Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 301   Dezember 2003

Lug und Trug statt Wahrheit und Klarheit

Wasserpreiserhöhung nach Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe ist nur aufgeschoben

GERLINDE SCHERMER - Dr. CONSTANZE KUBE - H.-G. LORENZ

Am 29.10.1999 machte das Abgeordnetenhaus von Berlin einen gefährlichen Weg frei: Die damalige Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing unterzeichnete wenige Minuten nach der Abstimmung einer Resolution im Parlament einen Vertrag zwischen dem Land Berlin und einem Bieterkonsortium. RWE, Allianz und der französische Konzern Vivendi erwarben dadurch einen Anteil von 49,9% an den Berliner Wasserbetrieben. Schon damals haben auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Regierungsfraktionen CDU und SPD mit der Opposition aus PDS und Grünen gegen diese Resolution gestimmt. Da mit dem Vertrag auch die Geschäftsführung in die Hände der Privaten gegeben wurde, erschien ihnen das Risiko für die Kunden - alle Berlinerinnen und Berliner - zu groß.
Die Mehrheit der SPD glaubte dagegen den Versprechungen ihres Fraktionsvorsitzenden Klaus Böger und den Zusicherungen ihrer Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing. Sie vertrauten darauf, dass der Senat auch im Vertrag mit den Privaten die Bedingungen erfüllen würde, unter denen der Verfassungsgerichtshof die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe gestattete.

Die nachfolgende Gegenüberstellung zeigt an Beispielen auf, wie die Abgeordneten damals getäuscht wurden. Wer 1999 zustimmte, der könnte sich heute darauf berufen, hintergangen worden zu sein. Wer jetzt einer Änderung des Teilprivatisierungsgesetzes zustimmt, die zu Lasten Berlins und seiner Bevölkerung die Rendite der Privaten erhöht, muss wissen, dass er das Volk betrügt.

Was Annette Fugmann-Heesing und Klaus Böger versprachen

Annette Fugmann-Heesing hatte einen Tag vor der Abstimmung und Vertragsunterzeichnung in der SPD-Fraktion als Tischvorlage ein Argumentationspapier verteilt. Damit wollte sie Bedenken zerstreuen. Eine Woche zuvor hatte nämlich der Verfassungsgerichtshof Berlin Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt, andere nur dann für verfassungsgemäß, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt würden. Ob diese Bedingungen in dem (Konsortial-) Vertrag, den Annette Fugmann-Heesing unterzeichnete, tatsächlich erfüllt waren, konnten die Mitglieder des Parlaments nicht wissen. Viele wollten glauben, was man ihnen versprach.

1. Behauptung:

Der Verfassungsgerichtshof, sagte Annette Fugmann-Heesing, habe das Gesetz in allen wesentlichen Punkten für verfassungsgemäß erklärt. Das Gericht habe "eindeutig bestätigt, dass die gewählte Konstruktion dem Demokratiegebot - wirksame Kontrolle durch die öffentliche Hand - entspricht". Ähnlich äußer-te sich Klaus Böger im Parlament - nur nicht so deutlich.

... und die Wahrheit:

Dies ist nur die halbe Wahrheit. Das Gericht hat von den wesentlichen Passagen des Gesetzes gesagt, sie könnten verfassungsgemäß ausgelegt werden. Teilweise wurden die Bedingungen erläutert, unter denen das Gesetz (gerade noch) als verfassungsgemäß bezeichnet werden könne. Ob diese Bedingungen im Konsortialvertrag erfüllt sind, konnte vor seiner Unterzeichnung kein Abgeordneter überprüfen. Bis heute ist diese Frage entgegen den Versprechungen von Klaus Böger, dies noch 1999 zu veranlassen, nicht geklärt.

2. Behauptung:

Den Vorwurf der Opposition, durch die Teilprivatisierung werde eine ,Beutegemeinschaft‘ zwischen Senat und privaten Investoren auf dem Rücken der BerlinerInnen gebildet, wies Annette Fugmann-Heesing als falsch zurück. Durch die Teilprivatisierung würden auf mittlere Sicht die Gebühren sogar sinken, sodass von einer Last der Bürger gar keine Rede sein könne.

... und die Wahrheit:

Warum der Vorwurf der gemeinsamen Interessenlage von Privaten und Senat gegenüber den Nutzern falsch sei, wurde von der Senatorin nicht begründet. Das konnte sie auch nicht. Da die Beteiligung von Privaten an öffentlichen Betrieben die sonst unzulässige Gewinnerzielungsabsicht vertraglich festschreibt, sitzt der Senat, der 50% der Gewinne einstreicht, zwangsläufig mit den Privaten in einem Boot, wenn es darum geht, Gewinne durch Gebührenerhöhungen zu erzielen.

