren Angebote sollen ausgeweitet, aber auch die mit ihnen verbundenen Verpflichtungen attraktiver gemacht werden. Eine Schule in Sunderland konnte durch NDC das Tragen von Schuluniformen verwirklichen, weil der lokale Fußballclub als Sponsor fungiert und nun dessen Logo auf den Uniformen prangt. Tatsächlich besitzen nun nahezu alle 400 SchülerInnen die geforderten Kleidungsstücke.

Wertlose Wohnquartiere

Schließlich gehört zu den zentralen Problemen die Wohnsituation, der Zustand von Gebäuden und Wohnungen, für die der Bericht in den nachfragearmen benachteiligten Quartieren vor allem "skrupellose private Hausbesitzer" verantwortlich macht. Diese hätten die Häuser zu billigsten Konditionen gekauft, an Wohngeldempfänger vermietet und sich dann nicht mehr darum gekümmert. Neben den MieterInnen, die unter den skandalösen Wohnverhältnissen leiden, sind auch die ihr Wohneigentum selbst nutzenden Besitzer betroffen: Der Wert ihrer Eigenheime hat sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren zum Teil mehr als halbiert. In Hartlepool etwa liegen 4500 Wohneinheiten, von denen 55% von den Eigentümern selbst bewohnt sind, 21% werden von privaten Hausbesitzern vermietet, und der Rest besteht aus sozialem Wohnungsbau.

Während hier die Aufgabe des NDC-Teams im Wesentlichen darin besteht, den Teilabriss einiger Straßenzüge möglichst konfliktarm zu organisieren und Videoüberwachung zu installieren - eine vollständige Wiederaufwertung oder auch nur Wiederherstellung aller Gebäude des Gebiets gilt als unmöglich -, sind die Herausforderungen in Oldham ungleich größer. Dies weniger, weil hier der Erneuerungsbedarf im Wohnungsbereich in den nächsten zehn Jahren auf 30 Mio. Britische Pfund (etwa 43 Mio. Euro) geschätzt wird, sondern vielmehr, weil Rassismus eine entscheidende Rolle für die NDC-Teams spielt.

Reichhaltiger Rassismus

Das "Sunday Time Magazine" hatte im Januar 2002 in einer Titelstory über Oldham den Rassismus gegen den pakistanischen Bevölkerungsteil aus dem Quartier Glodwick - sie stellt dort über 10% der Bevölkerung - zu einem gegen die weißen Briten im Quartier Fitton Hill umdefiniert. Die Zeitung betitelte die dort wohnenden Briten als "neue ethnische Minderheit" und wusste von einem 75-Jährigen zu berichten, der "zu Brei" geschlagen worden sei, "weil er weiß war." Erneut wurden so Auseinandersetzungen angeheizt, eine neofaschistische Schlägerbande, "Combat 18", bildete sich im Quartier. Die rassistische British National Party (BNP) agitiert in diesem Gebiet nur zu Wahlkampfzeiten massiv, und sie schreibt sich die Etablierung von NDC auf ihre Fahnen, während die Programmbeteiligten versuchen, die Nachbarschaften zusammenzuführen. Tony Hurley, NDC-Direktor des Quartiers, beschreibt dies folgendermaßen: "Wir betonen nicht mehr die beiden unterschiedlichen Quartiere, sondern haben begonnen, für die 102 Straßen in unserem Distrikt Leute zu mobilisieren, die dort die Meinungen der BewohnerInnen erfragen. Wir wollen uns auf spezifische Gruppen, etwa Ältere, konzentrieren und denken, dass wir so in der Lage sein werden, sechs oder sieben Gemeinschaften in unserem Gebiet zu definieren, für die wir dann entsprechende Kommunikationsformen entwickeln werden." Die Beantwortung der Frage, ob es sich um ein rassistisches Quartier handelt, zeigt deutlich erkannte Herausforderungen, aber auch, dass es Tendenzen zur Verharmlosung gibt: "Dass die BNP behauptet, die Etablierung des NDC-Programms in unserem Quartier sei Verdienst ihrer Mobilisierung, kotzt uns an. Zwar sagt man, Rassismus sei der Grund, dass es in Fitton Hill so wenig Asiaten gibt, aber das ist nicht die ganze Geschichte. Ihnen behagt die Wohnform der Großsiedlung einfach weniger. Wenn Sie Fitton Hill besuchen, werden Sie sehen, dass Sie dort nur wenig rassistische Graffitis finden". Institutionelle Regeln sind gleichwohl fixiert worden, um die Einflussmöglichkeiten von organisierten Rechten in NDC-Gremien auszuschließen. Hurley sagt, es sei "sichergestellt, dass Mitarbeiter in NDC-Gremien die Interessen aller im Quartier vertreten." Das allerdings wäre in der Tat ein "New Deal".

Tabelle: Quartiersmanagement-Programme im Vergleich

Großbritannien Bundesrepublik
Anzahl Quartiere 39 300
Gesamtfinanzvolumen/Jahr 287 Mio. Euro 230 Mio. Euro
Betroffene Bevölkerung 430.000 1.740.000
Finanzvolumen pro Gebiet/Jahr 7,36 Mio. Euro 780.000 Euro
Finanzvolumen pro Person/Jahr 667,44 Euro 132,18 Euro

 

Nachlese:
- Dahme, H.-J./ Otto, H.-U./ Trube, A./ Wohlfahrt, N. (Hrsg.): Soziale Arbeit für den sozialen Staat. Opladen, 2003: Leske + Budrich Verlag
- Dahrendorf, R.: Die globale Klasse und die neue Ungleichheit. In: Merkur (Heft 11) 2000
- Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.): Strategien für die Soziale Stadt. Erfahrungen und Perspektiven. Berlin, 2003: Selbstverlag, vergriffen (Download unter: http://www.sozialestadt.de)
- Office of the Deputy of the Prime Minister (Editor): New Deal for Communities (Annual Review 2001/02). West Yorkshire, 2003.

Wie groß die Risse in der britischen Gesellschaft in der Ära Thatcher geworden sind, machen folgende Zahlen aus dem Bericht der "Social Exclusion Unit"deutlich:
In 10% der am meisten benachteiligten Quartiere sind 1998 über 44% der BewohnerInnen von öffentlichen Sozialleistungen abhängig gegenüber einem Landesdurchschnitt von 22%.
Über 60% der Kinder leben in diesen Stadtbezirken in Haushalten, die von öffentlicher Hilfe abhängig sind.
Im Londoner Stadtbezirk Tower Hamlets etwa liegt die Beschäftigungsquote lediglich bei 55%, im Landesdurchschnitt immerhin bei 74%.
Die Arbeitslosenquote beträgt landesweit 5%.
Dass ein enger Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität besteht, belegen beispielsweise Zahlen aus dem Armutsquartier Nord-Manchester, wo die Einbruchsrate zwischen 1999 und 2000 ein Verhältnis von 24,8 Einbrüchen auf 1.000 Einwohner ausweist, während dieser Wert landesweit lediglich bei 8,7 zu 100.000 liegt.