Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 300   Oktober 2003

Rein, raus, rein

Arme reiche Mieter im Viktoria-Quartier

Johannes Touché

"Großzügige Lofts", "lichtdurchflutete Pent-" sowie "stattliche Town-Houses", "lauschige Gärten", Büros, Kultur, Wellness und Gastronomie - das ist es wohl, was der Immobilienmensch einen "spannenden Nutzungsmix" nennt. Große Ankündigungen hat die Münchner Wohnungsbaugesellschaft Baywobau und die Berliner Firma Art Projekt für das so genannte Viktoria-Quartier in der Methfesselstraße in Kreuzberg. In der Tat scheint sich das Gelände für eine großangelegte Aufwertung anzubieten. Die ehemalige Brauerei ist 50.000 qm groß, grenzt direkt an den Kreuzberger Viktoria-Park und zählt zu den schönsten Industrieruinen dieser an schönen Industrieruinen reichen Stadt: riesige Gewölbe, historisierend ornamentierte Lagerhallen, Ställe und Werkstätten, dazwischen idyllische Höfe. Das denkmalgeschützte Ensemble ist teils dem Verfall nahe, teils saniert und ausgebaut. Auch einige Neubauten sind zu finden, Anfänge einer Gartengestaltung sowie eine leerstehende Tiefgarage mit mehreren hundert Stellplätzen - Hinterlassenschaften früherer Investoren.

Luxus für die Kreativen

In den 1990er Jahren war es die Firma Schultheiss selbst, die ihre alte, nach einem Umzug überflüssig gewordene Brauerei auf den Immobilienmarkt bringen wollte - erfolglos. Dann kauften das Immobilienunternehmen Viterra und die Deutsche Bank das Gelände und gründeten eine Entwicklungsgesellschaft, die umgehend ein Marketing-Konzept entwickelte: dörfliche Abgeschiedenheit und zentrale Lage, alte und neue Architektur, Arbeiten und Wohnen an einem Ort, viel Service inklusive "Doorman" und Essenslieferung sowie nicht zuletzt ein kräftiger Schuss Kultur, unter anderem die Berlinische Galerie, die im alten Eiskeller Platz finden sollte. All das sollte ein Luxusdorf ergeben, in dem sich die Kreativen und Innovativen, die Lockeren, Lauten und Lustigen wohlfühlen: Leute aus der Film- und Musik- oder Werbebranche, Journalisten, Webdesigner. Die Repräsentanten der New Economy, die bis vor kurzem in keinem innerstädtischen Entwicklungskonzept fehlen durften und eigentlich zu zigtausenden die aufgepeppten Industrieruinen Berlins bevölkern müssten, wäre es nicht anders gekommen.

Als sich die New Economy aus den Börsen und Lifestyle-Magazinen verabschiedete, ging es folgerichtig auch mit dem Konzept der Viterra bergab. Eigentlich sollte Ende 2003 alles fertig sein. Aber obwohl man bereits dutzende von Millionen Euro investiert hatte, war 2001 nur der erste von sieben geplanten Bauabschnitten, der so genannte Schmiedehof, abgeschlossen. Von ca. 400 geplanten Wohn- und Gewerbeeinheiten wurden nur 67 fertiggestellt, und selbst diese stellten sich als schwer verkäuflich heraus. Im Herbst 2001 strichen Viterra und die Deutsche Bank die Segel und schickten die Viktoria Quartier Entwicklungsgesellschaft in die Insolvenz. Das Gelände wurde von der Baywobau ersteigert und die Neue Viktoria Quartier GmbH war geboren.