Dass diese 'notwendige Gemeinschaft' auch eine 'Beutegemeinschaft zu Lasten der Gebührenzahler' werden würde, war damals bereits absehbar.

Gemäß der Senatsvorlage sollen die Preise für die Verbraucher zum 01.01.2004 um 15% steigen. (Zum Redaktionsschluss hatte das Parlament noch nicht zugestimmt. Anm. der Red.) Weitere dauerhafte Erhöhungen wurden sowohl vom Senat als auch den Privaten angekündigt.

Dabei gelingt es nur durch einen Trick, die Erhöhung der Gebühren nicht noch viel höher ausfallen zu lassen: Eigentlich erfordert es der den Privaten im Konsortialvertrag garantierte Gewinn, die Gebühren um 30% anzuheben. Wenn man diese Erhöhung zuließe, würde freilich auch dem letzten Berliner klar, dass Privatisierungen zu drastischen Preissteigerungen führen. Um diesen Effekt, der weitere Verkäufe noch unpopulärer machen würde, zu vermeiden, beschreitet Senator Wolf einen verschleiernden Weg: Der Senat verzichtet auf einen Großteil der dem Staat zustehenden Konzessionsabgabe der Wasserbetriebe. Ab 2003 sollten die Wasserbetriebe nämlich 68 Mio. Euro an den Berliner Haushalt zahlen. Jetzt wird darauf in Höhe von mindestens 53 Mio. Euro pro Jahr verzichtet, die damit im Haushalt fehlen. Klartext: Auch diesen Teil des Gewinns der Privaten zahlen die Berliner - und zwar die Ärmsten. Die nämlich werden durch die Kürzung der sozialen Ausgaben diesen Betrag bezahlen.

In Wahrheit beträgt die Gebührenerhöhung also 30%. Darüber, dass ein Senat, der von SPD und PDS getragen wird, sich dazu versteht, die Folgen der Privatisierung zu verschleiern und dies die Ärmsten büßen lässt, mag sich jeder seine Gedanken machen. Es ist auch bedenklich, wenn selbst SPD und PDS sich scheuen, der Bevölkerung reinen Wein über die Folgen kapitalistischer Monopolwirtschaft einzuschenken.

3. Behauptung:

10% des Verkaufserlöses werden "unverzüglich" einem Zukunftsfonds zugeführt, um damit "die Entwicklung innovativer Wachstumsfelder in Wissenschaft und Technologie zu fördern."

... und die Wahrheit:

Dieser Zukunftsfonds, der noch in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU für die Legislaturperiode 1999 bis 2004 festgeschrieben wurde, ist im Bermudadreieck des durch den Bankenskandal verursachten Fiaskos der Berliner Haushaltspolitik verschollen.

4. Behauptung:

Der Vorwurf der Opposition, das Land trage die vollen finanziellen Risiken und müsse für 28 Jahre die Gewinnansprüche abtreten und einen Ausgleich zahlen, sei falsch. Im Gegenteil würde die Wettbewerbsfähigkeit und die Effizienz der Wasserbetriebe steigen, die Wasserpreise werden langfristig sinken, Arbeitsplätze im Unternehmen gesichert und neue geschaffen.

... und die Wahrheit:

Über die langfristig sinkenden Wasserpreise ist oben das Erforderliche gesagt. Insgesamt gingen über 2000 Arbeitsplätze bei den Wasserbetrieben und weitere 8000 bei den Zulieferern verloren. Die Instandhaltungskosten für Wasserversorgung und Entwässerung wurden von jährlich 500.000 Euro auf 360.000 Euro heruntergefahren. Und nun verzichtet der Senat auf die Konzessionsabgabe und zahlt damit den von der damaligen Opposition bereits befürchteten Ausgleich aus den öffentlichen Kassen.

5. Behauptung:

Die durch das Urteil des Verfassungsgerichts angeblich erforderlichen Änderungen des Teilprivatisierungsgesetzes würden "zur Zeit" (das war der 28.10.1999) vorbereitet und unverzüglich eingebracht.

... und die Wahrheit:

Tatsächlich ließ man sich vier Jahre Zeit und selbst als die Senatsvorlage schon längst fertig und durch Presseerklärungen angekündigt war, hielt man sie noch zurück. Der Vorlage zufolge sollen die Wasserpreise ab dem 01.01.2004 um 15% steigen. Dies wurde am 16.09.2003 vom Senat gebilligt. Am selben Tag teilten dann die Wasserbetriebe ihren Mitarbeitern mit, dass man sich mit dem Senat geeinigt habe und dass lediglich "der Gesetzentwurf noch vom Abgeordnetenhaus gebilligt werden" müsse.

