Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 299   August 2003

Verdrängungsschutz auf neuen Wegen

Ulrich Lautenschläger

Die Auseinandersetzung um den Schutz der Mieter vor Verdrängung in den Sanierungsgebieten geht in die nächste Runde. Zwar sah es nach einem Urteil der 13. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin im Juli 2001 so aus, als ob die Bezirke kaum noch Handlungsmöglichkeiten hätten, um die sanierungsbetroffenen Mieter zu schützen. Doch jetzt hat das Bezirksamt Pankow einen Beschluss zur Fortentwicklung der sozialen Sanierungsziele auf den Weg gebracht, der auf neue Weise versucht, die von Modernisierungsmaßnahmen betroffenen Mieter zu schützen. Auch das Bezirksamt Mitte hat die Weichen in die gleiche Richtung gestellt.

Die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin hatte im Urteil vom 18. Juli 2002 erklärt, das Sanierungsziel "Schutz der angestammten Wohnbevölkerung vor Verdrängung" sei "kein mit den Mitteln des Sanierungsrechts nach § 136 ff Baugesetzbuch (BauGB) zulässigerweise zu verfolgendes Ziel". Deshalb dürften sanierungsrechtliche Genehmigungen auch nicht mit der Auflage zur Einhaltung von Mietobergrenzen für die Zeit nach Durchführung der Maßnahmen versehen werden. Insofern entsprachen die Richter der Klage der Eigentümerin der Rigaer Straße 93 im Sanierungsgebiet Samariterviertel. In einem Punkt allerdings bekam das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg Recht. Die Richter erklärten, die aufschiebende Bedingung im Genehmigungsbescheid für rechtmäßig, die verlangte, dass die Eigentümerin vor Baubeginn den Mietern Modernisierungsvereinbarungen auf Grundlage des Sozialplans anbieten muss. Dies sei durch das Baugesetzbuch legitimiert.

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg legte Beschwerde gegen dieses Urteil ein, doch ein Termin vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin (OVG) ist noch lange nicht in Sicht. Viele Juristen halten die rigorose Ablehnung jeglicher sozialer Sanierungsziele durch das Gericht für falsch. Schließlich hatte auch das OVG in einem Beschluss 1995 erklärt, dass "in Sanierungsgebieten" auch der "Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in ihrer bestehenden Sozialstruktur ein Sanierungsziel sein kann".

Zwar ist das Urteil des OVG auf Grund der Beschwerde nicht rechtskräftig, doch sind die Bezirksämter derzeit kaum in der Lage die Mietobergrenzen aus den Genehmigungsbescheiden nach der Sanierung durchzusetzen. Falls ein Eigentümer gegen einen Durchsetzungsversuch vor Gericht einstweiligen Schutz begehrt, dürften die Verwaltungsrichter ihm diesen gewähren. Derzeit können also nur Mieter geschützt werden, indem Modernisierungsvereinbarungen vor Baubeginn zwingend verlangt werden. Folge dieser Situation ist, dass viele Eigentümer noch stärker versuchen die Häuser vor Sanierung leer zu ziehen. Bei leeren Wohnungen ist schließlich derzeit kein Eingreifen der Bezirksämter möglich.

Orientierung an Mieten in unsanierten Gebäuden

Bereits vor diesem Urteil hatte der Baurechtler Prof. Gerd Schmidt-Eichstaedt in einem Gutachten den Bezirken empfohlen, sich bei der Durchsetzung sozialer Sanierungsziele auf Maßnahmen zur Sicherung eines sozialgerechten Sanierungsablaufs zu konzentrieren. In diesem Zusammenhang sei auch die Beschneidung der Mieterhöhung nach Modernisierung gerechtfertigt. Denn es sei davon auszugehen, dass die plötzliche Steigerung der Miethöhe durch die gesetzliche 11%-Umlage der Kosten nach Modernisierung viele betroffene Mieter überfordere. Schließlich liegen die Einkommen der Mieter aus den unsanierten Wohnungsbeständen unter dem durchschnittlichen Einkommensniveau. Gleichzeitig wolle aber ein Großteil dieser Mieter im Gebiet bleiben. Der Bezirk habe gemäß § 180 BauGB "Sozialplan" den Auftrag dabei zu helfen, so dass nachteilige Auswirkungen auf die Sanierungsbetroffenen vermieden oder zumindest gemildert würden. Dies solle durch die Aufstellung eines Gebietssozialplans geschehen, in dem die zumutbare Miete nach Modernisierung und weitere Instrumente zur Durchsetzung festgelegt werden.

Nun hat der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Pankow, Martin Federlein, einen Beschlussentwurf vorgelegt, indem die Eckdaten des Gebietssozialplans festgelegt werden. Der Beschluss stützt sich auf eine empirische Untersuchung über die "Fortschreibung sozialer Sanierungsziele und Mietobergrenzen" durch die ASUM (Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung) und die Mieterberatung Prenzlauer Berg aus dem Jahr 2002. Darin wurde festgestellt, dass der Unterschied zwischen der sozialen Situation der Bewohner der unsanierten und sanierten Wohnungsbestände, insbesondere freifinanziert sanierter Wohnungen erheblich gewachsen ist. So verfügen Bewohner unsanierter Wohnungen nur über 2/3 der Einkommen im Vergleich zu den Bewohnern freifinanziert modernisierter Wohnungen.

