Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 299   August 2003

Haus ohne Hüter

Die Zentrum Kreuzberg GmbH verhindert das von Existenzgründern geplante Kaufhaus Kreuzberg

Christin Linde

Ob das Kottbusser Tor im Bezirk Kreuzberg ein Ort ist, an dem sich gut wohnen lässt, darüber scheiden sich die Geister. Einig dagegen ist man sich darüber, das in dem sozialen Brennpunkt rund um das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ) etwas passieren muss. Deshalb haben Anwohner vor über einem Jahr die Initiative ergriffen, um in dem von Armut und Arbeitslosigkeit geprägten Stadtteil ein Projekt auf den Weg zu bringen: das alternative Kaufhaus Kreuzberg. Im Markthallenstil mit angeschlossenem Biergarten wollen rund 60 Händler und Dienstleister, zu einem großen Teil Existenzgründer aus dem Kiez, den Sprung in die Selbstständigkeit wagen. Doch der Traum von einem multikulturellen Szene-Treff ist offenbar geplatzt. "Seit sich die Mietverhandlungen in der heißen Phase befinden, sehen wir uns mit immer neuen Forderungen konfrontiert. Dadurch stehen 150 Arbeitsplätze auf dem Spiel", beklagen die Initiatoren.

Nachdem die Eigentümerin, die Zentrum Kreuzberg GmbH, zunächst zugesagt hatte die Räume, in denen sich derzeit noch die Filiale einer Möbelkette befindet, zu den gleichen Konditionen bezugsfähig zu übergeben, verlangt sie inzwischen nicht nur einen höheren Mietzins, sondern auch die Dachterrasse in dem Plattenbau soll nicht wie angekündigt mietfrei zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sollen die notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen, Umbauten und Renovierungsarbeiten ebenfalls entgegen der Vereinbarungen zu Lasten des zukünftigen Mieters vorgenommen werden. Dies würde eine zusätzliche finanzielle Belastung im Umfang von mindestens einer Jahresmiete bedeuten. Gleichzeitig übernimmt der Vermieter keinerlei Verantwortung dafür, dass die Räume sich in einem vertragsgerechten Zustand befinden, damit diese für die vorgesehene Nutzung überhaupt genehmigungsfähig sind. Sämtliche von den Behörden verlangten baulichen Veränderungen für eine Nutzungserlaubnis soll der Mieter zahlen. "Entsprechende Klauseln in dem Mietvertragsentwurf deuten darauf hin, dass der Vermieter lediglich daran interessiert ist, dass der neue Mieter in das Objekt investiert, um dann selbst von der geschaffenen Wertsteigerung zu profitieren. Denn anstatt eines langjährigen Vertrags ist der neuerliche Entwurf unbefristet und macht eine rasche Kündigung möglich", sagt Initiator Richard Stein. Sogar eine Sonderkündigungs- bzw. Räumungsvollstreckungsklausel enthält der Vertrag. "Weil wir inzwischen so viel Zeit und Arbeit aufgewendet haben, wird offenbar darauf spekuliert, dass wir zu allen Bedingungen unterschreiben."

Kritik von den Gewerbetreibenden

Die Hauptrolle in der Zermürbungstaktik spielt der Rechtsanwalt Peter Ackermann. Während er als Geschäftsführer der Zentrum Kreuzberg GmbH inzwischen überraschend "abgelöst" wurde, fungiert der SPD-Politiker nach Einschätzung von Beteiligten im Hintergrund nach wie vor als Strippenzieher. "Hier läuft nichts ohne die Zustimmung von Ackermann", sagt ein Bewohner des NKZ. Ackermann, der in Personalunion Anteilseigner, Vorsitzender des Eigentümerbeirats und Rechtsvertreter sowohl der Zentrum Kreuzberg GmbH als auch der Zentrum Kreuzberg GmbH & Co KG, die Eigentümerin des gesamten Gebäudekomplexes ist, wird inzwischen auch von den ansässigen Gewerbetreibenden heftig kritisiert. "Wir müssen feststellen, dass sich die Atmosphäre zwischen Gewerbemietern und Zentrums-Betreibern zunehmend verschlechtert. Zahlreiche Prozesse, Räumungsverfahren und außergewöhnlich hohe Nebenkostenabrechnungen belasten die geschäftlichen Beziehungen. Außerdem ist die Vermietungspolitik unverständlich. Obwohl großes Interesse an den leerstehenden Gewerbeflächen besteht, werden diese nicht vermietet", heißt es in einem Offenen Brief der Interessensgemeinschaft der Gewerbetreibenden. "Zahlreiche Besitzer mussten ihre Läden inzwischen räumen. Andere bekamen einen Mietvertrag und zwei Tage nach Vertragsabschluss flatterte ohne Begründung die Kündigung ins Haus", kritisiert Sahinder Ötztürk, Sprecher der Interessensgemeinschaft, die das Konzept Kaufhaus Kreuzberg unterstützt. Ötztürk sieht darin sogar die letzte Chance, dass sich in der Betonburg noch einmal etwas bewegt. Denn mittlerweile stehen rund 40% der Ladenflächen leer.

Vor allem von der Politik fühlen sich die Betroffenen allein gelassen. Bei einer Pressekonferenz forderten sie den Berliner Senat jetzt auf zu handeln. Schließlich ist mit der Investitionsbank Berlin (IBB) ein landeseigenes Unternehmen Hauptgläubiger des hochverschuldeten Eigentümers. Der frühere Baustadtrat Werner Orlowsky sieht in dem Verhalten der Landesregierung die Fortsetzung der Politik aus den 1970er Jahren. "Früher hat man die Gewerbetreibenden vernichtet, heute verhindert man Arbeitsplätze". Anstatt weitere Leerstände auf Kosten des Steuerzahlers hinzunehmen, verlangt der durch die Hausbesetzerbewegung im früheren Westberlin bekannt gewordene Politiker die Einsetzung eines Zwangsverwalters für das gesamte NKZ. Schließlich subventioniere das Land die von rund 300 Haushalten bewohnten Mietwohnungen jährlich mit rund 2,5 Mio. Euro und die Insolvenz sei für das mit 45 Mio. Euro verschuldete Unternehmen nach dem Auslaufen der Fördermittel im November 2004 ohnehin nicht mehr abzuwenden. Sollte dies nicht geschehen, hilft nach Einschätzung von Orlowsky nur noch Druck von unten. "Ich will nicht zur Besetzung aufrufen. Aber die Überlegung muss einem ja kommen", so Orlowsky.

"Zum Thema im Vermögensausschuss machen"

Eine Zwangsversteigerung hätte nach den Worten von Barbara Oesterheld jedoch zur Folge, dass nicht nur die Millionen der IBB weg wären, sondern mögliche Bürgschaften des Lands fällig würden. Außerdem entfielen die Sozialbindung und die Belegungsrechte des sozialen Wohnungsbaus. Die Folge wären drastische Mieterhöhungen. Deshalb verlangt die wohnungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus nun Klarheit über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens. "Wenn eine Anfrage bei der Investitionsbank ohne Ergebnis bleibt, wird das Neue Kreuzberger Zentrum zum Thema im Vermögensausschuss", so Oesterheld. Aufgeben wollen auch die Kaufhaus-Betreiber so schnell nicht. Sollte sich ihr Vertragspartner allerdings nicht auf die ursprünglich verabredeten Konditionen zurückbewegen, dann bleibt ihnen nur die Suche nach einem anderen Objekt. "Wir hoffen aber, dass die Politik langsam wach wird. Vielleicht zählt ja wenigstens das Arbeitsplatzargument", so Richard Stein.