Bei der Parlamentssitzung am 30.10.2003 kündigte die SPD jedoch nun eine "sehr sorgfältige Prüfung" der gesetzlichen Regelungen an. Eine "angemessene Rendite" soll den privaten Gesellschaftern des Unternehmens unter Änderung des Teilprivatisierungsgesetzes ermöglicht werden. Die Änderung des Teilprivatisierungsgesetzes wurde jedoch überhaupt nicht vorbereitet. Sie war - und ist - auch gar nicht erforderlich. Das hat die Normenprüfungskommission des Senats ausdrücklich bestätigt. Da man aber den Investoren (viel zu) viel versprochen hatte, soll nun doch die Änderung her. Und die enthält Sprengstoff.

6. Behauptung:

Durch die Teilprivatisierung verliert das Land Berlin keinen Einfluss und keine Verantwortung.

... und die Wahrheit:

Durch die Teilprivatisierung verzichtet das Land auf die Geschäftsführung. Das ist sogar Ziel dieser Teilprivatisierung gewesen. Den Privaten traute man effektiveres Wirtschaften zu. Ein böser Irrtum. Seit der Aufdeckung des Bankenskandals wissen wir, dass mit der Aufgabe der Geschäftsführung jede wirksame Kontrolle aus der Hand gegeben wird. Und durch den Konsortialvertrag wird der Rest an wirklichem Einfluss aufgegeben. Dieser von Annette Fugmann-Heesing unterschriebene Vertrag garantiert den Privaten einen (verfassungswidrigen) Gewinn, der unabhängig von der geschäftlichen Entwicklung zu zahlen ist. Dadurch entsteht eine Zwangslage: Entweder macht der Senat (und das Abgeordnetenhaus) alles mit, was die Gewinne auf Kosten der Gebührenzahler erhöht, oder aber der Haushalt muss einspringen. Beides ist jetzt bittere Realität: Die Preise sollen um 15% steigen und der Haushalt verzichtet auf mindestens 50 Mio. Euro jährlich - wahrscheinlich jedoch sehr viel mehr.

Für die Investoren ist alles zum Besten: Ihr eingebrachtes Kapital verzinst sich - so die Untersuchungen des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen - mit 20%. Es ist klar, was dies für die Wasserbetriebe bedeutet - und damit für den Berliner Haushalt.

Wenn das Land die Wasserbetriebe nicht für 1,58 Mrd. Euro verkauft, sondern diese Summe stattdessen als Kredit mit einer Laufzeit von 27 Jahre aufgenommen hätte, dann müssten jährlich 100 Mio. Euro (inkl. Tilgung) an die Banken gezahlt werden. Welch ein gutes Geschäft wäre das gewesen - im Vergleich zu dieser Veräußerung: Das Land Berlin verzichtet auf 50% des Gewinns und auf 50 Mio. Euro Konzessionsabgabe, erhält weniger Steuern, der Berliner Mittelstand erhält weniger Aufträge, die Lohnsteuer aus abgebauten Arbeitsplätzen fehlt, die Sozialhilfe und das Wohngeld steigen - und wenn der Gewinn des Betriebs noch wie geplant "disproportional" verteilt wird, dann verzichtet das Land auf weitere zweistellige Millionenbeträge.

7. Behauptung:

Der Teilverkauf der Wasserbetriebe, des größten kommunalen Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsunternehmens in Europa, wurde damit begründet, dass dieser Berliner Betrieb über ein "Know-how" verfüge, das - durch einen Privaten vermarktet - bis nach China strahlen würde. Berlin - so das Versprechen - sollte internationales Zentrum der Wasserwirtschaft werden.

... und die Wahrheit:

Nachdem alle überregionalen Projekte in den Sand gesetzt worden sind, erklärt der Vorstand Frank Bruckmann heute: "Die BerlinwasserGruppe vollzieht gegenwärtig die konsequente Ausrichtung auf das Kerngeschäft. Zum anderen haben wir durch den Verkauf von Unternehmen die Bereinigung des Wettbewerbsgeschäfts bereits eingeleitet." Aber auch von einem Kompetenzzentrum "Wasserwirtschaft" ist nichts übrig geblieben: Ganze sieben Mitarbeiter arbeiten in diesem "Zentrum".

Fazit:

Das Abgeordnetenhaus hat seine Beschlüsse im blinden Vertrauen auf Annette Fugmann-Heesing und Klaus Böger gefällt. Es ist bewusst getäuscht worden. Annette Fugmann-Heesing wusste, was sie vereinbarte. Sie musste erkennen, dass sie ein für die Stadt verantwortungslos schlechtes Geschäft abschloss. Sie wusste, dass es viel besser gewesen wäre, einen Kredit aufzunehmen und damit den Schaden für das Land Berlin auf ein Minimum zu reduzieren. Es ging nicht um Haushaltskonsolidierung. Es ging nicht um "Überbrückung einer Durstphase bis zur Konsolidierung" des Haushalts. Es ging ausschließlich um Privatisierung um jeden Preis.