Die Berlinische Galerie suchte sich ein anderes Ausstellungsgebäude, die Baufirmen zogen schimpfend, offene Rechnungen und etliche Baumängel hinterlassend, nach und nach ab. Nur die Bewohner blieben. Einige der fertiggestellten Einheiten waren nämlich bereits verkauft, rund 25 von den KäuferInnen schon weitervermietet worden. Da sie aber allesamt noch keinen Grundbucheintrag hatten, wurden die Kaufverträge rückabgewickelt. Eigentümerin wurde die Baywobau, die die Mietverträge kurzerhand für ungültig erklärte: In nur 14 Tagen sollten die MieterInnen entscheiden, ob sie ihre Wohnung kaufen oder lieber fortziehen wollten. Da niemand darauf eingehen konnte, klagte die Baywobau auf Räumung - und gewann. Die MieterInnen mussten das Gelände verlassen. Vorher allerdings sollten sie noch ein so genanntes "Nutzungsentgelt" entrichten: So teuer wie die Miete, aber ohne jede mietrechtliche Absicherung für die BewohnerInnen, die hier nur "NutzerInnen" sind. Auch hier gab es gerichtliche Auseinandersetzungen, denn nach jahrelangem Stress mit Baulärm, Baumängeln und Räumungsdrohungen sah man nicht ein, warum man auch noch nachzahlen sollte.

"Da knicken die meisten ein"

Dass es zu diesen Konflikten kam, liegt nach Ansicht Maibachs an Fehlern im Kaufvertrag. "Die Aufgabe der Insolvenzverwalters wäre es gewesen, das Projekt an jemanden zu geben, der es auch fortführt. Normalerweise gehen doch Mietverträge an den neuen Eigentümer über." Stattdessen wählte man unter den 15 Mitbewerbern eine Gesellschaft aus, die an dem bisher Erreichten - und insbesondere an der selbstbewussten und wohlhabenden Klientel - offenbar überhaupt kein Interesse hatte. Die Baywobau, schildert Maibach, suchte die Konfrontation, die bisweilen rabiate Formen annahm. Als die MieterInnen Protestplakate aushingen, soll der Geschäftsführer gedroht haben: "Sie werden Ihres Lebens nicht mehr froh!"

Zu freundlicheren Gesprächen kam es nur in Ausnahmefällen. Selbst mit dem Kreuzberger Baustadtrat Franz Schulz, der seine Vermittlung anbot, wollte die Baywobau nicht reden. Und mit einem Journalisten, der einen Beitrag für das MieterEcho schreiben möchte, schon gar nicht: "Der Geschäftsführer meldet sich bei Ihnen, wenn Bedarf besteht", heißt es kühl am Telefon. Nicht einmal die Höhe der Mieten verrät man der lästigen Presse. Ein ungewöhnliches Verhalten, schließlich annonciert die Baywobau Mietwohnungen im Viktoria-Quartier, was naturgemäß nicht geheim bleibt.

Auf ein Neues

Annoncen für Mietwohnungen? Tatsächlich - nachdem man alle Mieter los geworden ist, werden nun wieder welche gesucht. "Ein Hohn", findet Maibach. Er vermutet, dass die Baywobau ihre Strategie geändert hat: Der Verkauf der einzelnen entmieteten Einheiten scheiterte an den überhöhten Preisen der Baywobau. Nun will man offenbar das Gelände als Ganzes an einen Immobilienfonds weitergeben. Diese aber bevorzugen gut ausgelastete Objekte und also sind nun wieder Mieter erwünscht.

Von ihren stattlichen Preisen rückt die Baywobau dennoch nicht ab: 1632 Euro Warmmiete sollen z.B. ein 167 qm großes Loft kosten, plus 70 Euro Stellplatzmiete in der - gegenwärtig geschlossenen - Tiefgarage. 10 Euro/qm sind nicht wenig für eine Wohnung auf einer Baustelle, mit Baumängeln und einer Vorgeschichte, die aus juristischen Auseinandersetzungen besteht.

Mit einem hohen Vermietungsstand ist also nicht zu rechnen, wenn eines Tages das Viktoria-Quartier verkauft werden sollte. Der Kaufpreis für das Gelände, der beim ersten Verkauf noch 59 Mio., beim zweiten 15,6 Mio. Euro betragen haben soll, wird dann wohl auf den berühmten symbolischen einen Euro gesunken sein. Und die Werbesprüche vom aufstrebenden Kreativendorf mit seinen "Doormen" und "Townhouses" werden noch etwas hohler klingen. Und die Brauerei ist wieder eine verwaiste Ruine.

*) Name von der Redaktion geändert.