Leerstand soll für Eigentümer unattraktiv werden

Die Sanierung kann sich nicht länger am Durchschnitt der Bewohner eines Gebiets orientieren, sondern muss sich stärker an den Verhältnissen und Möglichkeiten derjenigen ausrichten, die in den unsanierten Wohnungen leben. Da laut Untersuchung von diesen 75% auch nach Sanierung im Gebiet bleiben wollen, muss ein ausreichend großer Anteil von Wohnungen in der Mietentwicklung gebremst und auch für Umsetzungen zur Verfügung stehen. Die dafür ermittelten Mietobergrenzen sollen für die jeweiligen Wohnungen für drei Jahre gelten, in denen keine weiteren Erhöhungen der Grundmieten möglich sind.

Festgelegt im Gebietssozialplan ist auch, dass 50% der Wohnungen eines unsanierten Hauses entweder für verbleibende oder Umsetzmieter zur Verfügung gestellt werden müssen. Damit kann eine Umsetzung der Sanierungsbetroffenen ermöglicht werden. Diese Regelung gilt für alle zu sanierenden Häuser, unabhängig vom Ausmaß des Leerstands zum Zeitpunkt der Genehmigung. Damit wird der Anreiz für Eigentümer deutlich geringer, die Häuser vor Beginn des Genehmigungsverfahrens leer zu ziehen, um jeglichen Mietbegrenzungen zu entgehen. Die nicht für Sanierungsbetroffene benötigten Wohnungen kann der Eigentümer dagegen nach Sanierung frei vermieten. Ein erheblicher Vorteil für ihn, der gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Sanierungsvorhaben sichert.

Die Regelungen des Gebietssozialplans sollen in jedem Genehmigungsfall bei umfassender Sanierung mit Hilfe eines städtebaulichen Vertrags vereinbart werden. Laut BauGB § 145 Abs. 4 Satz 3 kann nämlich die sanierungsrechtliche Genehmigung vom Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags abhängig gemacht werden, wenn dadurch Versagungsgründe ausgeräumt werden können.

Erfreulicherweise hat sich auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hinter dieses Verfahren gestellt. So erklärte der Stadtentwicklungssenat in seinem 23. Bericht zur Stadterneuerung kürzlich, es sei "rechtmäßig im sanierungsrechtlichen Genehmigungsverfahren vertragliche Vereinbarungen zu verlangen, um eigentlich zivilrechtlich zulässige Mieterhöhungen befristet "auszubremsen". Dabei müsse allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet und die Wirtschaftlichkeit der Investition finanziell gesichert bleiben.

Ulrich Lautenschläger war 1981 bis 1989 Mieterberater für den Verein SO 36. Anschließend stellv. Koordinator des Sanierungsträgers S.T.E.R.N. GmbH in Tiergarten. Seit 1993 ist er Geschäftsführer der Mieterberatung Prenzlauer Berg gGmbH.

Auszug aus dem Baugesetzbuch (BauGB)

§ 136 Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen

(1) Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen in Stadt und Land, deren einheitliche Vorbereitung und zügige Durchführung im öffentlichen Interesse liegen, werden nach den Vorschriften dieses Teils vorbereitet und durchgeführt. (2) Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen sind Maßnahmen, durch die ein Gebiet zur Behebung städtebaulicher Missstände wesentlich verbessert oder umgestaltet wird. Städtebauliche Missstände liegen vor, wenn
1. das Gebiet nach seiner vorhandenen Bebauung oder nach seiner sonstigen Beschaffenheit den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse oder an die Sicherheit der in ihm wohnenden oder arbeitenden Menschen nicht entspricht oder
2. das Gebiet in der Erfüllung der Aufgaben erheblich beeinträchtigt ist, die ihm nach seiner Lage und Funktion obliegen.

§ 180 Sozialplan

(1) Wirken sich Bebauungspläne, städtebauliche Sanierungsmaßnahmen oder städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen voraussichtlich nachteilig auf die persönlichen Lebensumstände der in dem Gebiet wohnenden oder arbeitenden Menschen aus, soll die Gemeinde Vorstellungen entwickeln und mit den Betroffenen erörtern, wie nachteilige Auswirkungen möglichst vermieden oder gemildert werden können. Die Gemeinde hat den Betroffenen bei ihren eigenen Bemühungen, nachteilige Auswirkungen zu vermeiden oder zu mildern, zu helfen, insbesondere beim Wohnungs- und Arbeitsplatzwechsel sowie beim Umzug von Betrieben; soweit öffentliche Leistungen in Betracht kommen können, soll die Gemeinde hierauf hinweisen. Sind Betroffene nach ihren persönlichen Lebensumständen nicht in der Lage, Empfehlungen und anderen Hinweisen der Gemeinde zur Vermeidung von Nachteilen zu folgen oder Hilfen zu nutzen oder sind aus anderen Gründen weitere Maßnahmen der Gemeinde erforderlich, hat die Gemeinde geeignete Maßnahmen zu prüfen.
(2) Das Ergebnis der Erörterungen und Prüfungen nach Absatz 1 sowie die voraussichtlich in Betracht zu ziehenden Maßnahmen der Gemeinde und die Möglichkeiten ihrer Verwirklichung sind schriftlich darzustellen (Sozialplan).