Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 299   August 2003

Sonne, Strand und Widerstand

Sozialpolitische Gruppen in Berlin wollen im Sommer den Widerstand gegen Sozialabbau in Berlin intensivieren

Peter Nowak

Normalerweise beginnt Anfang Juli das gefürchtete Sommerloch in Berlin. Politische Aktionen oder gar Demonstrationen werden bis zum September ausgesetzt. Denn auch die politischen Aktivisten sind wie ein Großteil der Berliner Bevölkerung entweder im Urlaub oder im Freibad. Gerade dort will die Kampagne"Berlin umsonst!" in diesem Sommer Politik mit Spaß verbinden. Unter dem Motto "Sonne, Strand und Widerstand" will sie in den nächsten Wochen den Protest gegen den sozialen Kahlschlag in Berlin an ungewöhnliche Orte tragen. Dabei stehen aber weniger Demonstrationen als phantasievolle Aktionen im Mittelpunkt. Die hohen Preise für die Busse, S- und U-Bahnen sowie der städtischen Schwimmbäder sollen im Mittelpunkt stehen.

Beim ersten Aktionstag von "Berlin umsonst" wurden vor den Eingängen der S- und U-Bahnen Tickets mit der Aufschrift "U-Bahn fahren zum Nulltarif" verteilt. Damit sollen die Passanten daran erinnert werden, dass die Forderung nach einem "Nulltarif bei Bahnen und Bussen" durchaus nicht eine Idee weltfremder Illusionisten war, sondern noch vor 20 Jahren in vielen Städten von einer breiten politischen Bewegung getragen wurde. Auch die DGB-Jugend und die Jungsozialisten gehörten damals beispielsweise in Hannover aber auch in Frankfurt/Main zu den Trägern von Nulltarif-Kampagnen. Doch das ist lange her. Deshalb reagierten die Passanten überwiegend eher verwundert als wütend, als ihnen die Tickets mit dem vermeintlichen Null-Tarif in die Hand gedrückt wurden. Die meisten aber gingen dann doch zum Ticketautomaten. Da waren die Erfahrungen vor dem Prinzenbad in Berlin-Kreuzberg für die Aktivisten im letzten Sommer schon ermutigender. Damals sorgte eine neue Erhöhung der Eintrittspreise für die Freibäder in der Bevölkerung für großen Unmut. "4 Euro normal, 2,50 Euro ermäßigt" für einen Freibadbesuch ist gerade in einem Stadtteil wie Kreuzberg, wo die Einkommen der Bevölkerung niedrig sind, für viele unerschwinglich. Tatsächlich ging die Zahl der Schwimmbadbesucher nach den Preiserhöhungen zurück. Daher war es nur zu verständlich, dass sich neben politischen Aktivisten auch zahlreiche kinderreiche Familien an den Protesten beteiligten. Einige Menschen gelangten in dem Durcheinander sogar auf das Freibadgelände ohne zu bezahlen. In diesen Aktionen lag die Geburtsstunde der Kampagne "Berlin umsonst!" An den nächsten Wochenenden wurde dann ein großes Polizeiaufgebot um den Eingang des Freibads postiert. Doch die Aktivisten lassen sich davon nicht abschrecken. Bei den nächsten Aktionstagen stehen wieder die hohen Eintrittspreise bei den Berliner Freibädern im Mittelpunkt der "Berlin umsonst!"-Kampagne. Per Fahrrad werden verschiedene Freibäder angefahren. Die Tour endet wiederum am Prinzenbad.

Die Kampagne hat eine doppelte Zielsetzung, wie ein "Berlin umsonst!"-Aktivist erklärt: "Einerseits sollen Menschen angesprochen werden, die bisher keine Berührungspunkte mit linker Politik hatten. Anderseits soll in der Linken die soziale Frage wieder stärker verankert werden." Die "Berlin umsonst!" Kampagne ist auch deshalb attraktiv, weil sich die unterschiedlichsten Initiativen darauf verständigen können, ohne zuvor langwierige Strategiediskussionen führen zu müssen. Mittlerweile tauchen Transparente mit der Aufschrift"Berlin umsonst!" bei den unterschiedlichsten Aktionen auf. Ob die Kampagne diesen Sommer überleben wird, ist noch völlig offen. Das liegt an der weiteren Resonanz. Schließlich gibt es kein planendes Zentralkomitee, sondern die einzelnen Initiativen entscheiden selbstständig. Doch einen Erfolg können die Organisatoren schon jetzt für sich verbuchen: In der jüngsten Produktion des Berliner Grips-Theaters mit dem Tite l"Baden gehen" stürmen Arbeitslose ein wegen der Hauptstadtpleite stillgelegtes Freibad. Dabei hat sich die sozial engagierte Theater-Crew um Volker Ludwig sicher von den Pressemeldungen um das Prinzenbad inspirieren lassen.

"Berlin umsonst!" im Internet: http://www.berlin-umsonst.tk